Mein viertes Jahr als Germanistikstudentin
Von Huang Yuhuan
Ich kann mich noch deutlich an den Tag erinnern, an dem ich die
Beijinger Fremdsprachenuniversität (BFSU) betrat und eine
Germanistikstudentin wurde. Es war am 5. September, 2004, als
ich vor dem Tor stand und dachte: Ach! Ich werde hier meine schönsten
vier Jahre verbringen.
BFSU war eigentlich eine kleinere spezielle Hochschule, aber
heute entwickelt sie sich zu einer immer vielseitigeren sozialwissenschaftlichen
Universität. Ihr Schwerpunkt liegt allerdings auf die Fremdsprachen.
Insgesamt gibt es hier Studiengänge für 34 Arten von
Fremdsprachen und von vielen dieser Sprachen habe ich vorher noch
nie gehört. Die Deutschabteilung ist eine der größten
Abteilungen.
Drei Jahre gehen schnell vorbei. Heute bin ich das Leben an der
BFSU schon ganz gewohnt. Der Campus ist nicht groß aber
ruhig und günstig. Die Lerher und ihr Unterricht sowie ihre
Vorlesungen finde ich hervorragend. Auch die Veranstaltungen und
Aktivitäten der Studenten haben mir viel Spaß gemacht.
Ich bin sehr glücklich, dass ich diese Universität gewählt
habe. Nach dem Spaß kommt aber der Stress. Jetzt bin ich
an der Schwelle des 4. Studienjahres und muss über meinen
zukünftigen Weg nachdenken.
Früher konnten die Germanistikstudenten viel leichter eine
passende Arbeitsstelle finden. Mit der Zeit verändert sich
aber die Situation. Z.B. hatte unsere Abteilung vor einigen Jahren
in jedem Jahrgang nur eine Klasse mit weniger als 20 Studenten,
heute aber vier Klassen, insgesamt mehr als 90 Studenten. Während
immer mehr Leute Germanistik studieren, steigt der Konkurrenz
unter den Absolventen. Es ist häufig, dass sich viele Absolventen
um dieselbe Stelle bewerben und immer mehr möchten weiter
studieren, um einen besseren Arbeitsplatz zu bekommen. Unser Studium
wird auch immer praktischer und gezielt auf unser Berufsleben
eingestellt. Neben Sprache und Literatur lernen wir viel über
Wirtschaft und Politik, um konkurrenzfähiger zu werden. Viele
von uns nehmen sogar an fachlichen Prüfungen teil, beispielsweise
an der Prüfung für Kenntnisse im Umgang mit Compudern
und an der Prüfung der Übersetzungsfähigkeit. Trotzdem
stehen wir, besonders Studenten aus anderen Provinzen wie ich,
unter dem Druck einer unsicheren Zukunft.
Aufgrund der heutigen Situation verlangen unsere Fachbereichsleiter
von uns, vor dem Abschluss des Studiums mindestens ein Praktikum
für zwei Wochen zu machen, sonst dürfen wir die Abschlussarbeit
nicht schreiben. Dank China heute habe ich in den Sommerferien
vor dem siebten Semester einen Praktikumplatz für einen Monat
bekommen. Hier habe ich das Leben einer Berufstätige erlebt
und auch viel gelernt. Ich freue mich darüber, dass ich endlich
meine Deutschkenntnisse in der Praxis anwenden kann. Und ich bin
auch fest davon überzeugt, dass es sich die Anstrengungen,
die mit dem Erlernen der deutschen Sprache verbunden sind, lohnnen.
Eigentlich möchte ich nach dem vierjährigen Bachelorstudium
direkt berufstätig werden, weil ich finde, dass ich schon
eine Erwachsene bin, selbständig werden und die Eltern nicht
mehr belasten sollte. Aber es ist nun mal Tatsache, dass das vierjährige
Studium nicht reicht, um fachlich notwendige Deutschkenntnisse
wirklich zu beherrschen. Jetzt können wir schon mit Deutschen
frei sprechen und allgemeine deutsche Publikationen lesen, aber
dies alles bleibt an der Oberfläche. Viele Germanistikstudenten
gehen nach dem Bachelorstudium direkt in die Arbeitswelt und ihre
Arbeitstellen haben mit Deutsch wenig zu tun. Das will ich aber
nicht. Sprachkenntnis ist eine Art Fähigkeit, die immer schwächer
wird, wenn man sie nicht benutzt. Es wäre für mich furchtbar,
dass ich nach einigen Jahren nur noch Guten Tag sagen
kann und nicht mehr weiß, ob ich wirklich vier Jahre Deutsch
gelernt habe. Meine Traumarbeit ist eine sichere und gut bezahlte
Stelle, bei der ich viel für den Austausch zwischen China
und Deutschland tun und auch viel lernen kann. Andere Kriterien
wie z.B. ein gutes Arbeitsumfeld und weitere Ausbildungschancen
werde ich auch berücksichtigen.
Deshalb habe ich mich entschieden, an der Aufnahmeprüfung
für Magisterstudium teilzunehmen. Meine Eltern sind ganz
dafür, weil sie meinen, dass ich noch nicht reif genug bin,
um in die Arbeitswelt zu gehen. Meine Mutter sagte, viele Berufstätige
gehen noch zurück zur Hochschule, um weiter zu studieren.
Es sei leichter für mich, jetzt eine Magisterarbeit zu schreiben,
weil ich sehr jung bin und die nötige Leidenschaft für
das Studieren habe. Meine Eltern halten mich immer noch für
ein Kind, aber ich habe andere Gedanken: Chancen sind machmal
eine unsichere Sache, die man nicht versäumen soll. Nicht
jeder Traum ist zu erfüllen. Man soll die Vorteile und Nachteile
abwägen. Wenn es eine Chance für eine passende Stelle
gibt, werde ich sie wahrnehmen. Wenn es nicht klappt, werde ich
weiter studieren und darüber nachdenken, was ich eigentlich
möchte und kann.
Ich bin oft danach gefragt worden, wo ich in der Zukunft arbeiten
möchte. Meine Antwort ist: Beijing. Das wird
hauptsächlich von meinem Hauptfach bestimmt. Beijing als
Hauptstadt ist das Zentrum für internationalen Austausch.
Hier kann ich meine Schlüsselfähigkeiten ausnutzen,
mehr für die Gesellschaft tun und habe auch bessere Perspektive.
Was kann ich tun, in z.B. meiner Heimat, einer kleinen Kreisstadt
in der Provinz Hunan, wo es keinen einzigen Deutschen gibt? Außerdem
arbeitet jetzt mein Freund hier in Beijing. Wir verstehen uns
sehr gut und ich möchte nicht von ihm getrennt werden.
Wie das dritte Jahr der Oberschule ist mein viertes Jahr des
Studiums ein Wendepunkt in meinem Leben. Im dritten Jahr der Oberschule
habe ich mich angestrengt und mein Ziel erreicht, an einer Schwerpunkt-Universität
studieren zu können. Im vierten Studienjahr werde ich mich
auch bemühen. Vor einigen Tagen habe ich eine Vorgängerin
besucht, die schon eine sehr gute Arbeitsstelle gefunden hat.
Sie hat mir viele Bücher geschenkt, die für meine Aufnahmeprüfung
für das Magisterstudium oder die Prüfungen zum Berufseinstieg
nützlich sind. Als ich diese Bücher nahm und zurückging,
dachte ich: Ach! Ein mühsames Jahr kommt!
Trotzdem sehe ich der Zukunft optimistisch entgegen. Einerseits
bin ich sicher, mit Fleiß kann man einen Preis bekommen,
andererseits glaube ich an die Fügung des Schicksals. Als
ich vor drei Jahren in meiner humiden Heimat in Südchina
meine Reise in das trockene Beijing vorbeitete, hätte ich
nie gedacht, dass meine Gesichtshaut in Beijing besser werden
könnte, aber genau dies passierte. Viele Sachen sind nicht
vorauszusehen und wenn das Leben zu sicher ist, ist es langweilig.
Erlebnisse sind wichtiger als Ergebnisse. Das ist meine Wertvorstellung.
Jetzt bin ich in der Lage, mein viertes Studienjahr willkommen
zu heißen.
Die Autorin absolvierte im August 2007
ein Praktikum bei China heute.
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