Unser
Freund der Schlaf-Arzt
Von Susanne Buschmann
Wenn mein Mann nicht so extrem laut schnarchen würde, hätten
wir Dr. Han, diesen bemerkenswerten Arzt aus Beijing, wahrscheinlich
niemals kennen gelernt.
Mein Mann leidet an Schlaf-Apnoe und war zum Glück,
muss man sagen einer der ersten Patienten mit dieser Krankheit
in der Berliner Charité, nämlich seit 1990, als man
dort gerade erst begonnen hatte, ein Behandlungssystem aufzubauen.
Als im November 2005 der 1. Weltschlafkongress in Berlin stattfand,
wurde er daher als Patienten-Sprecher eingeladen. Hunderte von
Ärzten aus allen Teilen der Welt berieten mehrere Tage lang
über Störungen und Krankheiten, die mit dem Schlafen
zusammenhängen. Am häufigsten wurde über Schlaf-Apnoe
gesprochen, diese im Schlaf auftretende gefährliche chronische
Atemstörung, die Herzbeschwerden, Bluthochdruck, ständige
Müdigkeit und zahlreiche andere gesundheitliche Beeinträchtigungen
nach sich zieht. Und sich wie gesagt mit dröhnendem
Schnarchen der Umwelt präsentiert.
Willst du mitkommen? fragte mich mein Mann. Was sollte
ich als Sinologin aber auf einem Schlaf-Kongress? So kam uns die
Idee, falls chinesische Ärzte zum Kongress anreisen würden,
könnten wir ihnen in der kurz bemessenen Freizeit zwischen
den Vorträgen und Veranstaltungen etwas von Berlin zeigen.
Auf diese Weise lernten wir Dr. Han Fang kennen, der uns, amerikanisches
Englisch sprechend, anrief und sich mit uns verabredete.
Wir trafen ihn vor der Kongresshalle am Alexanderplatz, einen
nicht sehr großen, schlanken Chinesen mit ernsten, klugen
Augen, etwa Mitte Dreißig. Die Zeit war knapp bemessen und
reichte gerade, um ihm mit unserem bescheidenen Renault einige
Plätze im neu erbauten Regierungsviertel zu zeigen - den
Bundestag, das Bundeskanzleramt, das Brandenburger Tor. So konnte
Han wenigstens einen kleinen Eindruck von Berlin mit nach Hause
nehmen. Wir waren sehr froh, dies für ihn tun zu können.
Denn Han ist gehbehindert. Eine Erkrankung an Kinderlähmung
in jungen Jahren hat ihm diese Einschränkung beim Laufen
eingebracht, wie er uns später erzählte. Er selbst wollte
nicht, dass man dieser Sache besondere Aufmerksamkeit widmete.
Ich fühlte mich dennoch bedrückt, wenn ich beobachtete,
wie dieser sympathische Mann sich bei jeder Bewegung anstrengen
musste, und mir fiel ein, wie ich als Kind in der Schule wie viele
andere gegen Kinderlähmung geimpft wurde. Wie ungerecht,
dachte ich, dass das Schicksal eines Menschen vom Vorhandensein
eines Impfstoffs abhängig ist.
Damals, bei unserer ersten Begegnung, wussten wir noch nicht,
dass Dr. Han der Leiter des Schlaflabors im Renmin-Krankenhaus
in Beijing war und dass er auf dem Kongress seine mehrjährigen
Erfahrungen mit der Schlaf-Apnoe aus chinesischer Sicht in die
Diskussion einbringen konnte.
Als Han Fang im Jahr 1997 an einem internationalen Kongress über
Schlaf-Apnoe in der deutschen Stadt Marburg teilnahm das
war übrigens sein erster Auslandsaufenthalt und sein erstes
Auftreten auf einem Kongress in englischer Sprache hatte
ihn die Entwicklung der Schlafmedizin von der ersten Minute an
fasziniert. Er erkannte sofort die neue Chance, die sich auch
vielen Kranken in China damit bot. Inzwischen organisiert er selbst
internationale Treffen zur Schlafmedizin in China, arbeitet mit
Wissenschaftlern in den USA zusammen und baut seine Kontakte mit
der Berliner Charité weiter aus. Das alles kommt seinen
tausenden Patienten zugute. Auf dem Schlafkongress in Berlin übrigens
errang er für seinen Vortrag den ersten Preis!
Als wir uns am Ende des Kongresses voneinander verabschiedeten,
ahnten wir nicht, dass wir uns bald in Beijing wiedersehen würden.
Ein gutes Jahr später flogen mein Mann und ich nach China
und wurden auf dem Beijinger Flughafen von Dr. Han auf das Herzlichste
empfangen. Er hatte unseretwegen andere Verpflichtungen abgesagt.
Seine Gastfreundschaft war an Wärme und Aufmerksamkeit nicht
zu übertreffen. Als ein Highlight unseres einwöchigen
Beijing-Aufenthalts gestaltete sich vor allem der Besuch in der
von ihm geleiteten Krankenhausabteilung und die nachfolgende Gesprächsrunde
mit den chinesischen Patienten und Ärzten.
Ganz oben, im 12. Stockwerk des zur Beijing-Universität
gehörenden Renmin Yiyuan, befindet sich seine Abteilung.
Im Vergleich zu den Räumlichkeiten des Schlafmedizinischen
Zentrums der Charité in Berlin ist sie klein. Dennoch werden
hier jährlich rund 6000 Patienten behandelt, die an Schlaf-Apnoe,
Narkolepsie oder anderen den Schlaf betreffenden Krankheiten leiden.
Die Abteilung verfügt über die modernste Medizintechnik,
das bemerkten wir auf den ersten Blick, und diese Technik braucht
Platz. So müssen einfache Untersuchungen wie das Blut-Abnehmen
auf den Gang verlegt werden. Aber wie wir beobachten konnten,
störte das die Patienten offensichtlich nicht. Im Gegenteil,
man plauderte fröhlich und scherzte mit den Schwestern. Der
Grund für die entspannte Atmosphäre war leicht zu erraten:
Wer den Weg hierher gefunden und einen Behandlungstermin bekommen
hat, kann sicher sein, dass ihm geholfen wird, dass seine Lebensqualität,
und damit auch die seiner Angehörigen, in kurzer Zeit bedeutend
verbessert werden wird.
Letztendlich, so erfuhren wir von Dr. Han, geht es hier nicht
anders zu als in Berlin oder an anderen Orten der Welt: Die Zahl
der an Schlaf-Apnoe Leidenden steigt von Jahr zu Jahr rasant an.
Denn das Wissen um diese Krankheit breitet sich auch in China
aus, und so wird bei immer mehr Menschen die Krankheit diagnostiziert.
Weltweit leiden 3 % aller Menschen an Schlafstörungen.
Schließlich begaben wir uns in einen Seminarraum zur chinesisch-deutschen
Gesprächsrunde. Die meisten der anwesenden chinesischen Patienten
waren kräftige oder beleibte Männer in mittlerem Lebensalter,
wie nicht anders zu erwarten bei Apnoe-Patienten. So passte mein
Mann, was seine Leiblichkeit betrifft, genau in diese Versammlung.
Es begann ein lebhafter Gedanken- und Erfahrungsaustausch, in
dessen Verlauf sich erwies, dass die deutschen und die chinesischen
Patienten-Erfahrungen sich nur wenig voneinander unterscheiden.
Unter anderem kam der anfängliche Unglaube mancher Patienten
zur Sprache, die sich die effektive Behandlung durch ein Beatmungsgerät
nicht vorstellen können und deshalb misstrauisch auf entsprechende
Vorschläge des Arztes reagieren. Auch über Befürchtungen
mancher Patienten, das nächtliche Tragen der Nasenmaske,
die über einen Schlauch mit der Beatmungsmaschine verbunden
ist, könnte der Schönheit oder Attraktivität des
Patienten in den Augen seiner Ehefrau Abbruch tun, tauschte man
sich aus.
Das waren für jeden der anwesenden Patienten ernste und
wichtige Fragen, und auch für Dr. Han und sein Team, die
sich täglich in Patientengesprächen mit solchen Fragen
auseinandersetzen müssen. Der Bericht meines Mannes, des
deutschen Apnoe-Patienten, der nun schon seit sechzehn Jahren
jede Nacht mit der Schlafmaschine tief schläft,
ohne zu schnarchen und ohne Atemunterbrechungen, wurde daher mit
großem Interesse aufgenommen. Auch deshalb, weil er gestehen
musste, dass er einst ebenfalls ein ungläubiger Thomas
gewesen ist.
So erwiesen sich die chinesischen und die deutschen Erfahrungen
mit der Apnoe-Krankheit und ihrer Behandlung im Grunde als identisch.
Alle waren sich einig, dass ihnen seit der Benutzung der Schlafmaschine
faktisch ein neues Leben geschenkt worden ist.
Zum Abschluss trübte jedoch ein Wermutstropfen die gute
Stimmung: Wir erfuhren, dass nur 500 bis 600 der 6000 Patienten
von Dr. Han über solch ein nasales Beatmungsgerät verfügen.
Einige seiner Patienten, so erklärte uns Han Fang betrübt,
lehnten die Benutzung des Geräts ab, aus Unverständnis
oder Misstrauen und ohne die schwerwiegenden Folgen für ihre
Gesundheit zu bedenken. Anderen fehlen allerdings die finanziellen
Mittel, um sich ein solches Gerät leisten zu können.
Denn anders als in Deutschland, wo die Krankenkassen die Kosten
übernehmen, muss in China jeder Patient das Gerät bis
jetzt noch selbst bezahlen. Dr. Han und sein Team versuchen dennoch
alles, um auch diesen Patienten das Schlafen, und damit ihr Leben,
zu erleichtern und hoffen auf den weiteren Ausbau des chinesischen
Krankenversicherungs-Systems.
Wir verabschiedeten uns von Dr. Han Fang, diesem großherzigen
Menschen und Arzt, der, sein eigenes Leiden ignorierend, unter
großen Anstrengungen ein schlafmedizinisches Zentrum für
seine Landsleute mitten in Beijing aufgebaut und gleichzeitig
auch internationale Anerkennung erworben hat.
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