30 Jahre Reform- und Öffnungspolitik in China – ein persönliches Fazit

Von Fan Ming

 

Anfang der 1980er Jahre wurde mit der Reform- und Öffnungspolitik in den chinesischen Städten begonnen. Mit der Öffnung nach Außen hatte ich eine Gelegenheit, im Ausland zu arbeiten und zu studieren. Dadurch wurden meine Lebensqualität und meine beruflichen Fähigkeiten verbessert.

Eines Tages sagte mir unser Abteilungsleiter, dass eine chinesische Baufirma zwei deutsche Dolmetscher, die mit der Filiale Hebei zusammen in einer deutschen Baufirma im Irak arbeiten sollten, vorübergehend ersetzen wolle.

Ich habe mich angemeldet. Ich und mein Kollege Zhang wurden vom Leiter ausgewählt. Wir flogen über Amman nach Bagdad. Die deutsche Baufirma war verantwortlich für den Bau des dortigen Rathauses. Die Filiale Hebei bot die Arbeitskräfte an. Meine Aufgabe bestand darin, für einen chinesischen Bauingenieur und einen deutschen Polier zu dolmetschen.

Aller Anfang ist schwer. Nachdem ich die Universität im Jahre 1965 absolviert habe, hatte ich mich lange nicht mit der deutschen Sprache beschäftigt. Ich habe die so genannte „Kulturrevolution“ miterlebt und arbeitete vier Jahre und acht Monate lang in einer Kaderschule in der Provinz Jiangxi. In der Kaderschule durfte man keine Fachbücher lesen, sonst wurde man dafür gescholten, den vom Vorsitzenden Mao vorgegebenen „Siebten-Mai-Weg“ nicht gehen zu wollen. Was ich an der Universität gelernt hatte, hatte ich fast verlernt. Zum Beispiel sagte mir der deutsche Polier: ,,Holen Sie eine Wasserwaage!” Ich habe es nicht verstanden. Ich dachte: ,,Was ist eine Wasserwaage? Wasser kenne ich, aber die Waage kenne ich nicht.” Der Polier Karl zeigte es mir mit dem Finger: ,,Da! Hinter Ihnen!” ,,Ach, so! Die Wasserwaage ist ein Messinstrument mit eingesetzter Libelle zur Prüfung der waagerechten, senkrechten, geneigten Lage.” In der Praxis lernte ich Deutsch. Zwei Wochen später verstand ich, was der Polier sagte.

Im Irak ist es sehr heiß. Im Sommer kann es unter einem Sonnenzelt 58 Grad werden. Wenn man im Sommer mit der Hand nach einem Eisenrohr greift, bekommt die Hand Brandwunden und sogar Haut kann man dabei verlieren. Wenn man im Winter mit der Hand ein Eisenrohr ergreift, friert die Hand am Rohr fest. Unter der Sonne arbeiteten einige Betonstahlarbeiter sehr fleißig und schnell, so dass der Schweiß ihnen in Strömen über den Rücken lief.

Morgens früh um fünf Uhr standen wir auf. Nach dem Frühstück fuhren wir mit Bus der Firma zur Baustelle, die sich in der Haifa-Straße im Zentrum der Stadt Bagdad befand. Zu Mittag aßen wir in einer Baracke und hörten draußen eine Koranlesung. Um 17 Uhr machten wir Feierabend. Der Bus stand den ganzen Tag in der Sonne. Wir saßen im Bus wie in einem Kochtopf. Nach über einer Stunde Fahrt kamen wir ins Wohnviertel zurück. Dann duschten wir uns, nahmen unser Abendessen ein und genossen die Kühle, die uns die Klimaanlagen brachten.

Eines Nachmittags hörten wir plötzlich ein Warnsignal. Damals war der Krieg zwischen Irak und Iran schon ausgebrochen. Wir liefen sofort in den Luftschutzkeller, in dem es kein Licht gab. Im Dunkel haben wir zwei Stunden verbracht, bis Entwarnung kam.

Eines Tages trat ich mit meinem rechten Fuß in einen Nagel, so dass Blut floss. Der Arzt hat meine Wunde mit Alkohol sterilisiert und anschließend verbunden. Ohne Pause arbeitete ich weiter. Ich ging im Kreis um die Baustelle und kontrollierte die Arbeit der chinesischen Arbeiter. Manchmal half ich dem Polier bei der Arbeit. Zum Beispiel dirigierte ich den Baukran, um Betonstahl und Beton zu transportieren.

Ich arbeitete mit dem deutschen Polier zehn Monate zusammen. In der langfristigen Zusammenarbeit haben wir eine tiefe Freundschaft geknüpft. Als der Polier nach Deutschland fuhr und Urlaub machte und zurückkam, schenkte er mir ein deutsches Buch: ,,Grimms Märchen” und ein Bügeleisen und lud uns in sein Wohnzimmer ein, um dort Bier zu trinken. Bis heute pflegen der Polier Jehn und ich unsere Freundschaft. Jedes Jahr wechseln wir Weihnachtskarten und Briefe. Ich habe ihn in seiner Heimat besucht. Als seine Frau und seine Tante eine Chinareise machten, trafen wir uns in Beijing.

Mit Ende des Projekts flogen ich und die Bauarbeiter nach China zurück. Wir haben nicht nur für den Staat und die Baufirma Devisen beschafft, sonder konnten auch für uns selbst elektrische Haushaltsgeräte wie beispielsweise einen Kühlschrank, eine Waschmaschine oder auch ein Fahrrad, eine Armbanduhr, eine Kamera, einen Farbfernseher, einen Ventilator usw. kaufen.

1987 bekam ich die Information, dass jedes Jahr 16 Personen gemäß des Kulturaustauschvertrags mit Österreich dorthin geschickt werden, um sich Fachkenntnisse anzueignen. Ich habe einen Antrag gestellt, der vom Leiter genehmigt wurde. Vom Oktober 1988 bis zum Oktober 1989 habe ich mein Deutsch an der Universität Wien vervollkommnet. Im ersten Semester studierte ich im Fremdspracheninstitut. Ein Professor unterrichtete auf deutsch die deutsche Grammatik. Mein Ziel bestand darin, mein Hörverständnis zu verbessern, denn ich habe die deutsche Grammatik damals schon beherrscht. Außerdem studierte ich deutsche Stilistik und österreichische Geschichte. Im zweiten Semester studierte ich bei einer italienischen Lehrerin ,,Aus dem Leben eines Taugenichts” von Joseph von Eichendorf und Journalistik. Die einjährige Weiterbildung in Deutsch hat mein Hörvermögen und meine Beherrschung der Umgangssprache sehr verbessert. Nach meiner Rückkehr nach China war ich in meiner Freizeit nebenberuflich als Reiseführer oder Deutschlehrer tätig. Oder ich arbeitete für eine Übersetzungsfirma. Das ist der Vorteil, den mir die Reform- und Öffnungspolitik gebracht hat. Ohne die Reform- und Öffnungspolitik hätte ich nicht im Ausland arbeiten und studieren können; ohne die Reform- und Öffnungspolitik hätte sich mein Leben nicht verbessert; ohne Reform- und Öffnungspolitik wäre ich wahrscheinlich noch ein „Taubstummer“ im Bereich der deutschen Sprache.

Nun bin ich im Ruhestand. Jeden Monat habe ich eine stabile Rente. Wenn ich krank bin, habe ich eine Krankversicherung. Ich kann also sehr zufrieden sein.



 
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