Gesunder und nachhaltiger Lifestyle in China
Von Li Qian
1998 stellte der US-amerikanische Soziologe Paul Ray eine neue
Lebensweise vor, nämlich die Lifestyles of Health and
Sustainability (Abkürzung: LOHAS), was etwa bedeutet:
Ausrichtung der Lebensweise auf Gesundheit und Nachhaltigkeit.
Im Westen ist diese Lebensweise seit vielen Jahren bekannt. Das
LOHAS-Forum hat schon zehn Mal getagt. Es gibt ca. 68 Millionen
US-Amerikaner und 80 Millionen Europäer, die auf LOHAS bauen.
Sie leben gesund, umweltbewusst, sind kreativ und selbstständig.
In China ist die Zahl derer, die diese Lebensweise praktizieren,
bisher unbekannt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass
sie ständig wächst.
Die 32-jährige Wang Xi ist eine Redakteurin bei einer Zeitschrift
und lebt nach LOHAS. Vor drei Jahren studierte sie in Kanada,
was großen Einfluss auf sie hatte. Vorher war Wang Xi, wie
sie selbst sagt, leichtfertig und ungeduldig und verglich sich
gerne mit den anderen. Wichtig war für sie, wer mehr Geld
verdient, wer ein Kleid einer teuren Marke gekauft hat und wessen
Freund reicher ist... Als sie in Kanada sah, dass dort viele reiche
Menschen ein bescheidenes Leben führen und ihre Freude daran
finden, ging ihr das sehr zu Herzen. Wang Xi sagt, dass viele
Kanadier, obwohl sie in einem teuren Wohnviertel wohnen, mit dem
Bus fahren und manchmal auch auf einem Secondhand-Markt einkaufen.
Viele Kanadier leben energiesparend und gesund, sie sind hilfsbereit
und treiben gern Sport. In Kanada entschied sich Wang Xi für
ein anderes Leben.
Heute trägt Wang Xi nur Kleider aus Baumwolle oder anderen
natürlichen Stoffen, schminkt sich nicht, benutzt nur hautpflegende
Mittel. Zu drei Mahlzeiten des Tages isst sie leicht und einfach.
Sie will kein Auto kaufen, sondern fährt mit der U-Bahn zur
Arbeit. Anders als früher, wo Einkaufen ihr größtes
Hobby war, praktiziert sie heute Yoga, wenn sie Zeit hat, oder
macht mit den Familienangehörigen einen Ausflug in einen
grünen Vorort.
LOHAS ist nicht nur eine Lebensweise, sondern viel mehr
eine Einstellung zum Leben. Nun bin ich ganz friedfertig. Ich
habe gelernt, meinen Gang zu gelegener Zeit zu verlangsamen, umweltfreundlich
zu sein, das Leben zu genießen, kurz, ich will nicht mehr
blind durch mein Leben hetzen, sagt Wang Xi.
In China gibt es zahlreiche junge Großstadtbewohner wie
Wang Xi, die einen schnellen Lebensrhythmus gewohnt sind. Der
Arbeitsstress und der auf den Erwerb von Statussymbolen ausgerichtete
Konsum erschöpfen sie sowohl körperlich als auch seelisch.
Der materielle Reichtum führt nicht zwingend zum geistigen
Glück. Diese Menschen sehnen sich immer mehr danach, einfach
und natürlich zu leben.
Bei der modernen Lebensweise steht industrielle Technologie im
Mittelpunkt, was einerseits den Lebensstandard der Menschheit
erhöht und andererseits eine Reihe von Umweltkrisen verursacht
hat. Die Umweltverschmutzung gefährdet ja die gesamte Menschheit.
Das Energie- und Umweltproblem ist in China besonders groß.
Nach den statistischen Angaben reichen Chinas Erdölvorkommen
nur noch zehn Jahre. Im Jahr 2004 war der Strom- und Kohlenmangel
so kritisch, dass die Regierungen der 27 Provinzen in einem halben
Jahr den Stromverbrauch in mehr als 800 000 Fällen dadurch
beschränken mussten, dass sie die Stromzufuhr zeitweise abschalteten.
In dieser Situation sehen die LOHAS-Menschen ein, dass man sich
nicht nur um sich selbst kümmern, sondern auch um die Erde
besorgt sein und die Umwelt schützen soll. Vielleicht sind
die einzelnen Lebensweisen der Menschen, die ihr Leben nach LOHAS
ausrichten, nicht deckungsgleich, aber sie basieren alle auf den
Prinzipien Gesundheit, Glück, Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit.
Nach der Meinung von Dr. Shen Li vom Forschungsinstitut für
Internationale und Vergleichende Pädagogik der Pädagogischen
Universität Beijing ist LOHAS eine Folge der Lebensweise
zum Ende des 20. Jahrhunderts, bei der viele reiche Gesellschaften
Genuss gesucht und übermäßig konsumiert hatten
und sich aber innerlich leer fühlten.
Mit der Verbreitung von LOHAS entstand auch in China ein Wirtschaftszweig,
der entsprechende Produkte vertreibt. An der Jingshun-Straße
der Stadt Beijing gibt es ein Geschäft, das Lebensmittel
und andere Waren, die ohne chemische Zusätze und auf ganz
natürliche Weise angebaut bzw. produziert wurden, anbietet.
Zhuang Yameng, die Geschäftsgründerin, sagt: Hier
verkaufen wir viel mehr eine Lebenseinstellung als Waren.
Der Automobilproduzent BYD aus Shenzhen hat den Autotyp F3e mit
Elektroantrieb, der ET-Power (E für Environment
und Electric, T für Technology) heißt,
auf den Markt gebracht. Darüber hinaus wird der Begriff LOHAS
beim Entwerfen von Wohnräumen angewendet, wobei Stichworte
wie Mensch im Mittelpunkt, Energiesparen, Umweltschutz
u. a. zur Anwendung kommen. Für solche Wohnungen gibt es
beispielsweise ein System zur Regenwasserspeicherung und eine
Einrichtung zur Aufbereitung organischen Mülls.
Heute beeinflusst LOHAS viele Facetten des Lebens von Chinesen.
Nach Meinung von Soziologen entstand dieser Begriff zwar im Westen
und schien deshalb ausländisch zu sein, aber
er steht dem Wesen nach auch mit der traditionellen chinesischen
Kultur eng in Verbindung. Zum Beispiel steht die konfuzianische
Idee: Himmel und Mensch vereinen sich zu einem mit
dem Streben der LOHAS-Menschen nach Harmonie zwischen Mensch und
Natur im Einklang. Darüber hinaus legt man nach der traditionellen
chinesischen Lebensweise ebenfalls großen Wert auf Ruhe,
Selbstversorgung und gesunde Nahrungsmittel.
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