Unvernünftige Glasnudeln
Von Chen Si
Glasnudeln heißt im Chinesischen fensi,
fast gleich lautend wie Fans. Durch Sprachverwendung
im Internet hat sich Glasnudel (fensi) nahezu über
Nacht als Neologismus Eingang in die chinesische Sprache gefunden
und steht nun für Fans, so grotesk es anfangs
auch geklungen haben mag.
Die 28-jährige Yang Lijuan ist eine Glasnudel.
Vor einiger Zeit hat sie sich mit ihrem Leinwandidol Andy Lau,
dem sie in den vergangenen 13 Jahren aller Mühsal zum Trotz
heimlich und öffentlich nachgelaufen war, in Hongkong getroffen.
Am darauf folgenden Morgen sprang der 68-jährige Vater Yang
Lijuans ins Meer und nahm sich das Leben. Er hinterließ
einen Brief voller Groll auf Andy Lau.
Yang Lijuan stammt aus einer unterentwickelten kleinen Gemeinde
im Nordwesten des Landes, die dreiköpfige Familie lebte nur
von der Rente des Vaters. Damit der Wunsch der Tochter, ihr Idol
einmal zu treffen, in Erfüllung gehen konnte, verkauften
die Eltern ihr Haus und machten hohe Schulden. Ihr Vater dachte
schon daran, eine seiner Nieren zu verkaufen. Am 25. März
diesen Jahres bekam Yang Lijuan endlich eine Gelegenheit, sich
mit Andy Lau fotografieren zu lassen. Ihr Vater erhob aber seinerseits
durch Selbstmord einen Protest. Obwohl Andy Lau seinen
Fans dringend davon abriet, Yang Lijuan nachzuahmen, bedrohten
ihn schon wieder Fans mit ihrem Freitod, falls ihre Bitte, ihn
einmal treffen zu dürfen, abgelehnt würde.
Die Entscheidung durch PK (Player kill)
Das Phänomen Fans, das in der heutigen Gesellschaft
weitgehend beobachtet werden kann, entstand aus dem Verschwinden
der abgöttischen Verehrung von Politikern in den 90er Jahren
und des Strebens nach individueller Entwicklung an deren Stelle.
Die Fans handeln oft irrational und haben aber eine starke Kaufkraft.
So ziehen sie allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.
Die Super Girls wurde vor einigen Jahren von Hunan
TV auf die Bühne gebracht. Es handelte sich um eine Reality
Show nach US-amerikanischem Vorbild. Nach den Spielregeln
von Super Girls entschieden die Zuschauer per SMS
über das Schicksal der Wettbewerberinnen. Dadurch trat die
angebliche Macht von Fans in den Vordergrund. Li Yuchun, eine
21-jährige Studentin einer Musikhochschule, erhielt im Jahr
2005 in der letzten Runde 3,52 Mio. SMS-Stimmen und ging als Siegerin
aus der zweistündigen Show hervor. So wurde sie ein Super-Star,
von dem die Zuschauer schwärmten.
Nach Super Girls brachten viele Fernsehsender ähnliche
Reality-Shows heraus, kennzeichnend für sie ist die Entscheidung
durch PK, durch die die unversöhnliche Haltung der Fans deutlich
zur Anschauung gebracht wird. Für die Fans ist es Pflicht,
für ihr eigenes Idol Stimmung zu machen. Aus einer Untersuchung
des New Magazine geht hervor, dass 58% der Fans einem
Fanklub beigetreten sind, der dazu dient, ihr eigenes Idol bei
der Entscheidung durch PK zu unterstützen. Während die
Fans eine bedingungslose Liebe zu ihrem Idol zeigen, sind sie
scharfe Gegner der Menschen, die ihr Idol nicht mögen, und
Konkurrenten, insbesondere der anderen aussichtsreichen Favoriten.
Gegen diese hegen sie sogar einen irrationalen Hass. Es gibt Medienkritiker,
die diese extremen Fans mit Hooligans und Randalierern vergleichen.
Eine vom Sina.com durchgeführte Untersuchung zeigt: 31% der
Befragten meinen, dass es sich um keine gesetzwidrige Handelung
handelt, wenn die Fans andere verbal angreifen. 15% der Befragten
zeigten Bereitschaft, zwecks Aufrechterhaltung des Images ihres
Idols andere zu beschimpfen.
Prof. Miao Di von der Chinesischen Universität für
Medien und Kommunikation meinte, dass die Stellung der Fans früher
eher passiv war und sie sich nach der Einführung von Reality-Shows
nun wie Macher der Stars fühlen. Unter diesen
Umständen gibt es im Vergleich zur Vergangenheit eine stärkere
Tendenz zur Organisierung in Fanklubs, Fans handeln in diesem
Rahmen bewusster und sind in gewisser Hinsicht fanatischer. Größere
Konflikte zwischen den Fans stehen auch im Zusammenhang mit ihrer
Organisation und ihrer Haltung. Bei einer Reality-Show stehen
nicht nur die Teilnehmer, sondern auch ihre Fans im gegenseitigen
Wettbewerb. Prof. Miao Di meinte, dass Streit zwischen den Fans
wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen ist, dass
die Programmveranstalter die mediale Wirkung steigern wollen.
Ma Tianyu ist ein Wettbewerber bei Come on, Good boy!,
einer Reality-Show wie Super Girls. Er sieht hübsch
und intelligent aus und stammt aus einer Familie, die ihn stets
anspornt, vorwärts zu kommen. Er gewann viele Fans. Nachdem
er aus dem Wettbewerb ausgeschieden war, wurden seine Fans wütend.
Sie machten der Jury den Vorwurf, in dunkle Machenschaften verwickelt
zu sein, und beschimpften alle Kritiker in den Medien, die sich
gegen Ma aussprachen oder sich über ihn mit Vorbehalt äußerten.
Sie drohten mit körperlicher Gewalt.
Es wird ständig über Gewalttaten, die von Fans verübt
wurden, in den Medien berichtet. Experten sind der Ansicht, dass
die Fans jung sind und wenig soziale Kompetenz mitbringen. Der
Filmkritiker Zhou Liming meinte, dass die irrationale Handlung
der Fans auch damit im Zusammenhang stehe, dass es zur Zeit an
einer Plattform fehle, wo sie ihren Unmut loswerden können.
Wenn es solche Plattformen gäbe, dann würde sich die
Anzahl von extremen Handlungen durch Fans verringern. Jugendliche
im Westen veranstalten etwa monatlich eine Party, so Zhou Liming,
auf der sie sich austoben können. Bei uns stünden die
jungen Leute beim Lernen unter großem Druck. Plätze
und Kanäle seien notwendig, um diesen Stress loszuwerden.
Wenn keine gesunden Kanäle geschaffen würden, dann würden
sie auf die falsche Bann geraten.
Eine Untersuchung zeigt, dass 75% der Fans zwischen 18 bis 35
Jahre alt sind. Und die Fans der Reality-Shows sind zumeist Schüler
der Unterstufe oder der Oberstufe der Mittelschule. Sie sind in
einem ähnlichen Alter wie die von ihnen verehrten Idole,
also die durch Reality-Shows gemachten Stars. Sie sind zumeist
Einzelkinder und hatten wenig Gelegenheit, Freundschaft mit Gleichaltrigen
zu schließen. Herr Jia vom Psychologischen Beratungszentrum
Sonnenschein auf die Seele sagte: Die Fans verehren
von außen gesehen ihre Idole, beachten in Wirklichkeit aber
sich selbst. Denn sie identifizieren sich in bestimmten Punkten
mit den von ihnen geliebten Wettbewerbern. Die Kinder solchen
Alters hoffen, ebenfalls Beachtung zu finden. Eine brachiale Sprache
ist ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erringen.
Fans als große Konsumentengruppe
Durch Reality-Show oder ähnliche Fernsehprogramme wurde
ein völlig neues Modell geschaffen, durch das Stars gemacht
und Gewinne erzielt werden. Durch die Teilnahme der Fans werden
Einschaltquote und Gewinne garantiert. Nachdem die Wettbewerber
zu Stars gemacht wurden, sind ihre Fans die treuesten Konsumenten.
Yu Feier, Generaldirektor von Sino Media, ist der Auffassung,
dass die Fans für die Unterhaltungsfirmen eine große
und leicht zu führende Konsumentengruppe sind. Statistiken
zufolge beliefen sich allein die Einnahmen durch das SMS-Voting
in der letzten Runde von Super Girls auf 16 Mio. Yuan.
Und dieser Wettbewerb bestand sowohl aus Veranstaltungen auf Lokalebene
als auch auf Landesebene. Die Sponsoren wie der Milchproduktgigant
Mengniu, die Firma Lycra und Sprite haben durch Super Girls
hohen Profit erzielt. Der Umsatz bei Sauermilchprodukten der Mengniu-Group
hat sich aufgrund ihrer Rolle als Sponsor für Super
Girls vervierfacht, und die Einnahmen erreichten zwei Mrd.
Yuan.
Es ist durchaus üblich, dass ein Fan eintausend Yuan dafür
ausgibt, um für seinen Favoriten zu stimmen. Es kam auch
schon vor, dass ein Fan zehntausend Yuan dafür ausgibt. Nehmen
wir Li Yuchuns Fans als Beispiel, sie reisten während des
Wettbewerbs zum Austragungsort, kauften Tickets und zahlten für
ihre Unterkunft sowie für die Kosten des SMS-Votings. Die
Fans stiegern darüber hinaus künstlich die Verkaufszahlen
der CDs ihrer Lieblingsstars, indem sie Dutzende und Hunderte
von CDs kaufen. Sie wetteifern miteinander darum, wer mehr CDs
gekauft hat, um ihre Treue zum Idol zu beweisen. Außerdem
bevorzugen sie Produkte, für die ihr Idol wirbt. Es gibt
Fans, die monatlich eintausend Yuan für solche Produkte ausgeben,
darunter auch Schmuck und T-Shirts, die dem Stil ihrer Stars entsprechen.
Xiao Yue arbeitet in der Personalabteilung einer Firma und verdient
3000 Yuan pro Monat. Sie ist die Leiterin eines Fanklubs. Im Jahr
2006 gab sie für die Verehrung ihres Idols etwa 10 000 Yuan
aus, was etwa einem Drittel ihres Jahresgehalts entspricht. CDs
kosteten sie 1750 Yuan, die einschlägigen Publikationen über
den durch ihren Fanklub gefeierten Sänger 250 Yuan, Eintrittskarten
1260 Yuan und Reisen etwa 7000 Yuan.
Während viele junge Fans, die noch kein Einkommen haben,
nur durch SMS ihre Stimme abgeben oder Streit mit den Anhängern
eines anderes Stars im Internet anfangen können, verstärken
insbesondere weibliche Büroangestellte die Konsumkraft der
Fans. Sie reisen in Gruppen, manchmal sogar ins Ausland, um an
einem Konzert ihres Idols teilzunehmen. Zurzeit gibt es in China
immer noch einen bedeutenden Markt für Raubkopien. Aber die
Fans kaufen richtige CDs und bestellen manchmal CDs im Ausland,
um die Verkaufszahlen ihres Idols zu erhöhen.
Es gibt inzwischen auch professionelle Fans. Unter professionellen
Fans gibt es eine Hierarchie: Professionelle Fans auf unterer
Ebene übernehmen einfache Arbeiten, wie z. B. Plakate hochhalten
und Anfeuerungsrufe bei Wettbewerbsveranstaltungen; die mittlere
Ebene ist für die Gestaltung der Webseite verantwortlich,
schreiben Blogs und Kommentare in Internetforen und machen Stimmung
für die Veranstaltungen. Die ranghöchsten professionellen
Fans arbeiten mit Agenturen oder Stars direkt zusammen und nehmen
an der Organisation verschiedener Veranstaltungen teil. Sie erheben
von den Fanklubs Gebühren, die die Grundlage ihres Einkommens
darstellen. Yu Feier meint: Die Gruppen der professionellen
Fans arbeiten wie eine Firma, sie haben eine straffe Organisation
und eine klare Arbeitsteilung: Verschiedene Personen haben unterschiedliche
Verantwortungsbereiche wie z. B. Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungsmanagement
oder Organisierung der Klubmitglieder. An jedem Ort gibt es einen
Zuständigen. Wer gegen die Disziplin verstößt,
der wird entlassen.
Wenn ein Wettbewerb einer Reality-Show zu Ende geht, dann wird
ein neues Idol geboren. Für die Fans bedeutet das jedes Mal
einen Neuanfang.
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