Juni 2005
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20% der Krankheiten der Menschheit stehen im Zusammenhang mit Lebensmitteln. In China liegt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von Getreide bei über 200 kg, von Gemüse bei über 100 kg und von Fleisch bei über 20 kg. China hat eine Bevölkerung von 1,3 Mrd. Menschen, daher handelt es sich bei Lebensmitteln um eine die Volkswirtschaft und die Lebenshaltung des Volkes betreffende, ernst zu nehmende Angelegenheit.

Die Sicherheit der chinesischen Lebensmittel im Zusammenhang mit dem Ereignis „Sudanrot“

Von Qiao Tianbi

Fünf Tage nachdem die British Food Standards Agency den Rückruf der von „Sudanrot“ verschmutzten Lebensmittel verkündet hatte, ordnete die chinesische  Verwaltungsbehörde für Lebensmittelsicherheit an, die heimischen Lebensmittel in diesbezüglicher Hinsicht streng zu kontrollieren. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dass die Verwaltung der Lebensmittelsicherheit in China von Tag zu Tag ihren internationalen Anschluss intensiviert und bereits über die Fähigkeit zur Behandlung unerwarteter Zwischenfälle verfügt. Dennoch führte das Ereignis „Sudanrot“ wieder einmal zur Beeinträchtigung des an sich eher mäßigen Vertrauens der chinesischen Verbraucher in die Lebensmittelindustrie. Gemäß eines neulich vom Handelsministerium bekannt gegebenen Untersuchungsberichts über den Zustand der Lebensmittelsicherheit liegt der Vertrauensgrad der chinesischen Verbraucher zu allen Kategorien von Lebensmitteln niedriger als 50%.

Der den Verhältnissen des Landes entsprechende Zustand der Lebensmittelsicherheit

Obwohl Chinesen großen Wert aufs Essen legen und die Einnahme von Speisen zur Kunst verfeinert haben, wurde erst am Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts das Problem der Versorgung mit ausreichender Nahrung und Kleidung im Großen und Ganzen gelöst. Die chinesische Lebensmittelindustrie hat einen großen Umfang und entwickelt sich rapide. Im Jahr 2004 erreichte der Gesamtproduktionswert der Lebensmittelindustrie 1,6 Billionen Yuan (umgerechnet etwa 193,4 Mrd. US-Dollar), das war ein Anstieg um das Dreifache dem Jahr 1997 gegenüber. Im Jahr 2005 wird er 2 Billionen Yuan (umgerechnet etwa 241,8 Mrd. US-Dollar) betragen. Die Lage der chinesischen Lebensmittelindustrie ist beeinflusst durch den langwierigen Kampf gegen Hunger. He Pinghua, außerordentlicher Professor an der Universität für Agrarwissenschaft Huazhong, ist der Ansicht, dass die Technik zur Steigerung der Produktion schon seit langem weitgehend beachtet wird, aber der Produktionssicherheit von Lebensmitteln und den Informationen über deren Sicherheit hingegen unzureichend Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Zhang Wenrong, Abgeordneter des Volkskongresses aus der Stadt Shanghai, hat mehr als 500 Verkaufsstände in über 200 Märkten für Produkte aus der Landwirtschaft und dem bäuerlichen Nebengewerbe in Shanghai heimlich besucht und untersucht und dabei 150 Probleme der Lebensmittelsicherheit festgestellt. Sein 64 Seiten starker Bericht wurde zur „Konsumentenrichtschnur für die Lebensmittelsicherheit“. Die von ihm festgestellten Probleme beziehen sich hauptsächlich auf die durch Einnahme von Lebensmitteln zugezogenen Virus- oder Infektionskrankheiten, Vergiftungen und durch Einnahme von Arzneimitteln ausgelöste Krankheiten sowie minderwertige und mit gefälschten Warenzeichen versehene Lebensmittel – Besonderheiten der Lebensmittelsicherheit in China. Die latenten Gefahren der Lebensmittelsicherheit bestehen in der Produktion, Verarbeitung und Zirkulation, also in allen Kettengliedern. In der Produktion bestehen immer noch die Probleme des Missbrauchs von verbotenen Pflanzenschutzmitteln, veterinären Arzneimitteln und Zusatzstoffen sowie der die Normen überschreitenden Rückstände, und die in vielen Fällen damit zusammenhängende Morbidität steigt schnell. Aus einer Untersuchung durch das Handelsministerium geht hervor, dass bei auf dem Markt angebotenem Gemüse die Rate der Rückstände von Pflanzenschutzmitteln bei 7% liegt und die festgestellte Rate von Zusatzstoffen wie Clenbuterol, die bei der Schweinezüchtung mageres Fleisch erzeugen, 1,2% beträgt. Der in der Bekämpfung von SARS berühmt gewordene Prof. Zhong Nanshan, Mitglied der Chinesischen Akademie für Ingenieurwesen, weist darauf hin, dass die Konzentration von Spermien von Männern in Guangdong im Vergleich zu der vor 40 Jahren um die Hälfte gesunken ist, weil sich die Probleme mit Lebensmitteln immer mehr verschärfen. Nach dem WTO-Beitritt Chinas bilden die die Normen übersteigenden Rückstände von chemischen Stoffen ein Hindernis für die Ausfuhr der chinesischen Lebensmittel ins Ausland.

In China gibt es etwa eine Mio. Lebensmittelbetriebe und -unternehmen, ca. 70% davon sind kleine, von Familien betriebene Manufakturen, die weniger als zehn Personen beschäftigen. Viele davon halten sich nicht an die staatlichen Sicherheitsnormen für Lebensmittel und haben keine Betriebsnormen, und die fertigen Produkte werden auch nicht kontrolliert. Von den landesweit 50 000 Einzelhandelsunternehmen für Lebensmittel verfügt nicht einmal ein Prozent über ein Untersuchungs- und Kontrollzentrum und von 26 000 Märkten für Produkte aus der Landwirtschaft und dem bäuerlichen Nebengewerbe haben nicht einmal 0,1% eine Abfallaufbereitungsanlage. Aus einer durch das Staatliche Generalamt für die Überwachung und Kontrolle von Qualität und für Quarantäne 2003 durchgeführten Stichprobe geht hervor, dass 82,1% der untersuchten 2000 Lebensmittel den Normen entsprechen und bei den Produkten aus mittelständigen und kleinen Unternehmen der entsprechende Prozentsatz bei 76,2% liegt.

Eine unzureichende Standardisierung der Produktion und Zirkulation schafft den Lebensraum für minderwertige und mit gefälschten Warenzeichen versehene Lebensmittel. Im April des vorigen Jahres wurde der Vorfall mit dem minderwertigen Milchpulver, an dem 13 Säuglinge starben und durch den nahezu 200 Säuglinge unterernährt waren, in Fuyang in der Provinz Anhui an den Tage gebracht. Manche dieser Milchpulver beinhalteten sogar überhaupt keine Trockenmilch und bestanden nur aus Stärkemehl und Zucker. Später wurden im ganzen Land 127 t an minderwertigem Milchpulver sichergestellt. Im Jahr 2004 hat das Staatliche Generalamt für die Überwachung und Kotrolle von Qualität und für Quarantäne 199 000 Fälle von minderwertigen und mit gefälschten Warenzeichen versehenen Produkten mit einem Gesamtwert von 3, 07 Mrd. Yuan sichergestellt und ermittelt.

Der Abstand zu den entwickelten Ländern

Prof. Hu Xiaosong vom Technischen Zentrum für Lebensmittelsicherheit an der Universität für Agrarwissenschaft Chinas sagt, dass in den westlichen Ländern von der Mitte bis zum Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Versorgung mit ausreichender Nahrung und Kleidung vollzogen wurde, was China heute erst gerade erreicht hat. Es sind heute hauptsächlich städtische Bewohner, die die Lebensmittelsicherheit beachten. Was in den westlichen Ländern innerhalb eines halben Jahrhunderts im Aufbau des gesetzlichen Regelwerks und des Kontroll- und Verwaltungssystems für die Lebensmittelsicherheit erzielt wurde, können wir nicht innerhalb einiger weniger Jahre erreichen.

In Wirklichkeit hat sich der Zustand der Lebensmittelsicherheit erheblich verbessert. In der Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts lag die Rate der den Normen entsprechenden landwirtschaftlichen Produkte und Lebensmittel nur bei 60% bis 70%. In der Mitte der 90er Jahre erreichte sie etwa 80%. Im neuen Jahrhundert wurde sie im Großen und Ganzen auf über 90% erhöht auch unter der Voraussetzung, dass die Normen selbst in hohem Maß nach oben gesetzt wurden.

1995 wurde das Gesetz über die Lebensmittelhygiene in China erlassen. 2003 wurde der Aktionsplan für die Lebensmittelsicherheit in Gang gesetzt. Der Staatsrat hat schon immer die Bekämpfung der Produktion und des Vertriebs von minderwertigen und mit gefälschten Warenzeichen versehenen Lebensmitteln als einen der Schwerpunkte der Regulierung und Standardisierung der Marktordnung bestimmt. 2002 wurde die Durchführung des Systems des Marktzugangs für Lebensmittel in China in Angriff genommen, dabei sind bereits 28 große Kategorien von Lebensmitteln ins Kontroll- und Verwaltungssystem einbezogen. Heute ist die Arbeit für den Marktzugang für fünf Kategorien von Lebensmitteln, die in engem Zusammenhang mit den Verbrauchern stehen, nämlich Reis, Mehl, Speiseöl, Sojasoße und Essig, bereits abgeschlossen. Die Produktionsmenge der Unternehmen, denen der Marktzugang gewährt ist, macht mehr als 95% des gesamten Absatzes dieser Produkte auf den Märkten im ganzen Land aus.

12 000 Unternehmen, die für die Produktion keine Lizenz haben, wurden ermittelt und bestraft. Etwa 50% der Unternehmen, die den Normen des Marktzugangs nicht entsprechen, wurden ausgeschieden. Die Arbeit für den Marktzugang für zehn Kategorien von Lebensmitteln wie Fleischprodukte, Milchprodukte und Getränke befindet sich in der Endphase und die entsprechende Arbeit für 13 Kategorien von Lebensmitteln wie Tee und Süßigkeiten ist bereits in Gang gesetzt. 2003 wurde das Projekt „Sorgenfreie Lebensmittel und Medikanmente“, das Lebensmittelproduktion, -zirkulation und -verbrauch umfasst, in Angriff genommen und die Ergebnisse der Qualitätsstichproben werden regelmäßig bekannt gegeben.

Frau Wu Yi, stellvertretende Ministerpräsidentin, weist bei der Eröffnungszeremonie des Forums über die globale Lebensmittelsicherheit darauf hin: „Zwar hat sich die Lage der Sicherheit der Lebensmittel in China gewissermaßen verbessert, die Arbeit für die Lebensmittelsicherheit ist aber schwer und hat noch einen langen Weg zu gehen.“ Selbst an der schnellen Reaktion auf das Ereignis „Sudanrot“, die weite Anerkennung fand, ist zu erkennen, dass sich das Verfahren und das Arbeitsmodell für eine Durchführung umfassender Untersuchungen und Überprüfungen nach der Feststellung der Probleme in der Sicherheitsverwaltung für Lebensmittel in China noch nicht von Grund auf verbessert haben, was auf einen erheblichen Abstand zu den entwickelten Ländern hindeutet.

Gemäß den 1996 in China erlassenen Normen ist es verboten, Sudanrot in der Produktion von Lebensmitteln zu verwenden, die entsprechenden Messungen wurden aber lange Zeit nicht vorgenommen, zumal die diesbezüglichen Kennziffern fehlten. Das zeigt gerade die Problematik auf, dass die Normen für die Lebensmittelsicherheit zurückgeblieben und uneinheitlich sind. In den chinesischen Normen für die Lebensmittelsicherheit machen die übernommenen internationalen bzw. ausländischen Normen nur 23% aus. Die chinesischen staatlichen Normen oder die Normen für bestimmte Branchen sind niedriger als die entsprechenden internationalen bzw. ausländischen Normen. Einzelne in entwickelten Ländern verbotene Zusatzstoffe werden in China mit Erlaubnis weiter verwendet. Zur Zeit wird in China die Verwendung von über 1500 Zusatzstoffen in der Lebensmittelproduktion erlaubt, für einen Teil davon gibt es noch keine staatlichen Normen, für manche Zusatzstoffe fehlen die Normen für die Obergrenze in der Verwendung und daher auch entsprechende Messmethoden und -kennziffern. Manche Lebensmittelnormen überschneiden sich. Beispielsweise gibt es in China vier Normen für Wein, aber keine davon beinhaltet die Klassifikation von Qualitäten. Zhu Yicai, Vorstandsvorsitzender der Yurun-Gruppe, eines bekannten Lebensmittelproduzenten in China, meint, die Lebensmittelnormen sind uneinheitlich, das verursacht nicht nur Verwirrungen bei Verbauchern, sondern auch Widersprüche auf dem Markt und Orientierungslosigkeit der Unternehmen.

China hat nahezu zehn Behörden, die die Funktion der Kontrolle und Verwaltung der Lebensmittelsicherheit ausüben, damit sind über eine Mio. Personen beschäftigt. Sun Xianze, Abteilungschef des Staatlichen Amts für Kontrolle und Verwaltung von Lebensmitteln und Medikamenten, sagt: „Die Kontrolle und Verwaltung der Lebensmittelsicherheit in China betreffen verschiedene Behörden, deren Funktionen sich überlagern. Manche davon behindern einander sogar gegenseitig, so dass die Fachkräfte und Arbeitsressourcen für die Kontrolle der Lebensmittelsicherheit weit verstreut sind und eine Vereinigung der Arbeitskräfte fehlt.“ Viele Experten schlagen vor, zugunsten der zentralisierten Verwaltung der Lebensmittelsicherheit eine Kommission für die Lebensmittelsicherheit zu gründen.

Der Einfluss der Lebensweise

Zong Qinghou, Vorstandsvorsitzender der Wahaha-Gruppe, des größten Getränkeunternehmens in China, sagt: „Die Lebensmittelsicherheit geht weit über den Bereich der Lebensmittel hinaus und ist bereits eine grundlegende Angelegenheit des öffentlichen Gesundheitswesens geworden. Sie hat Auswirkungen auf die Wirtschaftslage des Landes und die Lebenshaltung des Volkes.“

Das Zentrum für Vorbeugung, Behandlung und Kontrolle von Krankheiten der Stadt Hangzhou hat mehr als zwei Jahre für ein Projekt aufgewandt, dessen Ergebnis zeigt, dass die versteckten Gefahren in manchen traditionellen chinesischen Delikatessen nicht kleiner als Sudanrot sind; dabei handelt es sich um sechs Arten von geräucherten und gebratenen Speisen und 13 Arten von eingesalzenen und gegorenen Speisen wie Brathühnern, Bratenten, geräucherten Fischen, eingesalztem Fleisch und Schinken, eingesalzenem Gemüse und gekochten, gegorenen und gesalzenen Bohnen.

In der Zwischenzeit hat sich die Struktur der Lebensmittel der Chinesen verändert: Die hauptsächlich aus Getreide und Gemüse bestehende Nahrung wird durch Speisen mit hohem Kalorie-, Nährstoff- und Fettgehalt ersetzt. Die Vorliebe für Fastfood bringt auch eine versteckte Gefahr für die Sicherheit der Lebensmittel mit sich. Zur Zeit haben fast 200 Mio. Chinesen Übergewicht, 60 Mio. davon leiden an Fettsucht. Die mit der Ernährung eng zusammenhängenden Krankheiten wie kardioangiologische Krankheiten, Diabetes und Schlaganfälle treten immer häufiger auf. Prof. Hu Xiaosong vom Technischen Zentrum für die Lebensmittelsicherheit der Universität für Agrarwissenschaft Chinas, sagt: „Unsere Nahrungsstruktur und die Struktur der Beeinflussung durch die Lebensmittel erfahren gerade eine tiefgreifende Veränderung. Die unrationalen Strukturen bringen für das Gesundheitswesen schwerwiegende latente Gefahren mit sich.“

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