Juni 2005
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Das Leben mit dem Auto

Von Zhou Jian

China wurde lange Zeit „Land der Fahrräder“ genannt. Auch heute werden hier die meisten Fahrräder der Welt produziert, exportiert und benutzt. Aber der Beiname „Land der Fahrräder“ verbleicht mit der Zeit. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich immer mehr Chinesen ein Auto leisten können.

Neuesten Statistiken zufolge gibt es allein in Beijing knapp 2,3 Mio. Kraftfahrzeuge. Privatautos scheinen in China nach der SARS-Epidemie 2003 wie Bambussprossen nach einem Frühlingsregen emporzusprießen, weil man damals wegen der Ansteckungsgefahr Angst hatte, öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen. Der wirkliche Grund besteht, meinen viele, allerdings eher darin, dass der Lebensstandard der Chinesen nach der mehr als 20-jährigen Öffnungs- und Reformpolitik wesentlich erhöht worden ist.

Die neuen Autobesitzer sind in China zum großen Teil jüngere Leute. Sie verdienen viel besser als die Generation ihrer Eltern, oder man kann sagen, dass sie die Konsumweise, mit Bankkrediten eine Wohnung, ein Auto oder andere teure Dinge zu kaufen, leichter annehmen können. Wegen des schnellen Lebensrhythmuses verfügt man besonders in einer Großstadt über einen kleinen Freundeskreis. So haben die Leute, vor allem die jungen, die ein Auto gekauft haben, den großen Wunsch, durch Autos neue Freunde kennen zu lernen, um ihr Leben zu bereichern. Vor diesem Hintergrund sind in diesen Jahren viele Autoklubs entstanden, die von Autobesitzern spontan meist je nach der Automarke gegründet wurden, darunter sind der Jetta-, der Bora-, der Passat-, der Elysée- und der Mazda-Klub. Darüber hinaus gibt es auch Klubs verschiedener Automarken und -arten, z. B. der Jeep-Klub und der XCAR-Klub. Alle Autoklubs werden auf eigenen Websites betrieben, und die Mitglieder zahlen keine Klubbeiträge. Übrigens ist es interessant, dass es keine Autoklubs, die von Besitzern der schweren Luxusautos wie BMW oder Mercedes-Benz spontan errichtet wurden, gibt.

Bao Yu hat ein Auto der Marke Elysée, ein Produkt des Joint-ventures zwischen Dongfeng (China) und Citroën, das im Juni 2002 auf den Markt gebracht wurde. Er stammt aus Beijing und arbeitet in dieser Stadt als Anästhesist im Hauptkrankenhaus der Chinesischen Volksbefreiungsarmee (Krankenhaus 301). Ende 2002 kaufte er sein Auto um 141 800 Yuan. Mit der 10% Steuer für den Autoeinkauf und der mehr als 5000 Yuan betragenden Versicherungsprämie pro Jahr gab er insgesamt ca. 160 000 Yuan (ungefähr 16 000 Euro) aus. Danach fand Bao Yu eines Tages zufällig im Internet eine Website, die von einigen Elysée-Autobesitzern gegründet worden war und ihm sofort gefiel. Sie besteht aus mehreren Teilen wie Homepage und Rubriken für Wartung und Reparatur, für Freizeitgestaltung, für Literatur, Popmusik usw. Darauf kann man sich über alle Themen austauschen, natürlich vor allem über diejenigen, die mit Autos zu tun haben, wie Fahrerfahrungen, neue Verkehrsbestimmungen sowie Benzinpreise. Über diese Website werden außerdem Ausflüge, Sport- und andere Veranstaltungen organisiert. Somit kann man sich auch in der realen Welt kennen lernen. Auf der Website haben sich alle einen Internet-Namen zugelegt.

Bisher haben sich knapp 10 000 Besucher der Website www.elyseeclub.com als Mitglieder des Elyséeklubs, natürlich mit einem Internet-Namen, eingetragen, und die Zahl nimmt mit jedem Tag zu. In der wirklichen Welt ist die Zahl der Mitglieder, die ein Elysée-Auto besitzen, bestimmt nicht so hoch. So nahmen jeweils nur mehr als 100 Elysée-Autobesitzer mit ihren Familienangehörigen oder Freunden an der Jahresversammlung 2003 und 2004 teil. Wie viele andere Autoklubs ist der Elyséeklub ebenfalls spontan gegründet worden und zielt nicht darauf ab, Gewinn einzubringen. Zur Zeit ist Bao Yu der Zuständige für Fußballspiele des Klubs und gleichzeitig der Mannschaftskapitän. Er hat an mehreren Wochenenden zahlreiche Spiele organisiert. Für jedes Spiel muss er vorher eine Gegnermannschaft suchen, den Spielplatz mieten und die Route, auf der man den Spielplatz erreichen kann, in der Rubrik „Sport“ der Klub-Website bekannt machen. Außerdem hat er dafür gesorgt, einheitliche Trikots für verschiedene Jahreszeiten und Fußbälle zu kaufen. Die Kosten dafür und die Miete eines Spielplatzes tragen alle Teilnehmer. Alles, was Bao Yu für den Klub gemacht hat, ist unentgeltlich. Es gibt im Klub noch mehrere Mitglieder wie Bao Yu, die lobend „Freiwillige Arbeiter“ genannt werden. Weil das Fußballspiel viel Körperkraft in Anspruch nimmt und die meisten Mitglieder des Klubs schon über 30 Jahre alt sind und in den Jahren nach ihrem Studienabschluss wenig bzw. keinen Sport getrieben haben, entwickelte sich diese Veranstaltung nicht zufriedenstellend. Die Mannschaft des Klubs konnte bei den Matchs nie gute Leistungen erzielen, und ab und zu kamen sogar weniger als elf Spieler. Am Anfang machte sich Bao Yu Sorgen deswegen und beklagte sich manchmal darüber. Mit der Zeit hat er allmählich akzeptiert, dass Teilnahme wichtiger als Leistung ist und es für Fußballamateure Spiele statt Wettkämpfen geben sollte.

Am 23. März dieses Jahres stiegen in China die Benzinpreise erneut. Ein Liter Benzin Nr. 93 (Oktanzahl), eine Bezinsorte, die ungefähr „Normal“ in Deutschland entspricht und von den meisten chinesischen Autofahrern benutzt wird, kostet jetzt in Beijing 3,92 Yuan. Man sagt, dass dieser Preis bis auf 10 Yuan pro Liter steigen würde. Während Autofahrer sich darüber beklagen, gibt es auch die Leute, die meinen, dass in China die Benzinpreise weiter gesteigert werden sollen, bis viele auf das Autofahren verzichten, weil das Problem der Luftverschmutzung schon sehr kritisch geworden ist. Wenn man die Tatsache betrachtet, dass es in China so viele Menschen gibt und die Städte überbevölkert sind, scheint die Politik der Regierung, die Produktion von billigen Autos zu fördern und Bürger zum Autokauf anzuspornen, nicht so vernünftig zu sein, meinen viele Chinesen. Die statistische Angabe darüber, wie viele Privatautos es unter 100 Chinesen gibt, ist für die Regierung von großer Bedeutung, um das Modernisierungsniveau Chinas zu zeigen. Außerdem kann die Regierung daraus viel Geld in Form der Steuern, entweder von Autoproduzenten oder von Konsumenten, erhalten.

Vor kurzem war in einer Zeitung ein Artikel mit dem Titel „BIP soll nicht alles bedeuten“ zu lesen. In der Tat haben immer mehr Chinesen, darunter auch Beamte und Experten, eingesehen, dass Umweltschutz mindestens so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als die wirtschaftliche Entwicklung ist.

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