Brücke zum wissenschaftlichen Austausch zwischen China und
Deutschland
Von Gao Zhuan
2007
das Jahr der Geisteswissenschaften. Mit diesem Titel
stellte das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung
zum ersten Mal seit sieben Jahren die Geisteswissenschaften ins
Rampenlicht der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Dadurch werden nicht nur Lehre und Forschung der deutschen Geisteswissenschaften
an sich vorangetrieben, sondern auch deren internationale Zusammenarbeit
wird gefördert. An der wissenschaftlichen Zusammenarbeit
zwischen dem Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung
(MZES) und dem Institut für Europastudien (IES) der Chinesischen
Akademie der Sozialwissenschaften lässt sich erkennen, wie
eine geisteswissenschaftliche Fachdisziplin, nämlich die
Politikwissenschaft, durch Austausch wissenschaftliche Internationalität
beflügeln und zur Mitgestaltung der Zukunft beitragen kann.
2007 ist das Jubiläumsjahr für die wissenschaftliche
Kooperation zwischen IES und MZES. Genau vor zehn Jahren wurde
ihre Zusammenarbeit in Angriff genommen. Mit Stolz blickt Prof.
Dr. Zhou Hong, Direktorin des IES, auf den Beginn der Zusammenarbeit
zurück, die im Lauf von zehn Jahren drei Phasen durchlaufen
hat. 1997 wurde ein Abkommen über die Kooperation im Bereich
der Hochschulbildung zum Thema europäische Integration zwischen
der chinesischen Regierung und der EU unterzeichnet. Auf Grundlage
dieses Abkommens wurde die Zusammenarbeit zwischen den führenden
Forschungsinstituten über Europastudien: IES und MZES, in
Gang gebracht. Dabei übernahmen die Mannheimer Politikwissenschaftlerin
Prof. Dr. Beate Kohler-Koch und ihre chinesische Partnerin Prof.
Dr. Zhou Hong vom IES eine gemeinsame Leitungsfunktion im
von der EU geförderten europäisch-chinesischen
Universitätsprogramm. Am Anfang absolvierten chinesische
Wissenschaftler Forschungsaufenthalte an renommierten europäischen
Universitäten wie der Universität Mannheim und der Universität
Heidelberg. Sie haben dadurch einen Überblick zum Forschungsstand
von Europastudien gewinnen können, und das war für die
Begründung und Etablierung dieser Teilfachdisziplin an chinesischen
Forschungsinstituten und an chinesischen Hochschulen von weitreichender
Bedeutung. Diese Zusammenarbeit wurde dann dadurch fortgesetzt,
dass die Mannheimer Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Kohler-Koch
gemeinsam mit zwei anderen Autoren und dem Mannheimer Politikwissenschaftler
Dr. Fabrice Larat Lehrbücher eigens für den Unterricht
in China verfasst haben, die dann von ihren chinesischen Fachkollegen
ins Chinesische übersetzt wurden. Diese Lehrbücher gelten
als Standardwerke für den Unterricht an chinesischen Hochschulen.
Zur Zeit hat das IES die Europastudien durch die European
Studies Centres-Programme der EU stark institutionalisiert,
so dass das IES heute als Dachorganisation für Europastudien
in China dient und seine Vernetzung auf nationaler Ebene erweitert
hat: Unter Federführung und fachlicher Anleitung des Instituts
werden Europastudien an über zehn Hochschulen in China betrieben.
Durch die Zusammenarbeit mit dem MZES hat das IES seine Forschungsarbeit
vertieft und erweitert. Die Europastudien haben sich von
der allgemeinen Darstellung über analytische Forschung hin
zu einer tiefer gehenden Ebene bis zur Unterteilung in Teilforschungsaspekte,
bei denen es um den Aufbau spezieller Forschungsgebiete wie Erforschung
der europäischen Wirtschaft, Politik, des europäischen
Rechtswesens und der europäischen gesellschaftlichen Kultur
geht, entwickelt. Damit haben wir wichtige Fortschritte auch in
der Verbindung der theoretischen Forschung mit der gesellschaftlichen
Praxis gemacht, meinte Prof. Zhou Hong. Wie tiefgehend diese
Forschung ist, zeigt die Publikation der Arbeiten chinesischer
Wissenschaftler in Deutschland.
Durch den wissenschaftlichen Austausch haben die chinesischen
Wissenschaftler neue Hochschullandschaften kennen gelernt. Frau
Dr. Yang Xiepu vom IES hat über den Austausch ein Aufbaustudium
an der Universität Mannheim gemacht. Als sie 1999 zum ersten
Mal nach Deutschland kam, fand sie alles an der deutschen Universität
neu: das imposante Schloss, das die Universität beherbergt,
die Uni-Bibliothek, die Vorlesungsverzeichnisse, akademisches
Viertel, die Menüs der Mensa usw. Alles ist anders als in
China. Aber am meisten beeindruckt ist sie von der Unterrichtsmethode.
Sie erinnert sich heute noch deutlich an ihre erste Sitzung in
einem Hauptseminar: In der ersten Stunde kam mir es vor,
als ob ich in ,einem chinesischen Teehaus säße
und ich fragte mich, ob man bei solcher ,Plauderei etwas
lernen kann. Nachdem sie das Programm des Seminars studiert
und mit dem Seminarleiter gesprochen hatte, verstand sie erst,
wie man sich auf das Seminar vorbereiten soll. Mit Hilfe des Seminarleiters
hat sie gelernt, einschlägige Fachliteratur zu lesen, ein
Thesenpapier anzufertigen, ein Referat zu halten und eine Seminararbeit
zu schreiben. Gerade durch geistige Auseinandersetzung über
thematisch relevante Fragen und Diskussionen über Kontroversen,
die vom Seminarleiter angeleitet werden, im Unterricht, werden
brillante Gedanken geboren, was man bei uns heute gern als ,Innovation
bezeichnet. Solche Unterrichtsform war mir während meines
Hochschulstudiums in China nicht begegnet und stellt viel höhere
Anforderung an die Seminarteilnehmer. Aus meiner Sicht verkörpert
diese Unterrichtsform in gewissem Sinn das Prinzip ,Einheit von
Forschung und Lehre der deutschen Hochschulen. Dazu
sagte Dr. Fabrice Larat: Wer in Mannheim geforscht hat,
bringt nicht nur neues Wissen mit nach Hause. Der Kontakt mit
europäischen Kollegen, Forschungsmethoden und anderen Standpunkten
führt häufig auch zu einer Erweiterung des geistigen
Horizonts. Die Zusammenarbeit gedeiht. Bisher haben mehr
als 20 Wissenschaftler vom IES, einige mehrmals, das MZES besucht,
die deutschen Wissenschaftler sind öfters beim IES zu Gast.
Die neuen Forschungsmethoden und Kenntnisse aus Europa werden
vom IES ausgewertet und aufgenommen. Heute steht problem-based
learning im Unterrichtsprogramm für die Ausbildung
von Postgraduierten durch das IES.
Im Mittelpunkt der gemeinsamen Forschung steht die Frage: Kann
das Projekt Europa Modellcharakter für den asiatischen
Raum haben? Durch die Forschungsaufenthalte in Mannheim und Heidelberg
gelangen Frau Dr. Zhang Jun, die heute als außerordentliche
Professorin am IES arbeitet, zur Erkenntnis: Die chinesische
Politikwissenschaft hat sich lange Zeit stark auf amerikanische
Autoren konzentriert. Die EU ist mittlerweile ein eigenständiger
Akteur der Weltpolitik, der für China von wachsender Bedeutung
ist. Heute aber ist in China fundiertes Wissen über die EU
gefragt. Europäische Forschungsergebnisse stellen für
uns eine große Bereicherung dar. Europa hat beispielsweise
große Erfahrung mit dem Aufbau von politischen Institutionen.
Dieses Wissen kann für den asiatischen Raum und seine Entwicklung
von großer Wichtigkeit sein.
Zhang Jun hat während ihres Forschungsaufenthaltes an der
Universität Heidelberg nicht nur ihre Fachkenntnisse erweitert,
sondern auch Heidelberg näher kennen gelernt: Die Forschungsarbeit
ist anstrengend, doch das Alltagsleben ist gemütlich. Die
Uni-Mensa mit Ausnahme der China-Woche
möchte sie zwar nicht als Mensa cum laude bezeichnen,
aber sie hat dort deutsche Brot- und Käsespezialitäten
entdeckt: Ein frisches Vollkornbrot, außen knusprig,
innen körnig und ein Stück Allgäuer Bergkäse
schmecken einfach vorzüglich. Fasziniert durch die
Landschaft des Neckartals hat sie sich einige Verse der Heidelberger
Romantik eingeprägt, so zitiert sie gern Hölderlins
Spruch: Heidelberg sei wirklich die Ländlichschönste
und der Blick von der alten Brücke auf das Schloss sei zu
herrlich, um wahr zu sein.
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