Die alten chinesischen Philosophen: Der Materialist Wang Chong

Von Hou Jueliang

Wang Chong (27–91) lebte während der Zeit der Östlichen Han-Dynastie (25–220), in einer Zeit, in der der Glaube an Weissagungen und geheimnisvolle Auslegungen des Konfuzianismus (der Staatsreligion geworden war) vorherrschte. Kaiserliche Erlasse verboten die „Hundert Schulen des Denkens“, in denen verschiedenste Philosophien gepflegt worden waren, die sich im Zeitraum von 800 Jahren entwickelt hatten. Geist und Vernunft räumten dem Aberglauben das Feld.

Wang Chong kämpfte energisch gegen diesen Trend an. Die meisten Leute glaubten beispielsweise, dass der Donner entweder das Zeichen eines wütenden Himmels war oder aber das Geräusch, das der Erdengott machte, wenn er sich umdrehte. Wang wies darauf hin, dass sich himmlischer Zorn ebenso wie menschlicher Zorn ja wohl gegen eine bestimmte Person oder Sache richten würde, wogegen sich der Donner in alle Richtungen verbreitet. Und wenn der Erdengott wirklich existierte, so würde er im Boden sein und man würde ja spüren, wenn er sich umdrehte. In Wirklichkeit jedoch ertöne der Donner über den Köpfen der Menschen und in der Erde bewege sich nichts.

Um den Mystizismus zurückzudrängen, suchte Wang nach natürlichen Erklärungen für solche Phänomene. Den Donner brachte er richtigerweise mit dem Blitz in Verbindung, den er ein „Kind des Feuers“ nannte. Er vermutete, dass der Donner die Folge einnes Zusammenstoßes zwischen den Kräften Yin und Yang sei. Wang verglich ihn mit dem Geräusch, das entsteht, wenn ein heißer Stein ins kalte Wasser geworfen wird – wenn Yang (heiß) mit Yin (kalt) kollidiert.

Der Philosoph lieferte auch wissenschaftliche Erklärungen für Erscheinungen wie Wolken, Regen, Schnee und Eis. Weil viele glaubten, den Regen schicke der Himmel als Segen für die Menschen, erklärte Wang: „Der Regen entsteht auf der Erde, nicht im Himmel. Das Wasser auf der Erde verdunstet und wird am Himmel zum Wolken. Es fällt als Regen in warmen Jahreszeiten und als Schnee im Winter. Auch Eis und Tau kommen nicht aus dem Himmel, sie sind vielmehr verdichteter Wasserdampf. Natürliche Erscheinungen haben nichts mit dem Himmel und nichts mit dem Gott zu tun.“

Theoretiker eines göttlichen Himmels glaubten, dass Wind, Regen, Donner und Blitz Ausdrücke göttlicher Stimmungen seien. Ein besonders energischer Verfechter dieser Idee eines belohnenden und bestrafenden Himmels war Dong Zhongshu, zu Lebzeiten von Wang Chong Ministerpräsident. Wang erklärte, dass der Himmel, wenn er denn existieren sollte, die Menschen nicht kenne und keine Macht über das menschliche Leben habe, ebenso wie die Menschen den Himmel nicht kennen und beherrschen könnten. Er betrachtete es als größte Torheit, als „Schärmerei der Unwissenheit“, um göttliches Wohlwollen und um Abwehr von Unglück zu beten. „Wenn eine Gesellschaft verfällt“, so sagte er, „wenden sich die Menschen dem Glauben an die Götter zu; wenn ein Mensch töricht ist, betet er eifrig um ein glückliches Schicksal.“

Wang Chongs Großvater hatte einige Zeit eine amtliche Stellung inne, doch sein Vater, der ein dreister und hemmungsloser Mensch war, hat es nie zum Beamten gebracht. Als sein Vater nach einem Streit den Heimatort schnellstens verlassen musste, zog die ganze Familie nach Shangyu, Provinz Zhejiang, an die Ostküste. Wang Chong, der mit sechs Jahren auf die Schule kam, erwies sich als glänzender Schüler und Student und wurde schließlich auserwählt für ein Studium an der bedeutendsten Akademie in Luoyang, der Hauptstadt. Seine Familie war zu dieser Zeit ziemlich arm, so dass er sich nicht viele Bücher leisten konnte. Doch er besuchte sehr häufig die Bücherstände in der Stadt, die er wie eine Privatbibliothek benutzte, und erwarb sich auf diese Weise ein umfassendes Wissen auf vielen Gebieten. Es wird berichtet, dass er hoch talentiert war, doch kein übereilter Schreiber; und dass er ein guter Redner war, aber nie geschwätzig.

Seine akademischen Studien interessierten ihn mehr als eine amtliche Karriere, und obwohl er in jungen Jahren verschiedene kleinere Stellungen hatte, war er doch mehr als Lehrer berühmt. Nur eines seine Bücher ist noch erhalten, eine Sammlung von 84 Essays. In diesen Arbeiten suchte er die verbreiteten abergläubischen Vorstellungen seiner Zeit zu analysieren und zu widerlegen.

Er wies jede Vorstellung von einem göttlichen Himmel oder irgendwelchen Gottheiten zurück und betonte, dass die Lebensenergie Qi die Quelle und Grundlage aller Natur sei. Qi, so sagte er, besteht aus Yin und Yang. (Dies war die alte chinesische Vorstellung des ungleichen Paares, der entgegengesetzten Kräfte, die überall in der Natur vorzufinden sind: heiß, hell, männlich, etc., demgegenüber kalt, dunkel, weiblich etc.) Alles Leben entstammt dem Qi und alle irdischen Dinge entstehen durch ein Zusammenwirken der fünf Elemente Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde, so Wang.

Menschen und Tiere gleichermaßen, sagte er, wurden aus dem Qi geboren, und nicht von irgendeinem Gott geschaffen. Die Menschen haben eine natürliche Existenz, nicht anders als der Fisch im Teich. Die Leute unterscheiden sich in ihrer angeborenen Intelligenz, weil sie als Embryos unterschiedliche Menschen von Qi bekommen. Erde und Himmel sind natürliche Gebilde, beide enthalten Qi, und das ganze Universum ist ein in sich geschlossener, astronomischer Körper. Religiöse Denker jener Tage meinten, dass das Getreide und die ganze Ernte großzügige Gaben des Himmels an die Menschen seien und dass der Himmel die Reihenfolge der Jahreszeiten bestimme. Wang Chong hielt dagegen, dies alles sei das Ergebnis natürlicher Abläufe und nicht die planmäßige Arbeit einer Gottheit. Nur Menschen wirkten nach einem Plan, zum Beispiel indem sie säen und ernten.

Eine Reihe von Han-Gelehrten förderten die Vorstellung vom „geborenen Genius“, von halbgöttlichen Weisen (speziell Konfuzius), die den Lauf der Geschichte bestimmten. Weise, so behaupteten sie, würden mit einem geheimnisvollen Wissen um Vergangenheit und Zukunft geboren. Wang Chong tat sein Bestes, die wuchernden Legenden über Berühmtheiten der Vergangenheit zu versachlichen. In dem Bemühen, die philosophische Betrachtung wieder auf festen Boden zu stellen und die Verfestigung der Spekulationen zu Dogmas zu verhindern, schrieb er einen Aufsatz mit dem Titel „Nachfragen bei Konfuzius“. Hier deckte er eine Reihe von Widersprüchlichkeiten in Konfuzius’ Schriften auf, dazu gewisse Feststellungen, die keinerlei Sinn zu geben scheinen. Er betonte, dass die berühmten Philosophen bedeutende Beiträge zum Wissen geleistet haben, allerdings auch ihre Schwachpunkte gehabt hätten.

Wangs Schriften über die Theorie des Wissens betonen zweierlei: erstens die Funktion der Sinnesorgane, speziell der Augen und Ohren, und zweitens das Urteilen bzw. Analysieren. Die Wirklichkeit – so Wang – sei nicht zu begreifen, wenn man allein in einem Zimmer sitze und über die Dinge nachdenke, man habe rauszugehen und die Augen und Ohren zu gebrauchen. Erst wenn die Sinneswahrnehmung stattgefunden hat, könne man zu analysieren beginnen. Ohne diese zwei Schritte, sagt Wang, könne selbst ein Weiser nichts begreifen; andererseits sei es durch Wahrnehmen und Nachdenken auch einem einfachen Menschen möglich, eine Menge Wissen zu erlangen.

Wang Chongs Philosophie rebellierte gegen die Strenggläubigkeit seiner Zeit. Er verwarf den Mystizismus zugunsten einer wissenschaftlichen Untersuchung der Realität. Während seines Lebens waren seine Schriften nicht weit verbreitet. In späteren Jahrhunderten jedoch erregte seine Philosophie des Materialismus das Interesse zahlreicher Gelehrter, und sie schlug ein neues Kapitel in Chinas Gedankenwelt auf.

Aus China im Aufbau, Nr. 4, 1998


 
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