Seltsames Beijing oder wie ich lernte die Hauptstadt zu lieben
Von Mo La
Beijinger vergleichen ihre Stadt gerne mit anderen Orten, vor
allem mit Shanghai. Erzählt man also, dass man dort schon
einmal war, dann kommt gleich die Frage: Und, welche Stadt
findest Du besser? Tja, stellt sich zunächst einmal
die Frage, wie ich eigentlich Beijing finde...
Beijing ist ein Widerspruch in sich. Chinesen aus allen Teilen
des Landes arbeiten hier, besonders Wanderarbeiter, die für
einen sehr niedrigen Lohn die Stadt am Laufen halten. Beijing
ist modern und voller Tradition, reich und arm, eine Menge Ausländerinnen
und Ausländer leben, studieren und arbeiten hier; aber im
Vergleich zu Shanghai bleibt die Stadt bis auf das im Nordosten
gelegene Botschaftsviertel sehr chinesisch. Das macht Beijing
m. E. lebens- und liebenswerter als Shanghai. Ein weiterer Grund,
Beijing als Wohnort der Wahl zu betrachten, ist die Dichte an
preiswerten und guten Restaurants. Viele gute Dinge sind in Beijing
sehr günstig, selbst wenn man das Durschnittseinkommen der
Bevölkerung berücksichtigt.
Beijing und Moskau
Im Vergleich zu einer Stadt wie Moskau wo ich kürzlich
und kurz verweilte sind Beijinger freundlicher zu Fremden
wie auch zu sich selbst. Beide Städte haben große Probleme
mit dem Stadtverkehr und obwohl Moskaus U-Bahnsystem viel besser
ausgebaut ist und die Menschen schneller von A (wie Aeroport)
nach B (wie Barrikadnaja) transportieren kann, leidet Moskau nicht
weniger an täglichen Staus auf den Straßen wie Beijing.
Moskau ist allerdings unverschämt teuer, da vieles aus dem
europäischen Ausland importiert wird. Nur einheimische Produkte
oder solche, die aus Asien importiert wurden, sind relativ billig.
Im Allgemeinen scheint Moskau ein Symbol für den umfassenden
Ausverkauf des Staates nach 1991 zu sein. Die Reichsten der Reichen
sind im Exportgeschäft für Energieträger tätig,
und gutbezahlte qualifizierte Fachkräfte arbeiten tendenziell
bei ausländischen Unternehmen. Mir ist schon häufiger
zu Ohren gekommen, dass die chinesische Regierung Russland als
abschreckendes Beispiel nutzt, um auf die Folgen einer kapitalistischen
Transformation hinzuweisen. Nach dem, was ich in Russland gesehen
zu haben glaube, halte ich einen vorsichtigeren Umgang mit marktwirtschaftlichen
Reformen für sehr vernünftig.
Freizeit und Erholung in Beijing
Hocherfreut bin ich über die Tatsache, dass es in Beijing
eine lebendige Musikszene gibt, fernab von jedem globalisierten
Mainstreampop, der überall auf der Welt gleich klingt. Es
gibt in Beijing wohl in etwa so viele Metal-Combos wie in meiner
Heimatregion. Jedes Wochenende spielen Eigengewächse
aus China in den Beijinger Bars, nicht etwa, weil sie damit viel
Geld verdienen könnten, sondern hörbar aus Freude an
der Musik. Einige versuchen ganz deutlich die Idole aus Europa
oder den USA zu imitieren, andere schaffen eine kreative Mischung
von traditionellen chinesischen Einflüssen und Hardrock,
Punk oder Metal.
Beijing bietet viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.
Zum Beispiel gibt es eine ganze Reihe von Basketballplätzen,
auf denen ich gerne mal ein paar Körbe werfe. Es gibt viele
junge und eifrige Basketballspieler in China und auch wenn einige
meinen, sie seien nicht groß genug geraten für diesen
Sport (????), sind sie für Hobbyzauberer erstaunlich
gut. Eine andere Möglichkeit, wie man seine Zeit in China
verschwenden kann, ist, sich Filme anzuschauen. Wie
jeder weiß, gibt es überall kleine DVD-Läden,
die nicht nur einfach gestrickte Hollywood-Blockbuster
verkaufen, sondern auch richtig gute Filme, ja auch alte Klassiker
und Dokumentationen. Schon seit langem beschwert sich die selbsternannte
Internationale Gemeinschaft über die Verletzung
geistiger Eigentumsrechte in China. Aus meiner Sicht sollten gute
Filme und Dokumentationen (auch Musik) frei oder zumindest einfach
zugänglich gemacht werden. Ist sogar Kultur zur Ware geworden,
dann wirkt das natürlich auf die Kunstschaffenden zurück
(lese: Hacks, Peter: Schöne Wirtschaft. Ästhetisch-ökonomische
Fragmente sowie Holz, H. H.: Vom Kunstwerk zur Ware).
Aber das Phänomen der freien Verbreitung geschützter
Inhalte ist ja kein chinesisches. Nicht nur in Deutschland ist
der illegale Download von Filmen und Musik sehr verbreitet. Die
Bekämpfung der Nutzer hat dort schon viele lächerlich
übertriebene Maßnahmen (Kopierschutz etc.) hervorgebracht.
Lebensabend in China
Das Beste an China und Beijing ist die öffentliche Präsenz
alter Menschen. Rentner sind nicht etwa ausgeschlossen vom Stadtleben,
sie sind ein wesentliches Element davon. Im Vergleich zu Deutschland
sind die Rentnerinnen (ab dem 55. Lebensjahr) und Rentner (ab
dem 60. Lebensjahr) nicht nur relativ jung, sondern fühlen
sich offenbar als lebendiger und nützlicher Teil der Gesellschaft.
Das Integrieren alter Menschen in das tägliche Miteinander
und das Bestreben, von ihrer Lebenserfahrung zu profitieren, ist
hier selbstverständlich. Unternehmen bleiben mit ihren verrenteten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kontakt und laden sie zu
Versammlungen und Festlichkeiten ein, auch um sie bei verschiedenen
Anlässen um Rat zu fragen. In Deutschland ist der letzte
Arbeitstag in der Firma der Tag, an dem man das letzte Mal von
einem Vorgesetzten zu hören bekommt: Danke, und machen
Sie es gut!
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