Haarstickerei,
ein traditionelles Kunsthandwerk
aus dem Reich der Mitte
Von Yin Jinghui
Allein der Name Haarstickerei deutet darauf hin,
dass die Stickerei-Arbeiten nicht wie üblich mit normalen
Seidenfäden, sondern mit menschlichen Haaren angefertigt
werden.
Wie kam man denn auf die Idee, ein solch seltsames Material zu
verwenden? Wie ist diese einzigartige Kunstart entstanden? Mit
großer Spannung haben wir deshalb in Dongtai in der Provinz
Jiangsu die Kunsthandwerkfirma Tiangong aufgesucht, die sich auf
Haarstickerei spezialisiert hat. Ding Chongzheng, Manager des
Unternehmens Tiangong, sprach mit uns über den Ursprung der
Haarstickerei:
Die Haarstickereikunst entstand vor über 1300 Jahren
in der Zeit der Dynastien Tang und Song. Ihren Ursprung hat sie
in der Provinz Jiangsu. Damals schnitten fromme Anhängerinnen
des Buddhismus ihr langes Haar ab und stickten damit Porträts
von Buddha oder der Göttin Guanyin, um ihren Respekt vor
buddhistischen Gottheiten zu zeigen.
Wer mit chinesischen Bräuchen vertraut ist, wird wissen,
welche Ehre dies in chinesischen Augen bedeutet hatte. Denn im
Altertum hatte das Haar bei den Chinesen fast den selben Stellenwert
wie das Leben selbst. Die Haut und das Haar galten als von Eltern
erhaltene wertvolle Geschenke, die nicht beschädigt werden
durften. Deshalb war es üblich, das Haar lang wachsen zu
lassen und es in Knoten oder Zöpfe zu flechten. Damals schenkten
junge Mädchen ihren Geliebten gerne eine ihrer Haarsträhnen
zum Abschied, um damit ihre ewige Treue und Liebe zu beweisen.
Wegen der Besonderheit des Materials und seiner äußerst
anspruchsvollen Verarbeitung ist diese alte Kunstart Ende der
Qing-Dynastie (16441911) im Großen und Ganzen verlorengegangen.
Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949, wurde die
Haarstickerei wie andere traditionelle Kunsthandwerksarten unter
staatlichen Schutz gestellt. Anfang der 70er Jahre begann man
in Dongtai in der Provinz Jiangsu, Frauen in der Haarstickerei
auszubilden. Die ersten hundert Stickerinnen waren damals von
hochqualifizierten Kunsthandwerkern der Stickerei-Schule in Suzhou
und volkstümlichen Kunsthandwerkern älterer Generation
ausgebildet worden. Seit diesem Zeitpunkt ist Dongtai das kulturelle
Zentrum für Haarstickerei.
Ding Chongzheng erläuterte, worin sich die Haarstickerei
von normaler Stickerei unterscheidet:
Nehmen wir das Sticken einer Katze als Beispiel. Da das
menschliche Haar dem tierischen Haar sehr ähnelt, sieht das
Fell der gestickten Katze ziemlich naturgetreu aus. Es ist sanft
und von einem natürlichen Glanz. Dieser Effekt kann nicht
mit herkömmlicher Stickerei erreicht werden.
Für Haarstickerei ist anspruchsvolles Rohmaterial erforderlich.
Das Haar stammt ausschließlich von jungen Mädchen,
weil das Haar älterer Leute zu brüchig und das männliche
Haar zu dick, zu kurz und oft nicht geschmeidig genug ist. Dazu
noch einmal Ding Chongzheng:
Der Glanz und die Geschmeidigkeit der menschlichen Haare
hängt stark vom Alter eines Menschen ab. Mädchenhaar
eignet sich unter Berücksichtigung des Alters, des Glanzes
als auch der Geschmeidigkeit am besten. Außerdem ist es
meistens lang genug. Denn zum Sticken darf das Haar nicht kürzer
als 7 Zoll, also knapp 20 Zentimeter sein.
Das Unternehmen Tiangong bezieht für seine Stickereiarbeiten
landesweit Rohmaterial. Die Haare müssen vor der Verarbeitung
erst präpariert werden. Sie werden zunächst nach Länge,
Dicke, Qualität und Farbe geordnet, und dann weich gemacht
und entfettet. Das bearbeitete Haar schimmelt, fault und verblasst
nicht und ist würmerbeständig. Dadurch bleiben die Haarstickereiarbeiten
lange Zeit erhalten. Früher wurden für die Haarstickerei
ausschließlich die bei Chinesen üblichen schwarzen
Haare verwendet. Mit der Zeit hat sich die Palette des Rohmaterials
vergrößert. Das Unternehmen Tiangong z. B. verarbeitet
zur Zeit auch Haare mit anderen natürlichen Farben sowie
weiße Haare, die sich nach Belieben färben lassen.
Es gilt jedoch: Je mehr naturfarbene Haare eingesetzt werden,
desto wertvoller ist die Haarstickerei.
Ein weiterer wichtiger Unterschied zur normalen Stickerei besteht
darin, dass bei der Haarstickerei nur ein einzelnes Haar als Stickfaden
verwendet wird. Bei normaler Stickerei dagegen werden Fäden
verwendet, die aus zwei bis neun dünneren Fäden bestehen.
Für den gewünschten Effekt muss das Haar also sehr präzise
nach seiner Stärke sortiert werden, was den technischen Aufwand
deutlich erhöht. Dazu meinte Ding Chongzheng:
Für das Sticken von zarten Federn eines Vogelkopfes
zum Beispiel müssen sehr feine, für die Vogelbeine dickere
Haare ausgesucht werden.
Ding Chongzheng meinte weiter, dass Haarstickereiarbeiten vier
mal so teuer sind als normale Stickereien. Trotzdem erfreuen sich
die Haarstickereien wegen ihres hohen künstlerischen Werts
und ihres Sammlerwerts großer Beliebtheit und finden insbesondere
in Südostasien und auf der Insel Taiwan zahlreiche Käufer.
Stickerinnen des Unternehmens Tiangong sind nach Frankreich gereist,
um am Rande des Kulturjahres China diese Kunst, die aus der Blütezeit
der chinesischen Stickkunst stammt, vorzustellen.
Ding Chongzheng freute sich über die positiven Ergebnisse
der Frankreichreise: Das interessierte Publikum war sehr
groß. Diese orientalische Kunst hat die französischen
Besucher erstaunt und begeistert. Außerdem hat unsere Haarstickerei-Show
großes Bestell- und Einkaufsinteresse erregt. Die Reise
nach Frankreich hat uns sehr zuversichtlich gemacht. Zuvor hatten
wir befürchtet, die Haarstickerei würde bei den Europäern
nicht so gut ankommen. Die Realität hat bewiesen, dass diese
Sorge unbegründet war.
Aus CRI (Radio China International)
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