Einmal
alle zwanzig Tage
Enthaltsamkeit verlängert das Leben
Von Zhang Hude
Mehr als 100 Jahre alt kann der Mensch werden, behauptet Huangdis
Klassiker der inneren Medizin, ein Jahrhunderte altes medizinisches
Handbuch. Dort steht auch geschrieben, wie man das zehnte Lebensjahrzehnt
erreicht indem man nicht betrunken ins Zimmer geht.
Der Autor des Klassikers spricht in Rätseln, und um ihn
zu verstehen, ist ein Exkurs in die chinesische Sprache vonnöten.
Im klassischen Chinesischen bedeutete fang shi, die Sache
im Zimmer heute ru fang, ins Zimmer gehen
nichts anderes als den Geschlechtsverkehr vollziehen. Und
betrunken ins Zimmer gehen ist eine Umschreibung des
Umstandes, dass dies in alkoholisiertem Zustand bewerkstelligt
wird.
Wein ist äußerst beliebtes Getränk, welches wie
jedes alkoholische Getränk einen Makel hat: Es schadet der
Gesundheit. Besonders schlimm ist es jedoch, wenn man nicht nur
betrunken ist, sondern in diesem Zustand auch noch den Geschlechtsverkehr
vollzieht. Denn in betrunkenem Zustand hat man sich selber nicht
mehr unter Kontrolle, ist total erregt und übermüdet.
Und dies schadet den wertvollsten Substanzen des menschlichen
Körpers: Samen und Lebenskraft.
Die traditionelle chinesische Medizin hat immer wieder auf die
Bedeutung des Samens im menschlichen Leben hingewiesen. Laut ihrer
Lehrmeinung stellt der Samen die Struktur menschlichen Lebens
dar. Wie lange ein Mensch lebt, hängt von den drei wichtigsten
Elementen des Körpers ab, als da sind: Samen, Lebenskraft
und Seele. Für die alten chinesischen Ärzte waren dies
die drei Schätze des menschlischen Körpers.
Der Samen, so meinten sie, produziert Lebenskraft, und ihr wiederum
entspringt die Seele.
Schon der Arzt Luo Minshan, der 110 Jahre alt wurde, erklärt:
Der Samen ist der Schatz des Menschen, man darf ihn nicht
leichtfertig herausfließen lassen. Will man lange leben,
muss man den Samen bewahren. Der alte Herr kannte sich da
aus, denn als man ihn fragte, wie er so alt geworden sei, antwortete
er: Statt mit meiner Frau Liebe zu machen, liebe ich die
Landschaft.
Auch die heutige Medizin glaubt, wenn man betrunken ins
Zimmer geht, schwäche dies die Abwehrkräfte des
Körpers. Dies wusste schon der Autor des Klassikers
der inneren Medizin und stellte Maßstäbe für
die Absolvierung ehelicher Pflichten auf. Man solle seinen Samen
bewahren und im Sommer sich besser alleine auf das Nachtlager
betten. Der Arzt Sun Simiao, der während der Tang-Dynastie
(618-907) praktizierte, wurde noch konkreter. Ein 20-Jähriger
solle sich nicht häufiger als alle vier Tage kopulativ betätigen,
ein 30-Jähriger dürfe alle achte Tage einmal, ein 40-Jähriger
alle 16 Tage, und für einen 50-Jährigen reiche es durchaus,
wenn er seine Gattin alle 20 Tage einmal beschlafe. Auch nach
heutigen medizinischen Prinzipien entspricht diese alte Regel
dem gesunden Körpersystem.
Aber zurück zu den betrunkenen Abstechern ins Zimmer. Alkohohl
im Blut schadet nämlich nicht nur dem jeweiligen Kopulanten,
sondern auch seinem Nachwuchs. Seine Kinder leiden oft an Nervenzerrüttung,
Bluthochdruck und sonstigen Krankheiten. Alte Menschen, welche
die 60 überschritten haben, sollten den Geschlechtsverkehr
ganz stoppen. Merke: Ein Leben in Maßen, so zeigt die Praxis,
kommt der Gesundheit zugute. Die meisten chinesischen Kaiser und
Könige starben nämlich ihrer zahllosen Konkubinen und
Frauen wegen bereits in jungen Jahren. Im heutigen China führen
die meisten über 100-Jährigen ein sehr gemäßigtes
Sexualleben.
Dass Enthaltsamkeit mit einem langen Leben honoriert wird, belegt
auch ein Beispiel aus dem Ausland. In Venedig lebte dereinst ein
Mann, der viel und gern aß, etlichen Litern guten Weines
am Tag nicht abgeneigt war und eifrigst kopulierte. Erst 35 Jahre
war er alt, als ihn gleich mehrere Krankheiten auf die Bettstatt
warfen. Er genas und befolgte fortan den Ratschlag seines Medicus,
dem lüsternen Leben abzuschwören. Und so lebte er enthaltsam
noch 50 weitere Jahre. Doch bevor ihn endgültig das Zeitliche
segnete, brachte er noch ein Traktat zu Papier, welches später
unter dem Titel Wie lebt man 100 Jahre alt lang als
Buch erschien. Und auch er riet dringendst davon ab, betrunken
ins Zimmer zu gehen.
Aus China im Aufbau, Nr. 11. 1987
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