Eheschließung und Hochzeitsbräuche (6)
Traditionelle und moderne Hochzeitsfeier in Lhasa
In der Vergangenheit lebten in Lhasa viele Adlige. Sie legten
bei Eheschließungen großen Wert darauf, dass die Ehepartner
einen etwa gleichen sozialen und wirtschaftlichen Status hatten
wie sie selbst. Umständliche Formalitäten gingen einer
Heirat voraus. Eine Reihe von Etiketten und Tabus bestimmte die
Modalitäten der Partnerwahl, der Verlobung, des Heiratsantrags
und der Hochzeitsfeier. Mit dem wirtschaftlichen und sozialen
Fortschritt haben sich die Hochzeitsbräuche in Tibet jedoch
geändert.
Heute überwiegt in Lhasa die freie Wahl des Partners. Man
bricht auch mit althergebrachten Hochzeitsbräuchen. Wenn
das Liebespaar sich einig ist, sind auch die Eltern meist mit
der Ehe einverstanden. Für die Tibeter ist die Hochzeit sehr
wichtig. Dafür müssen viele Dinge vorbereitet und bereit
gestellt werden: eine tibetische Jurte mit einem glückverheißenden
Spruch auf dem Vorhang, Qingke-Gerstenwein, Buttertee, Rind- und
Hammelfleisch. Dies alles hat eine symbolische Bedeutung für
eine traditionelle tibetische Hochzeit. Alle Teilnehmer der Hochzeitsfeier,
einschließlich Braut und Bräutigam tragen die reich
geschmückte volkstümliche Tracht. Am Hochzeitstag warten
die Verwandten und Freunde des jungen Paares vor der Jurte auf
die Gäste, weil diese zuerst Platz nehmen müssen. Dann
folgen die Braut, der Bräutigam und die beiden Elternpaare.
Dann erklärt der Zeremonienmeister den Beginn der Hochzeitsfeier.
Ein Lama oder ein hoch verehrter Mann liest Sprüche des tibetischen
Buddhismus vor. Dann überreichen die Gäste den Neuvermählten
und deren Eltern jeweils einen Hada (Schal aus weißer Seide).
Sie tanzen und singen, um den Neuvermählten Glück zu
wünschen. Man vergnügt sich. In Erwiderung der Glückwünsche
durch die Gäste schenken die Neuvermählten ihnen nun
Wein ein und überreichen ihrerseits Hadas. Die Hochzeitsfeier
dauert meist mehrere Tage. Die Erwiderungszeremonie für die
Gäste findet am letzten Tag der Hochzeitsfeier statt.
Mit der Zeit ändert sich die traditionelle Hochzeit. Braut
und Bräutigam sind nicht mehr so streng an die Konventionen
gebunden. Heute wird die Hochzeit in einer gemieteten Jurte, in
einem Tanzlokal oder in einem Restaurant gefeiert. Besonders beliebt
sind Selbstbedienungsrestaurants. Und die Gäste kleiden sich
nun ganz nach Belieben. Man bietet beim Hochzeitsbankett nicht
nur Qingke-Gerstenwein und Buttertee an, sondern auch Bier und
Schnaps. Zur Hochzeitsfeier werden traditionelle wie auch moderne
Tänze und Gesänge aufgeführt. Außerdem spielt
man Karten und besonders gern Mah-Jongg. So werden die traditionellen
Zeremonien abgekürzt.
Wie alles, sind auch die Hochzeitsbräuche in Tibet unterschiedlich.
Im Dorf Mayub zum Beispiel versammeln sich junge Leute im Winter,
um mit Stoffbällchen zu spielen und so eine Geliebte bzw.
einen Geliebten zu finden. Wenn man an jemandem Gefallen gefunden
hat, kickt man mit dem Fuß das Stoffbällchen auf diese(n)
zu und bringt damit seine Liebe zum Ausdruck. Im Kreis Chanang
muss die Braut auf einer trächtigen Stute zum Bräutigam
nach Hause reiten. Alle Mitglieder der Familie des Bräutigams
bleiben auf ihren Plätzen sitzen, wenn die Braut kommt. Man
glaubt, dass die Ehe unglücklich wird, wenn sie die Braut
stehend begrüßen.
Seit der demokatischen Reform in Tibet sind inzwischen einige
Jahrzehnte vergangen. Die Hochzeitsbräuche ändern sich
allmählich. Die veralteten Gebräuche und Gewohnheiten
geraten nach und nach in Vergessenheit. Der Einfluss des modernen
Lebens wächst stetig. Statt zu reiten, fährt man nun
mit dem Auto zur Hochzeitsfeier. Traditionelle Gesänge und
Tänze werden durch moderne ersetzt. In der Änderung
der Hochzeitsbräuche in Tibet kommen soziale Fortschritte
der tibetischen Nationalität zum Ausdruck.
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