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Mikrochips und Teichroboter: Die digitale Transformation des Dorfs Sanlin

2021-01-26 11:40:00 Source: Author:
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Von Qu Yiping*

 

Wir schreiben den 3. November 2020. Schon in der Morgenfrühe macht sich Chen Jiankun, der in Sanlin lebt, einem kleinen Dorf des Kreises Deqing in der Provinz Zhejiang, wie jeden Tag auf zu seinem Fischteich. Nachdem er die Fische gefüttert hat, kramt er einen Plastikchip in Streichholzgröße aus seiner Tasche. „Solche Chips werden in die Oberhaut jedes Fisches implantiert. Verbraucher können über sie die Herkunft des Fisches nachvollziehen und außerdem Informationen über die Landwirte abrufen. Das geht ganz einfach. Man muss nur den schwarzen Code mit dem Smartphone scannen“, sagt er.

 

„In der Vergangenheit konnten die Verbraucher nur optisch Rückschlusse über die Herkunft der gekauften Fische ziehen. Heute lassen sich über das Scannen der Chips detaillierte Informationen abrufen“, erklärt Chen. Er hofft, dass die Digitaltechnologie in Zukunft auch in anderen Bereichen der Fischzucht zur Anwendung kommt, beispielsweise bei der Überwachung von Wassertemperatur und -qualität im Fischteich. Das würde den Landwirten zeitraubende Routinearbeiten ersparen, sagt er. „Mein großer Wunsch ist es, dass die Fischzucht in Zukunft automatisiert wird.“

 

Laut Xiang Ji, Professor am College für Elektrotechnik an der Zhejiang University, belaufen sich die Kosten pro Mikrochip auf etwa 0,5 Yuan. Fische mit eingesetzten Mikrochips ließen sich später für 40 statt wie bisher für 14 Yuan pro Kilo absetzen, sagt er. Für die Landwirte lohnt sich der Einsatz der Chips also.




 Im Livestreaming-Studio werden die Fische mit implantiertem Plastikchip verkauft.

 Verbraucher können über den kleinen Chip unter der Fischhaut die Herkunft der Ware nachvollziehen

 und außerdem Informationen über die Landwirte abrufen.

 

In Sanlin werden seit mehr als 20 Jahren Schlangenkopffische gezüchtet. Die Mikrochips sind aber längst nicht die einzige technische Neuerung, die das Geschäft der Landwirte in den letzten Jahren umgekrempelt hat. Wer genau hinsieht, erkennt, dass viele kleine intelligente Roboter leise um die Fischteiche schwimmen. Jeder von ihnen ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet. Diese elektronischen Helfer patrouillieren um die mehr als 20 Mu (15 Mu = 1 Hektar) Fischteiche im Dorf, inspizieren und verwalten sie. Dazu erklärt Professor Xiang Ji: „Durch diese ferngesteuerten Fahrzeuge können wir klar erkennen, in welcher Zone es zum Beispiel Probleme mit den Fischnetzen gibt oder welche Zone für die Fischzucht besonders geeignet ist. Die Aquakulturfläche wächst ständig. In Zukunft werden also die Bewirtschaftung von Hunderten oder sogar Tausenden Mu Fischteichen von einer Person zu bewerkstelligen sein.“ Da kämen die Robohelfer gerade recht.

 

Die umfassende Digitalisierung im Dorf Sanlin begann im Jahr 2019. Im April jenes Jahres errichtete die Zhejiang University ein Forschungsinstitut für digitale Landwirtschaft und ländliche Informatisierung im Dorf. Ziel ist es, durch Kooperation zwischen Universitäten und Dörfern ein wegweisendes Modell für die digitale Entwicklung des ländlichen Raums und die digitale Agrarwirtschaft zu schaffen. Du Yingsen, Direktor des Forschungszentrums, sagt: „Der Schlüssel für die Digitalisierung in ländlichen Gebieten liegt in der tiefen Integration digitaler Technologie mit dem Aufschwung der ländlichen Gebiete. Ziel ist es, auf diese Weise eine innovative Triebkraft für die Reform und Entwicklung des ländlichen Raums zu bilden.“

 

Im Juni 2020 veröffentlichte die Zhejiang University den ersten Index für die Entwicklung Chinas digitaler Dörfer. Darüber hinaus beteiligte sie sich an der Erstellung lokaler Standards für die digitale Entwicklung und Verwaltung ländlicher Gebiete. Laut Du Yingsen haben neben der Zhejiang University mittlerweile auch die University of Electronic Science and Technology of China, die South China Agricultural University und die Nanjing Agricultural University eigene Forschungsinstitute für die digitale Entwicklung des ländlichen Raums eingerichtet.

 

Alles auf einen Blick per Digitalgrafik

 

„Das Internet macht es heute viel einfacher, den zuständigen Behörden Probleme zu melden“, sagt Dorfbewohner Jin Fenglin. Vor einigen Tagen entdeckte er, dass die Straßenlaterne vor seinem Wohnhaus nicht richtig funktionierte. Anstatt, wie in der Vergangenheit, einfach abzuwarten, loggte er sich kurzerhand auf der offiziellen Website der Kreisverwaltung von Deqing ein, um das Problem zu melden. Schon am nächsten Tag war die Lampe repariert und leuchtete wieder.

 

Laut Qian Huaying, Mitarbeiter der Arbeitsstation für soziale Verwaltung des Bezirks Beipian in der Gemeinde Yuyue, können die Dorfbewohner mittlerweile viele Angelegenheiten wie Heirats- und Haushaltsregistrierung oder die Erstattung medizinischer Behandlungskosten bequem online abwickeln. „Wenn es Schwierigkeiten beim Onlineantrag gibt, können sie sich entweder an den zuständigen Mitarbeiter in ihrem Wohnviertel wenden oder direkt in unserer Arbeitsstation vorbeischauen“, erklärt er.

 

Auf einem elektronischen Bildschirm im Big-Data-Plattform-Zentrum in der Arbeitsstation ist eine große Grafik zu sehen. Yao Fanglian, stellvertretende Sekretärin der Parteizelle des Dorfkomitees Sanlin, zeigt auf den Screen und erklärt: „Auf dieser Grafik sind alle Informationen über unser Dorf Sanlin zu sehen, einschließlich der Geschäftsbedingungen, der Umgebung, Feedback der Öffentlichkeit oder auch Streitigkeiten unter den Bewohnern.“ Dies habe geholfen, die Dorfbewohner, die über ein weites ländliches Gebiet verstreut leben, besser zu verwalten, sagt sie.

 

Laut ihr bringe der Einsatz der Digitaltechnik viele Vorteile mit sich. „Wir haben einen öffentlichen WeChat-Account eröffnet, auf dem die Dorfbewohner Hygiene- und Brandschutzprobleme melden und Fotos hochladen können. Dies ermöglicht es uns, Probleme effektiver zu lösen“, sagt Yao. Darüber hinaus gelänge es so, Sicherheitsrisiken zu reduzieren. „In der Vergangenheit mussten die für Produktionssicherheit zuständigen Dorfkader jeden Tag Fabriken inspizieren, um eventuelle Brandschutzrisiken zu entdecken. Heute laden sie die bei Inspektionen entdeckten Probleme auf diese digitale Plattform hoch. Ihre Behandlung wird dann online überwacht“, erklärt Yao.

 

Auch hätten Streitigkeiten und Verkehrsunfälle im Dorf deutlich abgenommen. „Durch die Datenverbindung mit der Abteilung für öffentliche Sicherheit konnten wir Konflikte und Streitigkeiten kategorisieren. Dorfbewohnern mit derartigen Problemen kommt heute eine noch intensivere Betreuung zu. Darüber hinaus können wir auch den Streitbeilegungsprozess verfolgen“, erklärt Yao.

 

Unterstützung aus der Gesellschaft

 

Im Jahr 2019 kehrte Chen Zhongliang aus der Stadt in sein Heimatdorf Sanlin zurück, um ein eigenes Unternehmen zu gründen. Der 38-Jährige hat Aquakulturwissenschaften an der Zhejiang Ocean University studiert. Nach seinem Hochschulabschluss im Jahr 2004 versuchte er sich zunächst in der Fisch- und Schildkrötenzucht. Schließlich beschloss er, sich auf die Schildkrötenindustrie zu konzentrieren. Vor sieben Jahren eröffnete er einen Onlineshop auf der E-Commerce-Plattform Taobao. „Im Fernsehen habe ich gesehen, dass mein Heimatdorf in Zusammenarbeit mit der Zhejiang University ein Forschungsinstitut gegründet und auch ein Livestreaming-Studio eingerichtet hat. Das Umfeld für das E-Commerce-Geschäft hat sich also stark verbessert“, erzählt er. In der Heimat habe er dann an einem Ausbildungskurs für E-Business teilgenommen. „2019 erreichte der Gesamtumsatz meiner Online- und Offlinegeschäfte mehr als vier Millionen Yuan“, berichtet er begeistert.

 

„Der Aufbau eines digitalen Modells in den ländlichen Gebieten braucht auch die Unterstützung gesellschaftlicher Kräfte, um gemeinsam verschiedene Plattformen zu errichten“, sagt He Yong, Direktor des College für  Biosystemtechnologie und Lebensmittelwissenschaft und stellvertretender Direktor des Forschungszentrums für digitale Landwirtschaft und ländliche Informatisierung der Zhejiang University. Seiner Ansicht nach sei der Aufbau eines digitalen Modells von entscheidender Bedeutung für den Aufschwung des ländlichen Raums. Um dieses Ziel zu erreichen, waren folgende vier Aspekte von großer Wichtigkeit:

 

Erstens wurde eine digitale Grafik von jedem Dorf entwickelt. Unter der Leitung des Big-Data-Büros der Kreisverwaltung von Deqing legte das Institut für fortschrittliche Technologie der Universität eine Datenbank für die örtlichen Dörfer an, die 232 Arten von Daten aus den Behörden für natürliche Ressourcen, Landwirtschaft und Wasserwirtschaft enthält. Darüber hinaus wurden verschiedene Sensorgeräte integriert, um Datenbarrieren zu überwinden und eine gezielte Verwaltung auf der Basisebene zu verwirklichen.

 

Zweitens wurde in Zusammenarbeit mit der Website www.365lawhelp.com eine digitale Plattform für Rechtsdienstleistungen ins Leben gerufen. Bei der Schlichtung von Streitigkeiten können sich die Mitarbeiter der ländlichen Rechtsdienststation von professionellen Anwälten online beraten lassen, um den Dorfbewohnern so bessere Rechtshilfe bei der Beilegung von Streitigkeiten zu bieten.

 

Drittens bemüht sich die Kreisverwaltung durch neue Verkaufsmodelle wie Livestreaming, Kurzvideos und lokale Internet-Prominente darum, die ländliche Wirtschaft anzukurbeln.

 

Viertens richtete die Kreisverwaltung in Kooperation mit der in China beliebten Audio-Plattform Himalaya eine digitale Bibliothek ein, so dass den Dorfbewohnern ein idealer Ort zur Verfügung gestellt wird, um Wissen und Informationen zu erlangen.

 

Nach Ansicht von Du Yingsen wird Sanlin schon in den kommenden fünf Jahren in Verbindung mit dem Bau neuer Infrastruktur ein umfassendes intelligentes Management verwirklichen. Beispielsweise sollen schon bald automatisierte Tourenbusse auf die Straße geschickt und intelligente 5G-Laternenpfähle installiert werden. Darüber hinaus wird gerade ein neues Modell zur Gesundheitsförderung geschaffen, in dem die medizinische Behandlung im Internet, internetgestützte Gaststätten und Innovationsindustrien miteinander integriert werden.

 

Erforschung neuer Modelle

 

Bei der digitalen Entwicklung des ländlichen Raums ist die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Dörfern ein kreatives Modell zur Förderung der Zusammenarbeit von Industrien, Hochschulen und Forschungsinstituten. Dieses Modell ermöglicht es den Universitäten, den ländlichen Gebieten Talente zur Verfügung zu stellen, während der ländliche Raum gute Plattformen für universitäre Forschungsprojekte und die Anwendung ihrer Forschungsergebnisse schafft.

 

Doch die Vertiefung der Zusammenarbeit bringt auch einige neue Schwierigkeiten mit sich, da die Anwendung der Forschungsergebnisse nicht über Nacht erfolgen kann und man zudem Zeit braucht, um sich an die lokalen Gegebenheiten anzupassen. Daher ist eine langfristige Zusammenarbeit erforderlich. Darüber hinaus ist auch ein unterstützender Mechanismus vonnöten, um dauerhafte Beiträge der Universitäten sowie die Bereitstellung von Geldmitteln und Unterstützungsmaßnahem durch die lokalen Behörden sicherzustellen.

 

Der Weg zur Digitalisierung des ländlichen Raums ist also ein langfristiger Prozess, der noch vor vielen Herausforderungen steht. „Der ländliche Raum gehört nicht nur der ländlichen Bevölkerung. Mit der tiefen Integration von städtischen und ländlichen Gebieten hat der Ressourcenfluss allmählich die inhärenten Barrieren des physischen Raums durchbrochen“, sagt He Yong. Daher gelte es, die Digitalisierung der Dörfer auf Grundlage des Prinzips „Mitgestalten, Mitdiskutieren, Mitprofitieren“ durchzuführen. „Die digitale Entwicklung in den ländlichen Gebieten ist ein langfristiger Prozess. Wir müssen an den von Staatspräsident Xi Jinping vorgeschlagenen Prinzipien festhalten, um die engstirnige Denkweise zu durchbrechen und nach dem Entwurf auf höchster Ebene zusammenzuarbeiten“, sagt er zum Abschluss.

 

*Qu Qiping ist Reporter der „People’s Weekly“.

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