Die alten chinesischen Philosophen: Der Materialist Wang Chong
Von Hou Jueliang
Wang Chong (2791) lebte während der Zeit der Östlichen
Han-Dynastie (25220), in einer Zeit, in der der Glaube an
Weissagungen und geheimnisvolle Auslegungen des Konfuzianismus
(der Staatsreligion geworden war) vorherrschte. Kaiserliche Erlasse
verboten die Hundert Schulen des Denkens, in denen
verschiedenste Philosophien gepflegt worden waren, die sich im
Zeitraum von 800 Jahren entwickelt hatten. Geist und Vernunft
räumten dem Aberglauben das Feld.
Wang Chong kämpfte energisch gegen diesen Trend an. Die
meisten Leute glaubten beispielsweise, dass der Donner entweder
das Zeichen eines wütenden Himmels war oder aber das Geräusch,
das der Erdengott machte, wenn er sich umdrehte. Wang wies darauf
hin, dass sich himmlischer Zorn ebenso wie menschlicher Zorn ja
wohl gegen eine bestimmte Person oder Sache richten würde,
wogegen sich der Donner in alle Richtungen verbreitet. Und wenn
der Erdengott wirklich existierte, so würde er im Boden sein
und man würde ja spüren, wenn er sich umdrehte. In Wirklichkeit
jedoch ertöne der Donner über den Köpfen der Menschen
und in der Erde bewege sich nichts.
Um den Mystizismus zurückzudrängen, suchte Wang nach
natürlichen Erklärungen für solche Phänomene.
Den Donner brachte er richtigerweise mit dem Blitz in Verbindung,
den er ein Kind des Feuers nannte. Er vermutete, dass
der Donner die Folge einnes Zusammenstoßes zwischen den
Kräften Yin und Yang sei. Wang verglich ihn mit dem Geräusch,
das entsteht, wenn ein heißer Stein ins kalte Wasser geworfen
wird wenn Yang (heiß) mit Yin (kalt) kollidiert.
Der Philosoph lieferte auch wissenschaftliche Erklärungen
für Erscheinungen wie Wolken, Regen, Schnee und Eis. Weil
viele glaubten, den Regen schicke der Himmel als Segen für
die Menschen, erklärte Wang: Der Regen entsteht auf
der Erde, nicht im Himmel. Das Wasser auf der Erde verdunstet
und wird am Himmel zum Wolken. Es fällt als Regen in warmen
Jahreszeiten und als Schnee im Winter. Auch Eis und Tau kommen
nicht aus dem Himmel, sie sind vielmehr verdichteter Wasserdampf.
Natürliche Erscheinungen haben nichts mit dem Himmel und
nichts mit dem Gott zu tun.
Theoretiker eines göttlichen Himmels glaubten, dass Wind,
Regen, Donner und Blitz Ausdrücke göttlicher Stimmungen
seien. Ein besonders energischer Verfechter dieser Idee eines
belohnenden und bestrafenden Himmels war Dong Zhongshu, zu Lebzeiten
von Wang Chong Ministerpräsident. Wang erklärte, dass
der Himmel, wenn er denn existieren sollte, die Menschen nicht
kenne und keine Macht über das menschliche Leben habe, ebenso
wie die Menschen den Himmel nicht kennen und beherrschen könnten.
Er betrachtete es als größte Torheit, als Schärmerei
der Unwissenheit, um göttliches Wohlwollen und um Abwehr
von Unglück zu beten. Wenn eine Gesellschaft verfällt,
so sagte er, wenden sich die Menschen dem Glauben an die
Götter zu; wenn ein Mensch töricht ist, betet er eifrig
um ein glückliches Schicksal.
Wang Chongs Großvater hatte einige Zeit eine amtliche Stellung
inne, doch sein Vater, der ein dreister und hemmungsloser Mensch
war, hat es nie zum Beamten gebracht. Als sein Vater nach einem
Streit den Heimatort schnellstens verlassen musste, zog die ganze
Familie nach Shangyu, Provinz Zhejiang, an die Ostküste.
Wang Chong, der mit sechs Jahren auf die Schule kam, erwies sich
als glänzender Schüler und Student und wurde schließlich
auserwählt für ein Studium an der bedeutendsten Akademie
in Luoyang, der Hauptstadt. Seine Familie war zu dieser Zeit ziemlich
arm, so dass er sich nicht viele Bücher leisten konnte. Doch
er besuchte sehr häufig die Bücherstände in der
Stadt, die er wie eine Privatbibliothek benutzte, und erwarb sich
auf diese Weise ein umfassendes Wissen auf vielen Gebieten. Es
wird berichtet, dass er hoch talentiert war, doch kein übereilter
Schreiber; und dass er ein guter Redner war, aber nie geschwätzig.
Seine akademischen Studien interessierten ihn mehr als eine amtliche
Karriere, und obwohl er in jungen Jahren verschiedene kleinere
Stellungen hatte, war er doch mehr als Lehrer berühmt. Nur
eines seine Bücher ist noch erhalten, eine Sammlung von 84
Essays. In diesen Arbeiten suchte er die verbreiteten abergläubischen
Vorstellungen seiner Zeit zu analysieren und zu widerlegen.
Er wies jede Vorstellung von einem göttlichen Himmel oder
irgendwelchen Gottheiten zurück und betonte, dass die Lebensenergie
Qi die Quelle und Grundlage aller Natur sei. Qi, so sagte er,
besteht aus Yin und Yang. (Dies war die alte chinesische Vorstellung
des ungleichen Paares, der entgegengesetzten Kräfte, die
überall in der Natur vorzufinden sind: heiß, hell,
männlich, etc., demgegenüber kalt, dunkel, weiblich
etc.) Alles Leben entstammt dem Qi und alle irdischen Dinge entstehen
durch ein Zusammenwirken der fünf Elemente Metall, Holz,
Wasser, Feuer und Erde, so Wang.
Menschen und Tiere gleichermaßen, sagte er, wurden aus
dem Qi geboren, und nicht von irgendeinem Gott geschaffen. Die
Menschen haben eine natürliche Existenz, nicht anders als
der Fisch im Teich. Die Leute unterscheiden sich in ihrer angeborenen
Intelligenz, weil sie als Embryos unterschiedliche Menschen von
Qi bekommen. Erde und Himmel sind natürliche Gebilde, beide
enthalten Qi, und das ganze Universum ist ein in sich geschlossener,
astronomischer Körper. Religiöse Denker jener Tage meinten,
dass das Getreide und die ganze Ernte großzügige Gaben
des Himmels an die Menschen seien und dass der Himmel die Reihenfolge
der Jahreszeiten bestimme. Wang Chong hielt dagegen, dies alles
sei das Ergebnis natürlicher Abläufe und nicht die planmäßige
Arbeit einer Gottheit. Nur Menschen wirkten nach einem Plan, zum
Beispiel indem sie säen und ernten.
Eine Reihe von Han-Gelehrten förderten die Vorstellung vom
geborenen Genius, von halbgöttlichen Weisen (speziell
Konfuzius), die den Lauf der Geschichte bestimmten. Weise, so
behaupteten sie, würden mit einem geheimnisvollen Wissen
um Vergangenheit und Zukunft geboren. Wang Chong tat sein Bestes,
die wuchernden Legenden über Berühmtheiten der Vergangenheit
zu versachlichen. In dem Bemühen, die philosophische Betrachtung
wieder auf festen Boden zu stellen und die Verfestigung der Spekulationen
zu Dogmas zu verhindern, schrieb er einen Aufsatz mit dem Titel
Nachfragen bei Konfuzius. Hier deckte er eine Reihe
von Widersprüchlichkeiten in Konfuzius Schriften auf,
dazu gewisse Feststellungen, die keinerlei Sinn zu geben scheinen.
Er betonte, dass die berühmten Philosophen bedeutende Beiträge
zum Wissen geleistet haben, allerdings auch ihre Schwachpunkte
gehabt hätten.
Wangs Schriften über die Theorie des Wissens betonen zweierlei:
erstens die Funktion der Sinnesorgane, speziell der Augen und
Ohren, und zweitens das Urteilen bzw. Analysieren. Die Wirklichkeit
so Wang sei nicht zu begreifen, wenn man allein
in einem Zimmer sitze und über die Dinge nachdenke, man habe
rauszugehen und die Augen und Ohren zu gebrauchen. Erst wenn die
Sinneswahrnehmung stattgefunden hat, könne man zu analysieren
beginnen. Ohne diese zwei Schritte, sagt Wang, könne selbst
ein Weiser nichts begreifen; andererseits sei es durch Wahrnehmen
und Nachdenken auch einem einfachen Menschen möglich, eine
Menge Wissen zu erlangen.
Wang Chongs Philosophie rebellierte gegen die Strenggläubigkeit
seiner Zeit. Er verwarf den Mystizismus zugunsten einer wissenschaftlichen
Untersuchung der Realität. Während seines Lebens waren
seine Schriften nicht weit verbreitet. In späteren Jahrhunderten
jedoch erregte seine Philosophie des Materialismus das Interesse
zahlreicher Gelehrter, und sie schlug ein neues Kapitel in Chinas
Gedankenwelt auf.
Aus China im Aufbau, Nr. 4, 1998
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