Ein Mensch, eine Stadt
Von Li Guowen
Am 11. Oktober 2006 überschritt der Wasserstand in den Drei
Schluchten des Jangtse 150 Meter. Die Altstadt Fengjie mit einer
2000-jährigen Geschichte versank völlig im Wasser. Einem
alten Mann stiegen Tränen in die Augen, als er das sah. Er
heißt Zhao Guilin und ist der Direktor des Shicheng-Museums
des Kreises Fengjie.
Zhao Guilin verbrachte eine glückliche Kindheit in der verschwundenen
Altstadt Fengjie. Als er ganz klein war, hörte er
wie andere Kinder auch gerne den Volkskünstlern in
den von Gassen umgebenen Höfen zu, die Geschichten erzählten.
Es machte ihm auch Spaß, die an die Wand geklebte Wanxian-Tageszeitung
zu lesen, sich mit Spielgefährten in Dachstuben beim Blindekuh
spielen zu amüsieren und Drachen auf der Sandbank außerhalb
von Yidoumen fliegen zu lassen. Heute existieren solche Plätze,
die für die alten Einwohner Fengjies voller Erinnerungen
sind, nicht mehr.
Was Zhao Guilin am tiefsten in Erinnerung bleibt, ist die alte
Dadongmen-Straße in der Altstadt Fengjie. Alle dortigen
Häuser waren völlig aus Holz gebaut, es gab hölzerne
Türen, Fenster und auch Wände, die Häuser waren
in Reihen geordnet und in einfachen und klaren Linien gehalten.
Als Zhao Guilin die Grundschule besuchte, kam er oft an der Dadongmen-Straße
vorbei. Die meisten Häuser waren zweistöckig mit einer
Dachstube. Die Erdgeschosse dienten als Läden und Geschäfte,
in denen Bonbons, breite Glasnudeln, Nudeln aus Weizenmehl, Reis
u. a. m. angeboten wurden. Insbesondere der Bonbon-Laden übte
die größte Anziehungskraft auf ihn aus. Damals war
die Familie von Zhao Guilin arm und er erhielt kein Taschengeld,
mit dem er Bonbons hätte kaufen können. Er dachte: Wenn
ich eines Tages Geld habe, werde ich alle Arten von Bonbons kaufen
und sie nach Herzenslust probieren.
1997 wurde der Verlauf des Jangtse in den Drei Schluchten erfolgreich
gestaut. Das bedeutete die Fertigstellung der ersten Phase dieses
groß angelegten Wasserbauprojektes, die fünf Jahre
gedauert hatte. Der Kreis Fengjie hat eine wichtige Lage im vom
Wasserbauprojekt betroffenen Gebiet. Trotzdem wurde er von der
ersten Phase des Projektes nicht besonders beeinflusst. Im Juni
2003 begann die zweite Phase mit der Wasserspeicherung. Als der
Wasserstand 135 Meter erreichte, wurde der große Teil der
alten Kreisstadt Fengjie überschwemmt. Das Wasser lag gerade
vor Yidoumen und die historische Sehenswürdigkeit Baidicheng
wurde zu einer Halbinsel. Im selben Jahr wurde die Kreisstadt
Fengjie in das 10 km entfernte Sanmashan verlegt.
Als man begann, Häuser wegen des Wasserbauprojektes abzureißen
und die Bewohner umzusiedeln, besuchte Zhao Guilin mit einer Kamera
fast jede Familie der Altstadt Fengjie. Sein ursprüngliches
Ziel war, Material für ein Buch zu sammeln, welches er in
Zukunft schreiben wollte. Später hörte er, dass die
Kreisregierung mangels Geldmittel darauf verzichtete, die alte
Dadongmen-Straße als Ganzes zu verlegen. Das bedauerte Zhao
Guilin sehr.
In den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die
zweistöckigen Häuser in der Dadongmen-Straße als
Hochhäuser angesehen und waren darum landesweit bekannt.
Zhao Guilin dachte: Wenn ich Kapital dafür aufbringen
kann, die wertvollen Bauten dieser Straße in ihrem originalen
Zustand in die neue Kreisstadt zu verlegen, kann ich einen Abschnitt
der Geschichte der alten Kreisstadt Fengjie erhalten. Vom
Oktober 2002 an beschäftigte er sich mit der Gründung
des heutigen Shicheng-Museums. Allein nach der ersten Kalkulation
hätte das Projekt ca. eine Million Yuan (ca. 100 000 Euro
in Anspruch genommen. Zhao Guilin war vor seiner Pensionierung
für die Popularisierung von Kultur bei der Kreisregierung
tätig. Die Summe, die er und seine Frau ein Leben lang gespart
hatten, betrug nur 100 000 Yuan. Es reichte für ein solch
großes Projekt bei weitem nicht aus. Die jüngere Schwester
von Zhao Guilin ist eine Geschäftsfrau und wollte ihm 200
000 Yuan leihen. Manche Verwandte, die in der Baubranche beschäftigt
sind, wollten ihn mit Baumaterial, das ungefähr 200 000 Yuan
kostet, unterstützen. Aber die Frau von Zhao Guilin konnte
ihn anfangs nicht verstehen, insbesondere weil ihr Mann alle Ersparnisse
von ihnen ausgeben wollte. Einmal brachte Zhao Guilin sie extra
zur Dadongmen-Straße. Sie sahen, dass viele alte Wohnhäuser
abgerissen worden waren. Manche Bewohner nutzen das mit Schnitzereien
verzierte Holz der Türen und Fenster zum Verfeuern, um zu
kochen. Mehrere Holzbauteile wurden zu anderen Zwecken verarbeitet.
Auch die Frau von Zhao Guilin fand das sehr bedauerlich. Seitdem
ist sie nicht mehr gegen die Tätigkeit ihres Mannes. Zhao
Guilin hat zwei Söhne, der eine arbeitet beim Fernsehsender
und der andere in der Bibliothek des Kreises Fengjie. Sie stehen
ihrem Vater auch zur Seite.
Die lokale Regierung hat auch Unterstützung gewährt
und Zhao Guilin den brachliegenden Boden um das Grundstück,
das er gekauft hatte, zur Verfügung gestellt. Als die Aufbaukommission
der Drei Schluchten hörte, dass Zhao Guilin ein Museum errichten
wollte, versprach sie, ihn mit 200 000 Yuan zu unterstützen.
Im März 2003 begannen endlich die Bauarbeiten am Museum.
Zhao Guilin war damit so beschäftigt, dass er mit Stresssymptomen
zu kämpfen hatte. Einige Immobilienhändler wollten mit
ihm zusammenarbeiten. Ihr Angebot war, auf dem Grundstück
von Zhao Guilin ein großes Gebäude mit fünf Stockwerken
zu bauen. Das Erdgeschoss und das erste Stockwerk hätte Zhao
Guilin und die anderen vier Stockwerke die Immobilienfirma in
Besitz genommen. Da er dann keine Kosten für den Bau des
Hauses hätte tragen müssen, ließ das Angebot Zhao
Guilin nicht kalt. Schließlich lehnte er aber dennoch ab,
da er der Auffassung ist, dass man in einem solchen Gebäude
die alten Wohnhäuser der Dadongmen-Straße nicht wieder
auferstehen lassen könne.
Nach einigen Jahren der Bemühungen steht das Museum von
Zhao Guilin heute am touristischen Kai Yidoumen. Es besteht aus
15 Hallen und nimmt eine Fläche von ca. 3000 qm ein. Hier
werden die alte Stadtmauer, alte Wohnhäuser und viele Kulturgegenstände
der Altstadt Fengjie aus den letzten knapp 500 Jahren ausgestellt.
Es soll die sinnvollste Sache im Leben Zhao Guilins sein, das
Shicheng-Museum gegründet zu haben. Seine edelmütige
Tat hat viele Einwohner bewegt. Der 80-jährige Liu sagte
zu ihm: Zwar wollen andere Leute meine alten Möbel
für höhere Preise kaufen, aber ich möchte sie lieber
zu dir bringen... Zhao Guilin ist sich darüber im Klaren,
dass sein Museum von der Unterstützung aller Einwohner Fengjies
abhängt. Er sagt: Das Museum gehört nicht unserer
Familie Zhao, sondern der ganzen Gesellschaft. Gegenwärtig
beschäftigt er sich mit der Erfassung der Exponate. Den Privatpersonen,
die dem Museum Kulturgegenstände geschenkt haben, wird er
eine Urkunde verleihen. Außerdem bemüht sich Zhao Guilin
aktiv darum, dass sein Museum unter Denkmalschutz gestellt wird.
Nachdem das Museum im Mai 2004 fertiggestellt wurde, wurde es
für den Besuch freigegeben. Die Eintrittskarte kostete zehn
Yuan und kostet seit dem Jahr 2005 nun 15 Yuan. Das Shicheng-Museum
wird nicht nur von Regierungen verschiedener Ebenen, sondern auch
von in- und ausländischen Touristen hoch geschätzt.
Über Zhao Guilin und sein Museum ist viel berichtet worden.
Es gibt schon gesellschaftliche Effizienz, aber wir brauchen
auch wirtschaftliche Effizienz, sagt Zhao Guilin. 2006 machte
das Museum noch einen Verlust von 20 000 Yuan, was schon viel
besser war als im Jahr zuvor. Ich bin voller Zuversicht,
dass mehr Leute unser Museum besuchen werden. In der kommenden
Zeit wird Zhao Guilin mit Reisebüros zusammenarbeiten. Er
hofft, dass der Besuch seines Museums in das Programm der Reisebüros
aufgenommen wird.
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