Die Moderne als Tradition: Das Lu Xun-Museum in Beijing
Von Lars Mörking
Schön gestaltete moderne Ausstellungsräume, eine chronologische
Darstellung des Lebens Lu Xuns (der eigentlich Zhou Shuren hieß)
in chinesischer und englischer Sprache, ein Multimedia-Zentrum
und seine Bilbiothek mit 16 000 Büchern sowie sein bescheidenes
Wohn- und Arbeitszimmer, in das ein Blick geworfen werden kann;
all diese Teile zusammen bilden ein größeres Ganzes:
Das Lu Xun-Museum in Beijing. Lu Xun (18811936), unermüdlicher
Kritiker überkommener Moralvorstellungen, war einer, der
die chinesische Kultur aufheben wollte: Das Überkommene beseitigen,
die Tradition bewahren, die Gesellschaft modernisieren. Dem wird
in Beijing durch eine angemessene Darstellung seines Lebenswerkes
Rechnung getragen.
Das Museum wurde zu seinem zwanzigsten Todestag im Jahr 1956
auf dem Gelände seiner früheren Residenz in Beijing,
wo er 192426 lebte und arbeitete, eröffnet und erst
kürzlich renoviert. Insgesamt 30 000 Ausstellungsstücke
beheimatet das Lu Xun-Museum in Beijing, darunter Manuskripte,
Briefe, Fotos, Möbel und die Waffen des Schriftstellers:
Stift und Papier. Lu Xuns Leben wird in erster Linie chronologisch
nachgezeichnet. Die Ausstellung beginnt mit seiner Heimatstadt
Shaoxing und prägenden Ereignissen wie der schweren Krankheit
des Vaters und den erfolglosen Heilungsversuchen von Ärzten
der Traditionellen Chinesischen Medizin. Für die Behandlungskosten
mussten Wertgegenstände, die sich in Familienbesitz befanden,
verpfändet bzw. verkauft werden, sichtbare Behandlungserfolge
blieben jedoch aus.
Ab 1902 hielt sich Lu Xun zum Studium in Japan auf, wo er sein
Verständnis von dem schärfte, was seiner Ansicht nach
eine notwendige Modernisierung Chinas behinderte. Japan galt damals
vielen jungen chinesischen Intellektuellen als Vorbild im Umgang
mit Modernisierung und Tradition, die im Ausland studierenden
brachten von dort ein kritisches Potential zurück nach China.
Lu Xun befasste sich besonders mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
und setzte sich mit der westlichen Humanmedizin auseinander. Das
Studium der Medizin versetzte ihn jedoch nicht in die gewünschte
Lage, die Grundübel der chinesischen Gesellschaft zu behandeln
und so entschied er sich letztendlich für die schreibende
Zunft, um die seelischen Krankheiten seines Landes
zu heilen.
1909 kehrte Lu Xun aus finanziellen Gründen nach China zurück
und wurde Leiter einer Schule in Shaoxing. Von den konkreten Auswirkungen
der bürgerlichen Revolution enttäuscht, wurde er 1912
zur Mitarbeit im Bildungsministerium der jungen Republik in Nanjing
aufgefordert. Er ging darauf ein und übersiedelte 1924 mit
der Regierung nach Beijing. Während seiner Zeit in Beijing
schrieb er viele seiner bekanntesten Stücke, darunter Das
Tagebuch eines Verrückten, Kong Yiji, Arznei,
Die wahre Geschichte des Ah Q, Die Heimat,
Dörfliche Theateraufführung, Aufruf
zum Kampf und Kurze Geschichte der chinesischen Romanliteratur.
Nebenbei übersetzte er, bearbeitete klassische Texte und
war politisch aktiv. Zudem wuchs sein Interesse an verschiedenen
Kunstformen, besonders verehrte er die Arbeiten der deutschen
Grafikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz. Dass viele Künstlerinnen
und Künstler wiederum den Schriftsteller Lu Xun verehrten,
wird durch eine Auswahl an Karikaturen und Zeichnungen deutlich,
die ihm gewidmet sind und die Teil der Ausstellung des Lu Xun-Museums
sind. Nach den schaffensreichen Jahren in Beijing führten
ihn seine letzten Stationen nach Guangzhou und Shanghai, wo er
sich dann bis zu seinem Tode aufhielt. Im Laufe dieser Zeit übernahm
er verschiedene politische Funktionen, darunter die des Aushängeschildes
der Liga linker Schriftsteller, der er 1930 beitrat.
Die Ausstellungsstücke des Lu Xun-Museums, darunter Bücher,
die sich im Besitz Lu Xuns befunden haben, zeigen den Einfluss
ausländischer Literatur und wissenschaftlicher Werke auf
den Begründer der modernen chinesischen Literatur. Hier gibt
es Werke von Dostojewski, Darwin, Shaw, Marx und zeitgenössische
japanische Werke zu den unterschiedlichsten Fragestellungen, aber
auch klassische chinesische Texte. Es wird das Bild eines Intellektuellen
und Universalgelehrten nachgezeichnet, der sich in die Tagespolitik
einmischte und dabei auf der Seite der Unterdrückten stand.
Lu Xun hat in seinem Leben eine besondere Konsequenz im Schreiben
wie im Handeln bewiesen: Er ordnete sich weder ein noch unter,
sondern stand scharfsinnig für den Fortschritt ein. Zu Recht
hat man ihm deshalb Museen in Beijing, Guangzhou, Shaoxing und
zu guter Letzt in Shanghai gewidmet, wo sogar ein sehenswerter
Park nach ihm benannt ist, in dem sich das dortige Lu Xun-Museum
befindet.
Das Beijinger Museum besteht im Wesentlichen aus zwei Bereichen.
Neben der Ausstellung in der Haupthalle kann das Wohn- und Arbeitszimmer
besichtigt werden. Sowohl die Räumlichkeiten als auch die
Möblierung entsprechen dem Bild eines hart arbeitenden Intellektuellen:
schlicht und funktional, ohne Raum oder Angriffsfläche für
Ablenkung zu bieten. Ein kleiner Buchladen, der heute direkt neben
seinem Wohnhaus alte Ausgaben von Werken Lu Xuns in verschiedenen
Sprachen anbietet, ist fast schon ein Antiquariat. Neue Bücher,
die es in ordinären Buchläden zu kaufen
gibt, gibt es hier kaum. Längst vergriffene Ausgaben bestimmen
das Angebot.
Insgesamt vermittelt das Museum einen übersichtlichen Eindruck
vom Leben Lu Xuns. Da es in einem alten Wohnviertel im Zentrum
Beijings, nordwestlich der U-Bahnstation Fuchengmen liegt, lohnt
ein Spaziergang durch die Umgebung, in der sich auch der Tempel
der Weißen Pagode (Baita Si) befindet. Für alle an
moderner chinesischer Literatur Interessierten, die nach Beijing
kommen, ist der Besuch des Lu Xun-Museums keinesfalls freiwillig
er gehört definitiv zum Pflichtprogramm.
Wer sich einen Einblick in sein Werk verschaffen möchte,
der kann auf eine Auswahl in deutscher Übersetzung zurückgreifen.
Im Verlag für Fremdsprachige Literatur sind beispielsweise
erschienen: Wilde Gräser (野草, Yecao), Morgenblüten
abends gepflückt (朝花夕拾, Zhaohua Xishi), Aufruf
zum Kampf (呐喊, Nahan), Auf der Suche (彷徨, Pang
Huang) und Alte Geschichte neu erzählt (故事新編,
Gu Shi Xin Bian). Sie sind im Jahr 2002 als zweisprachige (deutsch
& chinesisch) Ausgabe erschienen.
Lu Xun-Museum Beijing (鲁迅博物馆),
Fuchengmen Gongmenkou Ertiao 19 (阜成门宫门口二条19号); Eintritt: 5 Yuan;
Öffnungszeiten: 9 15.30 Uhr (Montags geschlossen);
Buslinien 103, 102 und 101.
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