An der Basis des Politischen Systems Zu Gast beim Einwohnerkomitee
Guxi
Von Lars Mörking
Der Leiter des Einwohnerkomitees fegt noch den unbeheizten Veranstaltungsraum
des Wohnviertels, in dem wir uns gleich zusammensetzen werden,
denn wir sind zu früh. Wir haben dieses Mal keine Einladung
zum Besuch einer Vorzeigeeinrichtung erhalten, sondern die Gelegenheit,
uns vor Ort über die Arbeit des Einwohnerkomitees in Guxi,
einem Wohnviertel im Zentrum Beijings mit etwa 5000 Einwohnern,
zu informieren. Zum Gespräch erschienen sind Komiteeleiter
Ma Chenghui mit seinen Kolleginnen Kong Yuxing und Chen Xi, die
uns Rede und Antwort stehen. Kong Yuxing ist gleichzeitig Chefin
des Frauenverbandes sowie stellvertretende Vorsitzende der örtlichen
Parteiorganisation und Chen Xi ist Leiterin der Verwaltung und
Mitglied der Chinesischen Demokratischen Liga. Es sind die Kommunistische
Partei, das Einwohnerkomitee und die Verwaltung, die das Dreigestirn
der politischen Struktur in den Wohngebieten bilden.
Die Einwohnerkomitees arbeiten auf unterster Ebene im politischen
System der VR China: Unsere zentrale Aufgabe ist es, Dienstleistungen
für die Einwohner zu bieten. Wir bilden außerdem eine
Brücke zwischen Bürgern und Regierung, so der
Leiter. Die Räumlichkeiten des Komitees in Guxi befinden
sich direkt im Wohngebiet, die Mitglieder sind bekannt und beinahe
jederzeit ansprechbar. Sie werden bei den verschiedensten Anlässen
informiert oder angefordert, während unseres Gesprächs
wird der Leiter des Komitees zu einem medizinischen Notfall gerufen,
wobei er nur kurz nach dem Rechten schaut: Ein Krankenwagen fährt
vor, weil ein Einwohner stationär versorgt werden muss. Neben
solchen direkten Anforderungen, die von den Bewohnern an das Komitee
herangetragen werden, hat das Einwohnerkomitee vor allem sieben
zentrale Aufgabenbereiche: Kulturarbeit, öffentliche Sicherheit,
Umweltschutz und Sanitätswesen, Schlichtung (z. B. bei Familienproblemen),
Familienplanung, Wohlfahrt (inklusive der Auszahlung von finanziellen
Beihilfen zur Existenzsicherung für arme Familien und der
besonderen Berücksichtigung der Bedürfnisse behinderter
Menschen) sowie Aufbau der Kommunistischen Partei im Wohnviertel.
Diese Aufgabenbereiche sind getrennt und auf die einzelnen Komitee-Mitglieder
aufgeteilt, jedoch arbeiten alle gemeinsam nach dem Prinzip der
Kollektivität, so dass es in der Realität keine absolute
Trennung der Verantwortungsbereiche gibt.
Vor allem durch selbstbestimmte und gemeinsame Gestaltung der
Freizeit will das Einwohnerkomitee die Bevölkerung zusammenbringen
und so das Gemeinschaftsgefühl unter den Anwohnern stärken.
Sportfeste, Majiang (Mahjong)-Abende, Tanzveranstaltungen oder
der Chor der Rentnerinnen und Renter tragen dazu bei. Eingebunden
sind sowohl die örtlich ansässigen Unternehmen wie auch
Schulen und Verbände im Wohnviertel, darunter der Seniorenverband,
die Vereinigung der Behinderten und Freiwilligenverbände.
Der Austausch mit den Anwohnern findet auf unterschiedlichste
Weise statt. Erstens können sie dem Komitee gegenüber
jederzeit ihre Meinung oder ihren Unmut äußern, zweitens
erfolgt die Befragung der Anwohner durch Fragebögen und drittens
gibt es eine gewählte Vertreterversammlung, aus der das Komitee
hervorgeht. Jeweils zehn Familien wählen einen Vertreter,
die dann zu halbjährlich stattfindenden Versammlungen zusammenkommen.
Insgesamt sind es in Guxi 54 Vertreterinnen und Vertreter, die
ferner für den Informationsfluss zwischen Komitee und Einwohnern
zuständig sind. Gezielt werden Anwohner durch Komiteemitglieder,
Mitarbeiter der Verwaltung oder gewählte Vertreter regelmäßig
aufgesucht, um beispielsweise Umweltfragen zu erörtern und
so die Anwohner für den sparsamen Umgang mit Energie zu sensibilisieren.
Gerade die Bewohner von Wohnblöcken, die überdurchschnittlich
viel Energie verbrauchen, werden gerne mal zum Gespräch gebeten.
Insgesamt haben die Anwohner aber eher die Angewohnheit,
nichts wegzuschmeißen und möglichst viel wiederzuverwerten,
was unsere Arbeit erleichtert, so Chen Xi.
Guxi gehört zum Unterbezirk Shichahai, der wiederum dem
Stadtbezirk Xicheng zugeordnet ist. Es gibt keine institutionalisierte
Kommunikation zwischen den Einwohnerkomitees und den höheren
Verwaltungsebenen, doch wird Anwohnern bei Problemen mit den zuständigen
Behörden der höheren Ebenen geholfen. Ein dafür
sind wir nicht zuständig scheint es hier kaum zu geben.
Gemacht wird, was anfällt, was die Anwohner einfordern oder
die Umsetzung der Stadtpolitik erfordert. Bei ihrer Arbeit werden
sie auch von den 161 KP-Mitgliedern im Rentenalter (Frauen gehen
allgemein mit 55 in Rente, Männer mit 60 Jahren) unterstützt,
die es in Guxi gibt und die natürlich auch ihren Teil zur
Bewältigung der anstehenden Aufgaben und zur Gewährleistung
der öffentlichen Sicherheit beitragen.
Mit der Ankündigung, bis 2020 eine harmonische Gesellschaft
aufzubauen, hat die Kommunistische Partei landesweit eine politische
Richtlinie vorgegeben, an deren Umsetzung sich das Einwohnerkomitee
Guxi nach Kräften beteiligt. Besonders soziale Fragen spielen
in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Doch das Einwohnerkomitee
in Guxi hat lange vor der Verkündigung der Richtlinien von
oben begonnen, einen Beitrag zur Harmonisierung der Verhältnisse
im Wohnviertel zu leisten. Besonders auf die Gleichbehandlung
der sogenannten Wanderarbeiter, die sich hier niedergelassen
haben, wurde und wird Wert gelegt. Einige dieser Familien
sind schon viele Jahre hier, sie wählen eigene Vertreter
zu den Wohnviertelversammlungen. Wir versuchen besonders neuen
Anwohnern aus anderen Provinzen bei der Bewältigung von Anfangsschwierigkeiten
zu helfen, sagt Chen Xi. Eine offizielle Genehmigung entsprechend
dem Hukou-System (Einwohnermeldesystem) sei dabei nicht mehr so
wichtig wie früher. Auch der normale Schulbesuch von Kindern
aus Wanderarbeiter-Familien ist in Guxi nicht nur möglich,
sondern für diese Familien kostenlos. Mit dieser Politik
ist Guxi anderen Wohngebieten einen Schritt voraus.
Die Olympiade, die 2008 in Beijing stattfinden wird, hat nach
einhelliger Meinung der Komiteemitglieder positive Auswirkungen
auf ihr Wohnviertel: Wir bekommen zusätzliche Finanzhilfen
zur Verschönerung der Gegend. Beispielsweise werden alte
Fassaden restauriert und die Straßen verbreitert.
Insgesamt soll das Wohnviertel für Besucher, aber vor allem
für die Anwohner attraktiver werden. Dazu gehört auch,
dass manch altes Haus abgerissen wird. Nach Meinung des Leiters
Ma Chenghui geht der Trend dahin, dass die Menschen eher in die
Vororte Beijings ziehen, wo der Wohnraum günstiger ist und
die Wohnungen eigene Toiletten haben, was in älteren Wohnvierteln
wie Guxi oftmals nicht der Fall ist. Um die Gebäude
zu erhalten, was unser Ziel als Komitee sein muss, versuchen wir
die Leute aber hier zu halten, denn die traditionellen Viertel
können die Zeit nur dann überdauern, wenn sie weiterhin
bewohnt werden, wendet Chen Xi ein.
Guxi ist kein reiches Beijinger Wohnviertel, es ist mit einem
durchschnittlichen Einkommen von 2000 Yuan pro Monat (1 Euro entspricht
etwa 10 Yuan) sogar relativ arm. 41 Familien bekommen Zuschüsse,
damit sie über das festgeschriebene Existenzminimum kommen,
wobei es einen maximalen monatlichen Zuschuss von 330 Yuan pro
Person gibt. Das Komitee hilft den armen Familien auch bei der
Suche nach Einkommensmöglichkeiten und organisiert Spendensammlungen
unter den Bewohnern, um die spärlichen staatlichen Zuschüsse
zu ergänzen. Insgesamt scheint Solidarität unter den
Bewohnern in Guxi eine wichtige Voraussetzung für ein harmonisches
Zusammenleben zu sein.
In Guxi gibt es wie inzwischen beinahe in jedem Wohnviertel
Beijings eine dezentrale Gesundheitsstation mit 14 Angestellten,
darunter acht Ärzte und drei Krankenschwestern. Diese Einrichtung
betreut neben Guxi zwei weitere Wohnviertel, insgesamt über
10 000 in der näheren Umgebung lebende Menschen. Die Gesundheitsstationen
sind in den Städten als erste Anlaufstellen und Ergänzung
zu den bestehenden großen Krankenhäusern gedacht. Hier
werden ausschließlich ambulante Behandlungen durchgeführt,
schwerere Fälle werden direkt an die umliegenden Krankenhäuser
überwiesen. Zur Nachsorgebehandlung können die Patienten
dann wieder in die dezentrale Gesundheitsstation kommen, die neben
Behandlungsräumen für Traditionelle Chinesische Medizin,
Zahnbehandlungen und Infusionen eine Apotheke bereithält.
Die hier praktizierenden Ärzte tragen auch zur Aufklärung
in Sachen Gesundheit bei und halten regelmäßig Vorträge
im Veranstaltungssaal des Einwohnerkomitees. Dass Sicherheit im
weitesten Sinne zum Aufgabenbereich des Einwohnerkomitees gehört,
verdeutlicht ein unscheinbarer Kasten links neben der Eingangstür
des Komiteegebäudes: Hier werden kostenlos Verhütungsmittel
wie Kondome für die Anwohner bereitgehalten zum Mitnehmen,
ohne dass man das Gebäude dafür betreten muss.
Letztendlich hat sich Guxi doch als Modellviertel
erwiesen. Nicht aufgrund eines prunkvollen Einwohnerzentrums oder
besonders moderner Einrichtungen, sondern weil die Menschen, die
dort leben, tagtäglich Anstrengungen unternehmen, um ein
friedliches Miteinander zu ermöglichen. Ein Einwohnerkomitee
ist sicherlich kein zentraler Ort der Machtausübung, aber
es legt mit seiner Arbeit einen wichtigen Mosaikstein für
die zukünftige Entwicklung Chinas. Mit seinen, bereits in
den frühen Jahren der Volksrepublik entstandenen, Strukturen
könnte es die Gegenwart nicht nur überdauern, sondern
für die Menschen wichtige Funktionen übernehmen: In
den Bereichen der politischen und ökologischen Aufklärung,
beim Ausbau demokratischer Strukturen auf Basisebene und bei der
Gestaltung eines sozialen Ausgleichs, der mit der vom ZK der KP
Chinas formulierten Harmonischen Gesellschaft ins
Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt wurde.
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