Juni 2005
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Veränderungen beginnen an der Basis

Von Mitarbeiterin Zhang Xueying

Die chinesische Wirtschaft hat zwei Jahrzehnte lang ihr rapides Wachstum beibehalten. Das Ergebnis? China nimmt nun weltweit den vierten Platz im Auslandshandel ein und ist die sechstgrößte wirtschaftliche Kraft. Trotzdem entstehen neue soziale Probleme, während die Reform des politischen Systems in China danach trachtet, mit der Wirtschaftsreform Schritt zu halten. Um diese Probleme zu lösen, stellte die chinesische Regierung vor kurzem ein neues politisches Konzept auf: eine Gesellschaft aufzubauen, die durch Demokratie und gesetzmäßige Verwaltung, Fairness und Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Freundlichkeit, volle Vitalität, Stabilität und Ordnung sowie die Harmonie zwischen Mensch und Natur gekennzeichnet ist. Große Veränderungen finden in allen Sphären der Gesellschaft statt, wovon besonders Chinas 900 Millionen Bauern profitieren.

Die Regierungsmacht in die Hände des Volkes zurückgeben

Im heutigen China werden sowohl auf der städtischen als auch ländlichen Basisebene demokratische Wahlen zunehmend standardisiert und institutionalisiert. Das chinesische Ministerium für Zivile Angelegenheiten gab bekannt, dass dieses Jahr ungefähr 300 000 Dorfkomitees Wahlen abhalten werden.

Gao Xianming, ein Abgeordneter des Nationalen Volkskongresses, der 29 Jahre lang als Vorsitzender seines Dorfkomitees gedient hat, sah sich einer neuen Herausforderung gegenüber. Um auf seinem Posten verbleiben zu können, musste er die lokalen Dorfwahlen gewinnen. Das neu eingeführte Organisationsgesetz für Dorfbewohnerkomitees betont, dass Kandidaten durch offene „Meereswahlen“ gewählt werden müssen, was bedeutet, dass sie von mindestens zehn Wählern nominiert werden müssen. Außerdem dürfen Organisationen keine Kandidaten mehr nominieren. Gao Xianmings Heimatort, das Dorf Zanli, hat 400 Haushalte. Zwei Kandidaten wurden hier nominiert und Gao war einer von ihnen.

Das Dorf Zanli liegt in dem abgelegenen autonomen Bezirk Garze der tibetischen Nationalität in der Provinz Sichuan. Es ist ein blühendes Dorf und weithin bekannt für seinen Gemüseanbau. Gemüsehändler aus den umliegenden 18 Kreisen wie auch von Tibet und Qinghai kommen hierher, um ihren Nachschub aufzustocken.

„Die Teilnahme der Dorfbewohner an den Wahlen ist entscheidend für den Aufbau eines demokratischen Systems in Chinas ländlichen Gebieten“, sagt He Baogang, Professor an der australischen University of Tasmania, der Forschung über das Wahlsystem in Chinas weiten ländlichen Gebieten betreibt. „Wirtschaftliche Interessen haben den Enthusiamus der Bauern für die Teilnahme an den lokalen Wahlen sehr vorangetrieben. Je reicher ein Dorf ist, desto enthusiastischer sind die Bauern bei der Teilnahme, weil sich hinter dem Wahlrecht große wirtschaftliche Vorteile verbergen.“

Letztendlich gewann Gao Xianming die Wahlen haushoch und er nimmt weiterhin das Amt des Vorsitzenden des Dorfkomitees ein. Ein Mitarbeiter des Volkskongresses der Provinz, der die lokalen Verhältnisse kennt, sagt, dass der Wohlstand des Dorfes Zanli auf Gao Xianmings tüchtiger Arbeit und seinem scharfen Sinn für die Wirtschaft beruht. Er schützt die Interessen der Dorfbewohner vehement und ist in der Gemeinde weithin beliebt und respektiert.

„In der Vergangenheit wurden alle Beamten ernannt“, sagt He Baogang. „Sie waren nur ihren Vorgesetzten gegenüber verantwortlich, manchmal ging das auf Kosten der Interessen der Volksmassen. Nun können die Bauern durch diese Wahlen direkt ihre Rechte und Interessen schützen.“

Konflikte lösen

2004 hatten das wirtschaftlich entwickelte Perlfluss- und Yangtsedelta einen Mangel an Arbeitskräften und etliche Streiks. Der Arbeitskräftemangel hatte schlimme Auswirkungen auf den Betrieb vieler Fabriken dieser zwei Regionen. Viele Unternehmen mussten Bestellungen ablehnen und manche überlegten sich sogar die Übersiedlung in andere Landesteile. Bestimmte Lokalregierungen taten sich mit den Unternehmen zusammen, um Arbeiter von anderswo anzuheuern.

Ein Gutachterbericht des Ministeriums für Arbeit und Sozialabsicherung enthüllt einige Gründe für den Arbeitermangel: Langfristige Lohnstagnation, unzulängliche Garantien der Rechte und Interessen von Arbeitern, ein zunehmender Bedarf an Arbeitskräften und eine veränderte Art des Wirtschaftswachstums in Zeiten der Reform.

Tatsache ist, dass Wanderarbeiter lange Zeit unter unzureichendem Schutz ihrer Rechte litten, aber der Arbeitskräftemangel war ein Schock für alle Beteiligten. Statistiken zeigen, dass in der Stadt arbeitende Bauern ungefähr 46% der Beschäftigten im sekundären und tertiären Sektor der chinesischen Industrie ausmachen. Die Anzahl der Wanderarbeiter, die in chinesischen Städten Arbeit suchen, soll sich in den kommenden Jahren jährlich um durchschnittliche fünf Millionen erhöhen.

Diese Generation von Wanderarbeitern ist anders als die vorhergegangenen. Mit einer besseren Ausbildung und mit Zugang zu Technologien wie das Mobiltelefon sind sie sich ihrer Rechte viel bewusster und können sie auch besser wahren. Lu Xueyi, anerkannter Soziologe und Forscher der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, hat durch seine Forschung herausgefunden, dass Wanderarbeiter vom Land generell ein höheres Bildungsniveau haben, als diejenigen, die im Dorf verbleiben. Darüber hinaus sind viele unter ihnen Abgänger von berufsbildenden Schulen und Fachhochschulen. Sie ziehen in die Städte, nicht nur um Geld zu verdienen, sondern auch um die entsprechenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rechte zu erlangen, die mit ihren Beiträgen für die Gesellschaft in Einklang stehen. Sie haben einige Interessengruppen gegründet und schließen sich zusammen, um die Wahrung ihrer Rechte abzusichern.

Eine direkte Folge des Arbeitskräftemangels war eine Zunahme der Löhne im Perlflussdelta, in Suzhou, Wuxi und Hangzhou. Unternehmen in Zhejiang, Guangdong und Shandong bemerkten den Druck auch. Die Lokalregierungen helfen den Wanderarbeitern beim Aushandeln der Löhne. Die Entwicklung von Gewerkschaften und anderen autonomen Organisationen führte dazu, dass kollektive Verhandlungen über Löhne in Angriff genommen wurden.

„In der Vergangenheit kam es vor, dass Regierungsbeamte sich eher für einzelne Wanderarbeiter einsetzten, als für große Gruppen. Eigentlich ist das nicht die Aufgabe der Regierung“, sagt Sun Liping, Soziologe an der Universität Tsinghua. „Gewerkschaften sollten im Namen einer bestimmten Gruppe handeln, da Individuen nicht immer die Macht haben, für sich selbst zu verhandeln. Organisationen können sich ständig mit Verhandlungen befassen, sodass Konflikte gelöst werden können, wenn sie auftauchen.“

Im Herbst 2004 wurden Bauern, die zu Arbeitern geworden waren, das Recht erteilt, Gewerkschaften beizutreten. Gleichzeitig schlug der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund der Regierung vor, dass sie Maßnahmen ausarbeitet, die die Löhne der Wanderarbeiter garantieren, und dass sie vom Arbeitskontrollamt streng vollstreckt werden. Zusätzlich zur Begleichung der Rückstände der früheren Löhne, sollen die schuldigen Unternehmen auch Kompensationen bezahlen. Der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund gab auch den Ratschlag, dass das Strafgesetz überarbeitet wird, um Unternehmer, die die Auszahlung von Löhnen vorsätzlich verzögern, vor Gericht bringen zu können.

Im November 2004 gab der Staatsrat die Vorschriften über die Überwachung der Arbeitssicherheit und auch Vorschriften über die Mindestlöhne und Kollektivverträge heraus.

„Die Lohnstreitigkeiten, die letztes Jahr vorkamen, können als Ergebnis von Chinas unvollständiger Marktwirtschaft betrachtet werden“, sagt Li Shuguang, Professor an der Universität für Politik- und Rechtswissenschaften Chinas. „Was soll die Regierung nun unternehmen? Zu einer Verwaltungsordnung zurückkehren, die an die Planwirtschaft erinnert, oder sich schrittweise aus dem Markt zurückziehen und gleichzeitig die verschiedenen Interessengruppen koordinieren? Die Lösung dieses Problems wird den Aufbau einer harmonischen Gesellschaft bestimmen.“

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