Eheschließung
und Hochzeitsbräuche (2)
Hochzeitslieder
Vielerorts ist es Brauch, zur Hochzeitsfeier Lieder zu singen.
Die Sänger sind Vertreter der Braut, des Bräutigams
oder der Gäste, die die Braut und den Bräutigam zur
Hochzeitsfeier beglückwünschen. Auch werden Sänger
eingeladen, unter denen auch Lamas sind. Sie können alle
sehr gut singen und wählen besondere Lieder für die
Hochzeitsfeier aus. Im Kreis Ritug in Ngari ist die Sammlung von
Hochzeitsliedern in Ritug sehr verbreitet.
Diese Liedersammlung hat angeblich eine lange Geschichte. Sie
soll zur Zeit der Tang-Dynastie (618-907) nach Tibet gebracht
worden sein. Andere sagen, die Liedersammlung sei erst vor etwa
200 Jahren entstanden. Heute ist es in Ritug Sitte, Lieder dieser
Sammlung zur Hochzeitsfeier zu singen. Die Liedersammlung hat
31 Abschnitte, in denen unter anderem bunt bemalte Pfeile, Götter,
Gäste, Schneeberge, Felsen, Haustüren, Qingke-Gerste
Themen sind. Manche Lieder, wie etwa die zum Überreichen
von Hadas (weiße Seidenschals, die überall als
Begrüßungsgeschenke dienen), Wechselgesänge, Abschiedslieder
und Lieder über das Holen von Mützen werden nur zu bestimmte
Zeremonien gesungen. Andere Lieder, wie solche zur Beschreibung
des Kopfschmucks oder bunt bemalter Pfeile und besonders Abschiedslieder
werden wiederholt gesungen. Es ist kaum möglich, alle Lieder
der Sammlung auswendig zu singen. Die eingeladenen Sänger
müssen darum dieses Liederbuch zur Feier mitbringen.
Gesänge sind bei der Hochzeitsfeier sehr wichtig. Ob die
Hochzeit nach Wunsch verläuft, hängt davon ab, ob der
Bräutigam einen guten Sänger einladen kann. Der Sänger
geht dann im Namen des Bräutigams zur Familie der Braut,
um diese abzuholen. Bevor er die Braut treffen darf, muss er zunächst
drei Engpässe bewältigen. Der erste ist
weit vom Haus der Braut entfernt, der zweite liegt auf halbem
Wege und der dritte nahe am Haus der Braut. Der Vertreter der
Braut überreicht dem Sänger einen Hada und Qingke-Gerstenwein
als Begrüßungsgeschenke. Nun muss der Sänger seine
Fähigkeit zur vollen Geltung bringen. Wenn der Vertreter
der Braut mit dem Sänger unzufrieden ist, kann dieser den
letzten Engpass nicht passieren. Man erzählt
sich von einem Sänger, der einmal sogar 20 Tage aufgehalten
wurde, bis er sich durch den letzten Engpass gesungen
hatte und die Familie der Braut nachgab. Der Sänger des Bräutigams
überreicht dem Vertreter der Braut einen Hada, wenn er nicht
weitersingen muss. Es ist ja nicht einfach, den dritten Engpass
zu passieren.
Nach Ankunft des Sängers in der Familie der Braut singt
er zuerst ein Lied, in dem die beiden mitgebrachten Kopfschmuckstücke
gepriesen werden. Ein Schmuckstück wird dem Meister der Opferzeremonien
überreicht, das andere vor das Haus der Braut gelegt. Dann
folgen Lieder, in denen die Gewänder, Schmuckgegenstände
und Pfeile gelobt werden, die der Bräutigam der Braut schenkt.
Singt der Sänger gut, wird er um Wiederholungen gebeten.
Am zweiten Tag begibt sich die Braut zum Haus des Bräutigams.
Vor dem Aufbruch singt der Sänger, den die Familie der Braut
eingeladen hat, ebenfalls viele Lieder. Die ganze Hochzeitsfeier
verläuft unter immer neuen Gesängen der beiden Sänger.
Aber auch bestimmte andere Verwandte der Braut müssen während
der Hochzeitsfeier singen, zum Beispiel der Onkel der Braut mütterlicherseits.
Beim Hochzeitsbankett gibt es traditionelle Wechselgesänge.
Mehrere Mädchen schenken im Namen des Gastgebers den Gästen
Wein ein und singen dazu. Die Gäste müssen zur Erwiderung
so lange wie die Mädchen singen, wenn sie nicht vorzeitig
betrunken werden wollen; denn wer nicht singt, muss natürlich
trinken. Die Hochzeitsfeier dauert in fröhlicher Stimmung
mehrere Tage.
|