Reisebericht Simatai
Reisen in China ist eine spannende Angelegenheit. Ganz besonders,
wenn man der Sprache nicht mächtig ist. In ein Taxi einzusteigen
und einen Straßennamen zu sagen, stellt kein Problem dar.
Aber wehe, der Taxifahrer will eine Erklärung zur Lage des
Ortes. Oft hilft dann nur der rettende Anruf bei dem Restaurant
der Wahl. Wenn dann der Taxifahrer nach kurzem Gespräch milde
lächelnd den Wagen wendet und, richtigerweise, in eine komplett
andere Richtung fährt, weiß man wieder, dass drei Jahre
des Chinesischlernens noch lange nicht genug waren.
Beijing ist ein Abenteuer. Doch erst, wer in den englischfreien
Raum außerhalb Beijings eintaucht, lernt die gezähmte
Stadt zu schätzen.
Ein Ausflug zur großen Mauer war Anlass, den Smog der Hauptstadt
für einen Tag hinter sich zu lassen. Die große Mauer
ist an einigen Stellen von Beijing aus gut erreichbar; Badaling
ist am nächsten und sehr touristisch, Mutianyu ist ebenfalls
nicht weit und weniger touristisch, Simatai und Jinshanling sind
am weitesten entfernt, dafür angeblich die schönsten
und am wenigsten vom Tourismus erschlossen. Die Auswahl fiel nicht
schwer und an einem schön versmogten Donnerstag machten wir
uns auf nach Simatai. Welcher Tourist mag schon diese lästigen
Touristen überall? Auch die Anreise zu einem der angeblich
schönsten Abschnitte der großen Mauer klang im Reiseführer
einfach genug. Den 960er Bus nach Miyun und von dort einfach einen
Bus nehmen, der nach Simatai fährt.
Der 960er ist ein bequemer Überlandbus, der einen in zwei
Stunden des gemütlich schaukelnden Fahrens für unschlagbare
15 Yuan nach Miyun bringt.
In Miyun stoppte der Bus an einem besonders sandigen und verlassenen
Stück Straße, die Busfahrerin rief Simatai
und scheuchte uns aus dem Bus. Etwas verdattert standen wir auf
der Straße. Außer ein paar geschlossenen Karaoke-Bars
war weit und breit nichts zu sehen. Naja, Karaoke-Bars und ein
freundlicher Herr, der uns für 150 Yuan nach Simatai und
zurück bringen wollte.
Ob das Angebot gut oder schlecht war, war in diesem Moment erst
einmal nicht so wichtig. Das Gefühl, über den Tisch
gezogen zu werden, blieb bestehen. Doch es blieb uns nichts anderes
übrig, als einzusteigen und zu hoffen, einen ehrlichen Menschen
vor uns zu haben. Um die Spannung vorweg zu nehmen: Der Fahrer
fuhr uns nach Simatai, wartete auf dem Parkplatz drei Stunden,
brachte uns zurück, erhöhte nicht plötzlich den
Preis und machte uns sogar netterweise während der Fahrt
auf viele Besonderheiten der Region aufmerksam. Nur eine Speditionslizenz
oder ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit kann er nicht
gehabt haben.
Ein schleichender Laster wird vom Auto vor uns gerade links überholt?
Egal, rechts neben dem Laster ist ja auch noch Platz. Wir standen
ein paar mittlere Krisen aus, passiert ist jedoch nichts.
Selbst wenn, der Anblick der großen Mauer hätte uns
für so manches entschädigt. Schon auf halben Weg vom
Eingang bis wir tatsächlich die Mauer erreichen, ist die
Foto-Speicherkarte halbvoll. Zu beeindruckend ist die Steigung,
die Art, wie die Mauer am Berg zu kleben scheint. Der strahlende
Sonnenschein und das Fehlen jeden Smogs tut sein Übrigens,
um uns in Hochstimmung zu versetzen.
Simatai ist touristisch wenig erschlossen. Ein paar Andenkenhändler
und ein kleines Restaurant warten eher verschlafen auf die ausbleibenden
Touristenströme. Dafür ist die Mauer in gutem Zustand
und leicht begehbar. An diesem Tag waren wir fast allein dort,
es begegneten uns kaum zehn Touristen. Die Mauer hatten wir trotzdem
nicht für uns allein, beim Aufstieg hängten sich zwei
hartnäckige Verkäuferinnen an uns. Sie spielten ungefragt
und leider auch ungewollt unsere Reiseführer und ließen
sich partout nicht abwimmeln. Erst als wir den dritten Wachturm
hinter uns gelassen haben, zogen sie es vor, auf unseren Abstieg
zu warten. Sie haben wohl erahnt, dass wir nicht in der Verfassung
waren, den ganzen Weg bis nach Jinshanling zurückzulegen.
Und dann stehen wir ganz alleine dort, hoch über dem Rest.
Im Westen zieht sich die Mauer bis nach Jinshanling, im Osten
endet sie in Ruinen. Das ist zumindest die Information auf der
Karte. Für uns endet die Mauer am Horizont, die schlängelt
sich hinter die Berge, immer wieder taucht in der Ferne ein Wachturm,
eine Zinne auf und scheint uns zu locken, doch noch ein wenig
weiter zu gehen. Nur noch ein Wachturm, nur noch der nächste
Bergkamm. Von da aus hat man bestimmt den besseren Blick.
Viel zu früh zwingt uns unsere Sorge um den Heimweg zum
Abstieg. Wir sinken zufrieden in die bezogenen Autositze. Wir
werden sicher zu Hause ankommen. Aber viel wichtiger ist: Wir
haben die Mauer gesehen, wir standen auf ihr. Da mögen die
Beijinger noch so lässig über den glorifizierten
Vorgartenzaun spotten. Wir sind gerne touristisch, wenn
es mit einem solchen Bauwerk, mit einem solchen Tag außerhalb
Beijings Hauptstadtsmog, belohnt wird.
Inga Thomsen studiert Politikwissenschaft an der Universität
Münster und macht vom Februar bis April 2007 ein Praktikum
bei China heute.
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