Juni 2005
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Laotse – der Begründer der taoistischen Philosophie

Von Hou Jueliang

Im westchinesischen Gebirge Dadashan, einer ehemaligen Hochburg des Taoismus, bin ich beheimatet. Dort gibt es überall „Alter-Meister-Tempel“ (Laotse-Tempel). Laotse (Laozi), der Begründer der taoistischen Philosophie, wird von den Taoisten als Gottheit und „Hocherhabener alter Herrscher“ verehrt.

Laotses Familienname ist Li, sein Vorname Er. Oft wird er auch alter Meister genannt. Er war ein Zeitgenosse von Konfuzius. Historischen Aufzeichnungen zufolge suchte Konfuzius Laotse einmal auf, um von ihm Riten zu lernen. Damals diente Laotse als Archivar am Hofe der Zhou-Dynastie. Als er den Niedergang der Zhou-Dynastie erkannte, zog er sich aus dem öffentlichen Dasein zurück und ritt auf einem Büffel gen Westen. Die Überlieferung weiß zu berichten, dass er am Grenzpass von dem wachhabenden Beamten aufgehalten wurde. Der letztere bat ihn, seine Lehren aufzuzeichnen, worauf er ein Buch von 500 Worten niederschrieb, dem Beamten übergab und verschwand. Das Buch trug den Titel „Daodejing“ (Tao-te-king), in dem die Taoisten ihren klassischen taoistischen Kanon sehen.

Diese Legende ist zwar interessant, aber historisch nicht belegt. Forschungsergebnisse von Sachverständigen weisen darauf hin, dass das Daodejing von Laotses Schülern geschrieben und erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde. Sie vertreten den Standpunkt, das Daodejing stelle eine Niederschrift seiner Gedanken und daher eine literarische Kostbarkeit der alten chinesischen Philosophie dar. Wer sich mit dem taoistischen Gedankengut beschäftigen möchte, sollte unbedingt mit diesem Buch anfangen.

Wer es gelesen hat, der kann feststellen, dass Laotse klare Kriterien für Liebe und Hass schuf. Zu seiner Zeit litt das Volk unter fortwährenden Kriegswirren und wurde ausgebeutet, während die herrschende Klasse in Saus und Braus lebte. Laotse entrüstete sich: Einerseits hungerten die Bauern, besaßen nicht die Mittel zur Beschaffung der Getreidesamen und waren auch körperlich nicht mehr in der Lage, landwirtschaftliche Arbeiten durchzuführen, woraus sich stark verminderte Steuereinnahmen ergaben, die zusammen mit der Verschwendungssucht der herrschenden Klasse eine leere Staatskasse mit sich brachten. Laotse kritisierte andererseits die Pracht des Herrscherpalastes und verglich die Regierenden mit Räuberhorden. Schonungslos warnte er sie: „Das Volk hat keine Furcht vor dem Tod. Was nützt eure Drohung mit dem Tod? Wer Freude dabei empfindet, das Volk einzuschüchtern, den werde ich fangen und töten!“

Angesichts der finsteren und chaotischen Realität arbeitete er ein Konzept zur Verwaltung des Landes aus, das seine philosophischen Gedanken verkörperte.

Erstens: Regieren mit passiver Aktivität. Zu den gesellschaftlichen Problemen vertrat Laotse die Auffassung, allem seinen freien Lauf zu lassen. Er sagte: „Himmel und Erde üben keine Barmherzigkeit und lassen alle Wesen naturgemäß gedeihen. Echte Weise üben ebenfalls keine Barmherzigkeit und lassen das Volk frei und zügellos leben.“ Er verglich das Regieren des Staates mit dem Fischkochen. Das heißt, man muss beim Kochen kleinerer Fische sorgfältig vorgehen und sie nicht zu viel umrühen, da sie sonst zerkleinert werden. Dieses philosophische Prinzip war gegen die These der Herrscher „Regieren mit passiver Aktivität“, so Laotse, stelle den Weg des Himmels dar; „Regieren mit aktiver Aktivität“ den Weg des Menschen. Der Weg des Himmels sei der beste, der Wg des Menschen hingegen der schlechteste. „Mit den von den Reichen abgenommenen Gütern die Armen unterstützen“ sei der „Weg des Himmels“. Doch sei dieser Weg abgelehnt und durch den des Menschen ersetzt worden. Man handele nach dem Prinzip „Mit Hab und Gut der Armen die Reichen ernähren“. Offensichtlich vertrat Laotse die armen Menschen. Aber sein philosophische These ist schließlich nur passiv und gegen die subjektive Aktivität des Menschen gerichtet.

Zweitens: Auf die Weisen und die Weisheit solle verzichtet werden. Wenn die Weisen nicht von der Gesellschaft akzeptiert werden, und das Volk nicht von ihnen lernt, gibt es keine Jagd nach Macht und Reichtum. Laotse lehnte Wissen und Weisheit ab, indem er sagte, das Volk sei schwer zu regieren, weil es Kenntnisse besitze. Warum versuchten sich die Menschen zu betrügen und überlisten? Der Grund liege in der trügerischen Rolle der sogenannten Weisheit. Deshalb sei es am besten, der Mensch lebe wie ein Säugling in der Wiege in den Tag hinein und kümmere sich um nichts. Er meinte, dass das Volk ohne Weise und Weisheit um so glücklicher leben könne. Wenn man nicht nach Zielen strebe und nach Profit und Reichtum jage, würde es keinen Diebstahl und Raub mehr geben. Ferner schilderte Laotse seine Vorstellung über ideale Gesellschaft; der Staat solle klein und nur wenig bevölkert sein. Die täglichen Gebrauchsgegenstände, jedoch auch Wagen und Schiffe seien in dem Fall ungefährdet. Das Volk ziehe seine Heimat vor und möchte weder umziehen noch wandern. Alle liebten den Frieden. Panzer und Waffen seien im Lager untergebracht. Alle lebten glücklich und abgeschieden. Laotse war unzufrieden mit der damaligen Gesellschaft, versuchte jedoch nicht, sie umzugestalten. So schlug er vor, zu der Gesellschaft der kleinen, dünn besiedelten Länder zurückzukehren.

Der höchste Begriff der Philosophie von Laotse stellt das Tao (Weg, Bahn) dar, das vor dem Himmel und der Erde entstanden ist, ewig und überall existiert und sich nicht sehen, hören und tasten lässt. Mit diesem Begriff erklärte Laotse die Entstehung, Entwicklung und den Wandel des Weltalls, und aller Wesen. Er sagte, das Tao habe das Chaos, den ursprünglichen Zustand des Weltalls, entstehen lassen. Das Chaos habe sich zu Yin und Yang (dem negativen und positiven Prinzip in der Natur) geteilt. Wegen seiner Klarheit sei Yang nach oben gegangen und zum Himmel geworden, während sich das trübe Yin zur Erde entwickelt habe. Unter der gemeinsamen Wirkung von Yin und Yang sei der Mensch entstanden. Der Himmel, die Erde und der Mensch verfügten über eine unglaubliche Kraft, die alle Wesen sich entwickeln und gedeihen ließ.

Zu seiner Zeit dominierte die Auffassung, dass die materielle Welt von Göttern erschaffen wurde. Laotse stellte aufgrund seiner Überlegungen eigene Theorien auf, die den vorherrschenden widersprachen. Großartig war bei ihm seine Erkenntnis der Entstehung, Entwicklung und des Wandels von Dingen. All diese Prozesse werden von der Gesetzmäßigkeit der Naturentwicklung gelenkt. Obwohl er die Gesetzmäßigkeit erkannt hatte, konnte er sie nicht klar zum Ausdruck bringen und kam gezwungenermaßen auf das „Tao“. In seiner Weltanschauung stellt das Tao die Mutter aller Wesen dar, d. h. der Geist erzeugt die Materie. Im Grunde genommen ist diese Weltanschauung idealistisch. Manchmal stellte er das „Tao“ als „Nichtsein“ und das „Chaos“ als „Sein“ hin, indem er sagte: „Alle Wesen auf der Erde sind aus dem Sein entstanden, und das Sein aus dem Nichtsein.“ So können wir Laotses Weltanschauung kurz zusammenfassen: Aus dem Nichtsein kommt alles. Losgelöst von der Metaphysik entdeckte er die Ursache der Entwicklung und des Wandels von Dingen. „Sich in die entgegengesetzte Richtung zu entwickeln, stellt die Bewegung des Taos dar“, sagte Laoste in seiner schlichten Dialektik.

Ein bekanntes Diktum von Laotse lautet: „Ein Unglück folgt einem Glück, und das Glück ist bereits im Unglück geboren.“ Laotse überragte mit seiner beachtlichen Ausdrucksmöglichkeit seine Zeitgenossen. Wenn man seine Werke heute liest, kann man immer noch Anregungen und Erkenntnisse aus ihnen schöpfen.

Aus China im Aufbau, Nr. 4, 1986

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