Das neue Arbeitsvertragsgesetz  Wem nützt es?
              Von Lars Mörking 
              
              
              Der ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses (NVK), 
                Chinas oberstes gesetzgebendes Organ, hat am 29. Juni diesen Jahres 
                ein bereits länger unter breiter Beteiligung der Bevölkerung 
                diskutiertes Arbeitsvertragsgesetz beschlossen und veröffentlicht. 
                Es wird am 1. Januar 2008 in Kraft treten. Anlass waren jüngste 
                Medienberichte über Misshandlungen von Arbeitern u. a. in 
                Ziegeleien in der Provinz Shanxi und die Missachtung von Regelungen 
                zu Mindestlöhnen und Arbeitszeiten vor allem durch US-amerikanische 
                Unternehmen. Diese Skandale haben die Arbeitsbedingungen 
                in China zu einem zentralen Thema inländischer Medien gemacht. 
                Mit dem neuen Arbeitsvertragsgesetz wurde nun ein sozialpolitisches 
                Signal gegeben, das Arbeitgeber in China kaum ignorieren können, 
                denn die Zentralregierung strebt schnelle Fortschritte im Bereich 
                der Sozialpolitik an, während die chinesische Medienöffentlichkeit 
                entsprechend Ergebnisse sehen will.  
                
              Widerstand gegen arbeitsrechtliche Verbesserungen 
                
              Ausländische Medien haben einen anderen Blickwinkel auf 
                die Problematik der Arbeitsbedingungen. Dreh- und Angelpunkt der 
                Berichterstattung in Europa und den USA sind die Billigimporte 
                aus China und eine immer wieder postulierte Gefährdung des 
                eigenen nationalen Standorts angesichts des Lohnkostenvorteils 
                chinesischer Produzenten. Sozialdumping und ähnliche 
                Begriffe sollen medial Ängste vor der starken Konkurrenz 
                aus China schüren. Das Lobbying der American Chamber of Commerce, 
                der European Chamber of Commerce und des US-China Business Council 
                setzt den Akzent auf die Interessen der Global Player: 
                Sie vertreten wichtige ausländische Investoren, unter ihnen 
                Nike, Dell, General Electric, Microsoft, Ford usw., und drohten 
                angesichts der geplanten rechtlichen Regelungen noch vor wenigen 
                Monaten mit ihrem Rückzug aus dem Investitionsstandort China. 
                Während europäische und amerikanische Gewerkschaften 
                den Gesetzgebungsprozess für ein Arbeitsvertragsgesetz begrüßten 
                und der Gewerkschaftszusammenschluss Change to Win 
                den chinesischen Gewerkschaften Unterstützung bei ihren Bemühungen 
                zusagte, die Rechte der Arbeiter in China zu verteidigen bzw. 
                durchzusetzen, versuchten die Wirtschaftslobbyisten aus Europa 
                und den USA durch Drohungen möglichst viele der formulierten 
                Arbeiterrechte wieder aus dem Gesetzesentwurf streichen zu lassen. 
                Der jetzige Gesetzestext in der Beschlussfassung hat sowohl die 
                zahlreichen Anmerkungen aus den Reihen chinesischer Gewerkschaftsorganisationen, 
                von denen ein Großteil der über 190 000 eingereichten 
                Eingaben stammt, als auch Wünsche aus den Reihen der Wirtschaft 
                berücksichtigt. Aber es gibt weiterhin Kritik von Seiten 
                einiger Global Player, während sich andere demonstrativ 
                zufrieden mit dem Kompromiss zeigen. Deutlich wurde durch den 
                Gesetzgebungsprozess jedenfalls, dass Lobbyverbände wie die 
                European Chamber of Commerce und der US-China Business Council 
                kein Interesse an einer Ausweitung von Arbeiterrechten haben, 
                da ihre Klientel sozialen Fortschritt als finanzielle Belastung 
                betrachtet.  
                
              In jüngster Vergangenheit haben ausländische Unternehmen 
                in China einiges von ihrem Ruf als Vorzeigeunternehmen einbüßen 
                müssen. Zum Beispiel lehnte Wal Mart die Etablierung von 
                Betriebsgewerkschaften im eigenen Unternehmen strikt ab. Erst 
                als Gewerkschaften und Zentralregierung gemeinsam Druck ausübten, 
                lenkte die Konzernleitung ein und ließ Betriebsgewerkschaften 
                in den chinesischen Filialen zu. Nach wie vor übt Wal Mart 
                allerdings einen extremen Preisdruck auf seine chinesischen Zulieferer 
                aus, wobei dem Konzern natürlich bewusst ist, dass die Anforderungen 
                bei Einhaltung der geltenden rechtlichen Standards kaum zu erfüllen 
                sind. Fastfood-Ketten wie McDonald`s, Pizza Hut oder KFC versuchten 
                geltendes Recht zu umgehen, in dem sie Rechtsverletzungen auslagerten. 
                Angestellte wurden über Vermittlungsagenturen angeheuert, 
                denen Mindestlohn und Arbeitzeitreglung Fremwörter sind. 
                Auch hier muss den ausländischen Auftraggebern klar gewesen 
                sein, dass die billigen Arbeitskräfte, die ihnen überlassen 
                wurden, nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend entlohnt 
                werden. Generell lassen die chinesischen Erfahrungen mit ausländischen 
                Unternehmen den Schluß zu, dass man auch bei international 
                anerkannten Großkonzernen Profit vor Recht ergehen lässt. 
               
                
              US-amerikanische und europäische Unternehmen haben ihre 
                eigene Vorstellung davon, wie sie einen Beitrag zum Allgemeinwohl 
                leisten wollen: Corporate Social Responsibility (CSR) heißt 
                das Zauberwort. Dabei handelt es sich um ein System, welches auf 
                freiwillige Selbstverpflichtungen im Gegensatz zu rechtlich geregelter 
                Mitbestimmung durch die Beschäftigten setzt, wie sie nun 
                einmal im Arbeitsgesetz, Gewerkschaftsgesetz und eben auch im 
                Arbeitsvertragsgesetz der VR China vorgesehen ist. CSR verspricht 
                einen werbewirksamen Effekt durch zeitlich begrenzte Sozial- oder 
                Umweltschutzprojekte. Eine dauerhafte Etablierung und Ausweitung 
                sozialer, ökologischer und vor allem demokratischer Standards 
                im Betrieb ist beim CSR-Konzept nicht vorgesehen oder soll dadurch 
                sogar verhindert werden. Es handelt sich hierbei also um den Versuch, 
                das eigene Markenimage trotz gleichbleibend intensiver Ausbeutung 
                der Beschäftigten und fehlender Mitbestimmungsrechte im Betrieb 
                aufzupolieren.  
                
              Während also CSR als freiwilliger Beitrag zur Gesellschaft 
                gefeiert wird, der dem Anschein nach über die vorgesehenen 
                Mindeststandards hinausgeht, werden der Betriebsgewerkschaft und 
                dem betrieblichen Frauenausschuss oftmals die gesetzlich festgeschriebenen 
                Rechte verwehrt. Freigestellte Gewerkschaftsvorsitzende oder Frauenauschüsse 
                sind auch in größeren Betrieben  obwohl rechtlich 
                vorgesehen  häufig nicht existent. Dabei erfüllen 
                sie wichtige Funktionen. Eher dem deutschen Betriebsrat denn einer 
                örtlichen Gewerkschaft oder eines gewerkschaftlichen Vertrauenskörpers 
                ähnelnd, hat die Betriebsgewerkschaft (auch Gewerkschaftskomitee 
                genannt) die Aufgabe, die Interessen der Beschäftigten durch 
                Mitbestimmung bzw. Mitsprache im Betrieb zu vertreten. Der Frauenausschuss 
                hat vor allem die Aufgabe, die weiblichen Beschäftigten in 
                ihrer betrieblichen Laufbahn zu unterstützen.  
                
              Das neue Arbeitsvertragsgesetz: Was steht drin? 
                
              Das neue Arbeitsvertragsgesetz ergänzt bereits rechtskräftige 
                Regelungen des Arbeitsgesetzes und des Gewerkschaftsgesetzes. 
                Eine der bedeutendsten Änderungen ist, dass jegliches Arbeitsverhältnis 
                 egal ob schriftlich, mündlich oder überhaupt 
                nicht vereinbart  nun unter gesetzliche Regelungen mit entsprechenden 
                Rechten und Pflichten für Arbeitgeber und Beschäftigte 
                fällt, wobei ein Arbeitsverhältnis grundsätzlich 
                immer schriftlich zu fixieren ist (siehe § 10 und § 
                11). Darüber hinaus wird das befristete Arbeitsverhältnisses, 
                welches gegenwärtig das Regelarbeitsverhältnis darstellt, 
                eingeschränkt (§ 14). Bisher werden von 60 Prozent der 
                Unternehmer nur befristete Arbeitsverträge bis zu einer Dauer 
                von einem Jahr abgeschlossen. Von Bedeutung sind auch die neu 
                geregelten Probezeiten, ein besonders für Berufseinsteiger 
                wichtiges Thema. Dazu heißt es im Gesetzestext:  
                
              Wenn der Arbeitsvertrag auf nicht weniger als drei Jahre befristet 
                ist oder unbefristet ist, dann darf die Probezeit nicht mehr als 
                sechs Monate betragen. 
              Der Arbeitgeber darf nur einmal eine Probezeit mit dem Beschäftigten 
                vereinbaren. (§ 19) 
                
              Die Betriebsgewerkschaft erhält die Aufgabe mit dem Arbeitgeber 
                kollektive Verträge auszuhandeln, wobei das Günstigkeitsprinzip 
                (Bestimmungen und Verträge dürfen die Standards der 
                jeweils höheren Ebene nicht unterschreiten) gilt. Somit liegt 
                ein wichtiger Teil der Verantwortung im Bereich der Konkretisierung, 
                Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts bei den Gewerkschaftsorganisationen 
                vor Ort: 
                
              Die im Kollektivvertrag festgelegten Normen  wie beispielsweise 
                für Arbeitsentlohnung und Arbeitsbedingungen  sollen 
                nicht niedriger sein als die entsprechenden Normen, die von der 
                Volksregierung des betreffenden Ortes festgelegt sind. Die Normen 
                für die Arbeitsentlohnung und Arbeitsbedingungen im Arbeitsvertrag, 
                den die Arbeitseinheit der Arbeitgeber mit dem Beschäftigten 
                abschließt, sollen nicht niedriger sein als die im kollektiven 
                Arbeitsvertrag. (§ 55) 
                
              Des weiteren regelt das neue Arbeitsvertragsgesetz, dass bei 
                einem Personalabbau von mehr als 20 Beschäftigten 
                (§ 41) die Gewerkschaft 30 Tage im Voraus zu informieren 
                und anschließend zu konsultieren ist. Die zuständigen 
                Behörden sind von den geplanten Maßnahmen zu unterrichten. 
                Der Personalabbau kann nur dann erfolgen, wenn bestimmte Kriterien 
                (wirtschaftliche Schwierigkeiten, Umstellung der Produktion, usw.) 
                erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass sich der 
                lohnabhängig Beschäftigte im Verhältnis von Arbeit 
                und Kapital in der schwächeren Position befindet, solange 
                keine kollektive Interessenvertretung existiert oder ein Eingriff 
                des Staates in die Wirtschaft zu seinen Gunsten unterbleibt. 
                
              Rechtspraxis 
                
              Weitere Ausführungsbestimmungen zum Arbeitsvertragsgesetz 
                sind zu erwarten, denn die Rechte der Beschäftigten müssen 
                unmissverständlich formuliert und somit einklagbar sein, 
                wenn dem Rechtsanspruch eine entsprechende Rechtspraxis folgen 
                soll. Neben der Konkretisierung und damit verbesserten Anwendbarkeit 
                der rechtlichen Bestimmungen gibt es in verschiedenen Bereichen 
                intensive Bemühungen, die Rechtspraxis mit dem geschriebenen 
                Recht in Einklang zu bringen, was sich bisher als die größte 
                Herausforderung beim Aufbau eines Rechtsstaates in China gezeigt 
                hat. Rechtsberatungsstellen der Gewerkschaften und Behörden, 
                aber auch private Initiativen tragen seit Jahren dazu bei, dass 
                Beschäftigte über ihre Rechte aufgeklärt werden, 
                wobei im Rechtswesen geschultes Personal fehlt. In den vergangenen 
                Jahren ist das Rechtsbewusstsein bei den Beschäftigten gestiegen, 
                was sich an der wachsenden Zahl von Arbeitsstreitigkeiten ablesen 
                lässt, die von den Beschäftigten formal eingeleitet 
                und vor einen Schlichtungsausschuss oder ein lokales Volksgericht 
                gebracht wurden. 
                
              Auch die Berichterstattung in den Medien dürfte das Interesse 
                an der Thematik nochmals ernorm gesteigert haben. Dabei wird durch 
                die öffentliche Debatte um Missstände und legitime 
                Arbeiterproteste Druck auf die Lokalregierungen ausgeübt, 
                die ihrer Verantwortung als Kontrollinstanz in der Vergangenheit 
                nicht immer gerecht geworden sind. Laut Yang Jingyu, Vorsitzender 
                des Rechtsausschusses beim NVK, schließen bisher nicht mehr 
                als 20 Prozent der kleinen und mittleren oder privaten Betriebe 
                Arbeitsverträge mit ihren Beschäftigten ab, weil Kosten 
                verringert bzw. die Zahlung von Lohnnebenkosten vermieden werden 
                soll. Ende 2007, also noch vor Inkrafttreten des neuen Arbeitsvertragsgesetzes, 
                sollen nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und Soziale 
                Sicherheit bereits 90 Prozent der Arbeitskräfte in der VR 
                China unter dem Schutz eines formalen Arbeitsvertrags stehen. 
                Dies würde nicht nur die Rechtssicherheit für die Beschäftigten 
                enorm steigern, sondern vor allem auch die Löhne der Wanderarbeiter, 
                die meist im Niedrigstlohnbereich tätig sind, merklich anheben. 
                Anita Chan, Expertin für Arbeitsfragen an der Research School 
                of Pacific and Asian Studies an der Australian National University, 
                schätzt den direkt mit dem Arbeitsvertragsgesetz zusammenhängenden 
                Lohnanstieg bei Wanderarbeitern auf 50 Prozent und mehr. Allein 
                wenn die beschlossenen gesetzlichen Regelungen bei Fragen der 
                Lohnzahlung (Einhaltung der Mindestlöhne, Zahlung von Zuschlägen 
                für Überstunden, ...) eingehalten werden, wird dies 
                in den unteren Lohngruppen positive Ergebnisse zeigen.  
                
              In China ergab sich bisher das Bild unterschiedlich geregelter 
                Arbeitbeziehungen, die nicht nur von Provinz zu Provinz, sondern 
                auch von Betrieb zu Betrieb stark variieren konnten. Inzwischen 
                sind viele Lücken in den Gesetzestexten und ausführenden 
                Bestimmungen geschlossen worden. Auch Wanderarbeiter können 
                ihre Rechtsansprüche inzwischen geltend machen und werden 
                gezielt durch die Gewerkschaften als Mitglieder geworben. Die 
                Situation der Arbeiter in China verändert sich ständig. 
                Ich bin optimistisch, dass sich der Schutz der Arbeiter schrittweise 
                verbessert, vermerkte Constance Thomas, Leiterin des International 
                Labour Office (ILO) für China und die Mongolei zu diesem 
                Thema. Harmonische Arbeitsbeziehungen sind das Ziel, das Arbeitsvertragsgesetz 
                ein Schritt auf dem Weg dorthin. 
                
                
                
               
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