Liebe, die Tote aufweckt

– Das Drama „Päonien-Pavillon“ ist eine Ode an die Liebe

Von Ma Ruifang

Im fernen England schrieb Shakespeare gerade seine besten Dramen, als sich im mingzeitlichen China eine neue Denkrichtung auftat. Eine Gruppe von „Bilderstürmern“ forderte die alten feudalistischen Bräuche und Vorstellungen heraus und brachte eine Reihe neuer utilitarischer Ideen über die menschliche Natur hervor.

Ein Teil dieser neuen Gedanken fand Eingang in die Literatur. Zum Beispiel in „Päonien-Pavillon“, das bekannteste Stück des Dramatikers Tang Xianzu (1550–1616), welches eigentlich eine Oper ist, da es über weite Strecken gesungen wird. Es erzählt eine Liebesgeschichte, in der eine überholte feudale Ethik verdammt und der Kampf für individuelle Freiheit sowie das Recht auf eigene Partnerwahl befürwortet wird.

Schon in seiner Jugend galt „Päonien-Pavillon“-Autor Tang Xianzu als brillianter Gelehrter, der mit nur 21 Jahren die kaiserlichen Beamtenprüfungen auf Provinzebene bestand. Er strebte jedoch nicht nach Macht, und es dauerte 13 Jahre, bis er die nächste Prüfungshürde überwand und mit einem unbedeutenden Beamtenposten belohnt wurde.

Schon früh war Tang von den neuen Ideen seiner Zeit beeinflusst worden, und er hatte sich zu einem Gegner der alten feudalen Ethik entwickelt. Kaum war er in den Staatsdienst eingetreten, kritisierte er die Regierung. 1591 wagte er es, in einem Memorandum die Handlungsweisen von Staatsministern anzugreifen. Prompt wurde er auf die Halbinsel Leizhou strafversetzt.

Zwei Jahre später wurde er zum Magistrat des Kreises Suichang in der Provinz Zhejiang ernannt. Ein „Unruhestifter“ blieb er trotzdem. Er wurde zum erklärten Feind der Reichen und Mächtigen und schützte die einfachen Leute. Seine Vorgesetzten hatten an allem, was er tat, etwas auszusetzen, und diese Kanonade der Kritik ließ ihn schließlich zurücktreten. Er kehrte in seinen Heimatort Linchuan zurück.

Obwohl Tang eine ganze Reihe von Gedichten und Essays schrieb, ist er vor allem als Stückeschreiber bekannt geworden. Vier seiner bekanntesten Stücke sind „Päonien-Pavillon“, „Hantan’s Traum“, „Der Traum des Gouverneurs des Südlichen Tributstaates“ und „Die purpurne Haarnadel“. Da Träume in allen Handlungen eine wichtige Rolle spielen, sind die vier Dramen als „Die vier Träume von Linchuan“ bekannt. Tangs Lieblingsstück war der „Päonien-Pavillon“, und die meisten Literaturwissenschaftler halten es für das beste Beispiel eines Versdramas der Ming-Zeit.

Zu Beginn der Handlung engagiert der Gouverneur Du Bao einen strengen Hauslehrer für seine einzige Tochter Du Liniang. Dessen Aufgabe ist es nicht nur, dem Töchterchen sprachliche Fertigkeiten beizubringen, sondern auch das rechte unterwürfige Verhalten, das zu jener Zeit von einer Frau erwartet wurde. Von ihrer Zofe Chun Xiang verführt, stiehlt sich Liniang eines Tages in den hinteren Garten, der für junge Damen verbotenes Terrain ist, da sie dort von Fremden gesehen werden könnten.

Es ist die Blütezeit des Frühlings, und das, was sie sieht, riecht, hört, raubt Liniang die Sinne. Sie beklagt sich über ihr Schicksal, das ihr die Freiheit nimmt und sie hilflos warten lässt, bis die Eltern ihr einen Gemahl ausgewählt haben. Danach schläft sie im Ostpavillon ein. Sie träumt, sie treffe einen zärtlichen und leidenschaftlichen Geliebten, einen jungen Gelehrten, der eine Weidenrute hält.

Am nächsten Tag stiehlt sich Liniang wieder in den verbotenen Garten und versucht, den Traum noch einmal zurückzuholen. Es gelingt ihr nicht. Aber sie erkennt, wie kalt und leer ihr Leben ist und wie hart es im Vergleich zu ihrem Traum ist. Da sie den Tod einem Leben ohne Liebe vorzieht, stirbt sie vor Gram. Vorher jedoch befiehlt sie ihrer Zofe noch, eine Bildrolle mit einem Portrait von ihr unter einem Felsen im hinteren Garten zu vergraben. Sie selber wird ebenfalls in dem Garten beerdigt, und ein Nonnenkloster wird gegründet, um ihr Grab zu pflegen.

Einige Zeit später hat der junge Gelehrte Liu Mengmei aus Guangzhou einen Traum. Er sieht eine wunderschöne Frau, die unter einem Pflaumenbaum steht und ihm zuwinkt. Es ist Liniang. Auf seinem Weg zu den kaiserlichen Beamtenprüfungen wird Liu krank und lässt sich – wie das Theater so spielt – in dem Nonnenkloster bei Liniangs Grab gesundpflegen. Er schlendert im Garten umher und stößt auf das Rollbild mit Liniangs Portrait. Prompt ist er hoffnungslos in sie verliebt.

In der folgenden Nacht erscheint Liniangs Geist dem liebeskranken Gelehrten. Sie könne zum Leben erweckt werden, teilt sie ihm mit, wenn er ihren Sarg öffne, der unter einem Pflaumenbaum liege. Liu tut wie ihm geheißen, sie tritt wieder unter die Lebenden und die beiden beschließen zu heiraten. Doch das ist noch lange nicht das Ende des Stücks. Ein Krieg bricht aus, ihre Eltern weisen den von ihr gewählten Gatten zurück, und die beiden müssen noch etliche Schwierigkeiten überwinden, bevor endlich der Kaiser höchstpersönlich ihre Ehe billigt.

Du Liniang ist, vor allem nach ihrer „Auferstehung“ eine der ansprechendsten Heroinen der klassischen chinesischen Literatur. Sie ist nicht länger schwach, widerspricht ihren Eltern, zerschmettert die feudalen Konventionen der arrangierten Ehe und kämpft für ihr Recht auf Liebe und Glück. Für die Menschen ihrer und späterer Tage versinnbildlicht Liniang die Wünsche und die Bitterkeit zahlloser junger Frauen, die unter dem Joch feudaler Bräuche litten.

Das Stück preist Treue sowie Stärke und Bedeutung der Liebe, die hier im wörtlichsten Sinne den Tod bezwingt. Autor Tang Xianzu schrieb in einer Anmerkung zu seinem Werk: „Wer weiß schon, was Liebe bedeuten kann? Die Lebenden können sterben und die Toten leben – all das durch die Macht des Gefühls.“

„Päonien-Pavillon“ ist ein sehr romantisches Stück. Trotz so wundersamer Geschehnisse wie Träumen, welche die Zukunft vorhersagen, und der Wiederauferstehung einer Toten zeigt es lebendig den Zusammenprall von Phantasie und Wirklichkeit. Die gesamte Handlung strebt von einem Höhepunkt zum nächsten. Diese Charakteristika sind typisch für viele Romanzen in der mingzeitlichen Literatur. Tang steuert darüber hinaus eine Sprache bei, die elegant und lyrisch ist.

Es heißt, das „Päonien-Pavillon“ nach seiner Erstaufführung solch einen überwältigenden Erfolg hatte, dass Menschen in ganz China seine Verse zitieren konnten. Fast 400 Jahre später gehört es immer noch zum Repertoire chinesischer Opern und Theater, und es gibt immer noch Menschen, die seine Verse auswendig lernen.

„Päonien-Pavillon“ – Ein Auszug

Liniang trifft im Traum auf Liu. Der folgende Dialog ist der fünften Szene des Dialogs entnommen. Die kursiv gedruckten Zeilen werden bei Aufführungen gesungen.

LIU: In der warmen Sonne trillern die Oriolen,

Unter klarem Himmel lächeln die Sterblichen;

Mit den Augen den gefallenen Blättern im Strom folgend

Bin ich wie Yuan Zhao ins Traumland gekommen.

Ich bin dem jungen Fräulein Du hierher in den Garten gefolgt.

Wo ist sie nun? (Er sieht sie.) Ah, meine Dame!

(Liniang ist überrascht. Die beiden begrüßen sich.)

LIU: Ich habe Sie überall gesucht. Ich wußte nicht, dass Sie hier sind.

(Liniang sieht ihn aus den Augenwinkeln an, sagt aber nichts.)

Ich habe gerade einen Weidenzweig im Garten gepflückt, Schwester. Sie sind so belesen, möchten Sie nicht ein Gedicht auf diesen Zweig sprechen?

LINIANG: (zu sich) Ich habe diesen Herrn nie zuvor gesehen. Wie kommt er hierher?

LIU: (lacht) Meine Dame, ich bin verrückt vor Liebe zu Ihnen –

Weil Sie so schön wie eine Blume sind

Und die Jugend wie fließende Wasser davonströmt.

Ich habe überall nach Ihnen gesucht,

Und nun finde ich Sie in Ihrer Kammer, allein.

Lasst uns ein wenig wandeln. Ich habe Ihnen so viel zu sagen.

(Liniang lächelt, rührt sich jedoch nicht. Liu greift nach ihrem Ärmel.)

LINIANG: (leise) Wo wollt Ihr hingehen?

LIU: Hinter die Terrasse der Päonien,

Zu den aufgeschichteten Felsen.

LINIANG: (leise) Aus welchem Grund?

LIU: (flüsternd) Um dort Euer Gewand aufzubinden,

Euren Gürtel zu lösen,

Und Eurem Mund mit Eurem Ärmel Einhalt zu gebieten,

Auf dass Ihr meine Inbrunst eine Weile ertragen müsst.

(Liniang stößt ihn von sich, doch er nimmt sie in seine Arme.)

BEIDE: Irgendwo zuvor haben wir uns schon gesehen,

Wir sind einander nicht fremd,

Haben wir uns nichts zu sagen?

(Liu trägt Liniang davon. Der Gott der Blumen erscheint, eine Kappe auf dem Kopf und in ein rotes Gewand gehüllt, das über und über mit Blumen bedeckt ist.)

GOTT: Ich liebe die Blumen, ich lasse sie früh erblühen.

Die Arbeit eines weiteren Frühlings ist fast getan.

Blütenblätter fallen wie Regen und erschüttern die Herzen der Menschen;

Die Liebenden träumen unter Wolken von Blüten.

Aus China im Aufbau, Nr. 10, 1987

 
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