Die höchste christliche Lehranstalt Chinas

Von Qiao Tianbi

Die Stadt Nanjing war das politische und wirtschaftliche Zentrum Südchinas. In der Geschichte diente sie zehn Dynastien als Hauptstadt. Sie war auch Hauptstadt der Republik China (1912–1949). Das Theologische Seminar Nanjing Union, die höchste christliche Lehranstalt Chinas, liegt in einer ruhigen Gasse des belebtesten Stadtviertels Xinjiekou in Nanjing.

Das Theologische Seminar Nanjing Union wurde 1952 von zwölf theologischen Seminaren gegründet. Der derzeit 90-jährige Professor Chen Zemin war Vize-Direktor und Mitgründer des Theologischen Seminars. Er wurde in einer christlichen Familie geboren und besuchte eine Missionsschule. 1941 absolvierte er sein Studium an der Hujiang-Universität Shanghai und studierte dann weiter am Theologischen Seminar Jinling, dem besten theologischen Seminar der damaligen Zeit in Asien. Danach war er sechs Jahre lang Pastor in einem Krankenhaus in Shaoxing, Provinz Zhejiang, bis er 1952 dem Bischof Ding Guangxun half, das Theologische Seminar Nanjing Union zu gründen.

Professor Chen sagt: „1981 begann das Theologische Seminar wieder mit der Aufnahme von Studenten. 80% unserer Absolventen arbeiten in einer Kirche. Sie bilden die Schlüsselkräfte der christlichen Kirchen Chinas. Außerdem sind 80% der Lehrer aller theologischen Seminare in China unsere Absolventen.“ Seit 1981 haben bereits über 3000 Studenten das Theologische Seminar Nanjing Union durchlaufen. Sie arbeiten landesweit in Kirchen, christlichen Organisationen oder theologischen Seminaren. Professor Chen schätzt seine Studenten sehr hoch: „Sie sind fromm, rein und leidenschaftlich. Jährlich melden sich 300 bis 400 Prüflinge für das Theologische Seminar an, nur 60 davon können aufgenommen werden. Die Konkurrenz ist noch härter als die für die Aufnahme an einer normalen Universität.“

Pastor Cai Jianwei ist zuständig für die Aufnahme von Studenten. Zur Zeit hat das Theologische Seminar Nanjing Union 170 Studierende, davon 96 Studentinnen und 30 Postgraduierte. In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Studentinnen ständig gestiegen, die meisten von ihnen kommen aus christlichen Familien. In Bezug auf ihre Herkunft gibt es mehr Studierende mit ländlichem als mit städtischem Hintergrund, ein Hinweis auf die Besonderheit, dass 80% der Anhänger des Christentums aus den ländlichen Gebieten kommen. In den Provinzen Henan, Anhui, Jiangsu und Zhejiang gibt es jeweils mehr als eine Million Christen, deshalb ist die Zahl der Prüflinge aus diesen Provinzen, die sich für das Theologische Seminar Nanjing Union anmelden, vergleichsweise höher als die aus anderen Provinzen. Seit ein paar Jahren haben die Prüflinge aus Nordostchina zugenommen. In den ersten Jahren der Reform und Öffnung Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre gab es mit dem wirtschaftlichen Aufschwung viele Anmeldungen aus der südöstlichen Provinz Guangdong. Als sich die dortige wirtschaftliche Entwicklung stabilisierte, war dieser Boom vorbei.

Zur Zeit kümmert man sich darum, die Studierenden des Theologischen Seminars Nanjing Union von den Studiengebühren und Kosten für die Unterkunft zu befreien. Die meisten Lehrbücher bekommen sie ebenfalls kostenlos. Sie brauchen nur die Verpflegung zu bezahlen. Postgraduierte bekommen monatlich einen Zuschuss von 240 Yuan (10 Yuan sind etwa 1 Euro). Von 2008 an wird das Theologische Seminar Studiengebühren in Höhe von 2000 Yuan (4000–6000 Yuan an normalen Universitäten) im Jahr erheben.

Die Studierenden von heute sind meist Einzelkinder. Ihre Fähigkeiten, auf eigenen Füßen zu stehen und die Zeit rational zu gestalten, sind schwach ausgeprägt. Daher legt das Theologische Seminar großen Wert auf die „Opferbereitschaft, Disziplin und Selbstkontrolle“ von Studierenden.

Viele Studierende des Theologischen Seminars Nanjing Union arbeiten nach ihrem Studium in einer Kirche, die meisten Magister gehen ihrem Beruf entweder an einem theologischen Seminar oder beim Komitee der Patriotischen „Drei-Selbst-Bewegung“ der Chinesischen Protestanten oder der Vereinigung der Chinesischen Christen nach. Gegenwärtig gibt es in China über 16 Millionen Christen, 55 000 Kirchen und Versammlungsstätten, aber nur ca. 4000 Pastoren. Das Einkommen der Pastoren hängt vom Niveau der örtlichen wirtschaftlichen Entwicklung ab. Die Kirchen und christlichen Vereinigungen aus den wirtschaftlich entwickelten Gebieten, zum Beispiel die in Shanghai, den Provinzen Jiangsu und Zhejiang, können sich noch wenige Monate vor Ende des Studienjahres Absolventen des Theologischen Seminars aussuchen. In den wirtschaftlich rückständigen, insbesondere ländlichen Gebieten ist das Einkommen der Pastoren sehr niedrig, an einigen Orten Nordwestchinas verdienen sie monatlich nur 60–100 Yuan, so dass sie noch Feldarbeit verrichten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viele Absolventen wollen nicht in diesen armen Gebieten arbeiten.

Pastorin Zhang Shuilian hat am Theologischen Seminar Nanjing Union den akademischen Grad M. A. erworben. Sie ist nun Lehrerin am Theologischen Seminar Zhongnan und zugleich Vizepräsidentin der Vereinigung der Chinesischen Christen der Provinz Hubei. Sie ist in einer christlichen Familie aufgewachsen und hat zehn Jahre auf dem Land in der Provinz Henan gelebt, deshalb hat sie reiche Erfahrungen über die Arbeit der Kirche auf dem Land erworben. Anhängern und Kirchen aus den ländlichen Gebieten schenkt sie ständig große Aufmerksamkeit. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist, Absolventen der theologischen Seminare, die in einer Kirche in den wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten arbeiten wollen, zu finanzieren. Das Projekt stellt Absolventen, die freiwillig in einer Kirche auf der Basisebene arbeiten, für drei Jahre 300 Yuan monatlich als Zuschuss für den Lebensunterhalt zur Verfügung. Pastorin Zhang sagt, dass sie nach dem Erhalt von dreijähriger finanzieller Unterstützung problemlos Missionsarbeit betreiben können.

Als Zeuge der 50-jährigen Entwicklung des Theologischen Seminars Nanjing Union sagt Professor Chen Zemin: „Ich habe mich mein ganzes Leben für die Lehrtätigkeit am Theologischen Seminar eingesetzt. Obwohl viele Arbeiten nicht zufriedenstellend ausgeführt werden, bin ich beruhigt.“ Was Professor Chen besonders große Sorge macht, ist, dass die Lehrkräfte des Theologischen Seminars qualitativ nicht sehr gut sind, weil der Schulbetrieb aufgrund der „Kulturrevolution“ (1966–1976) 15 Jahre lang unterbrochen wurde. Professor Chen und viele Persönlichkeiten aus den religiösen Kreisen mussten während der Kulturrevolution auf einer Farm arbeiten und ihre Berufstätigkeit aufgeben.

Daher setzt Professor Chen große Hoffnung auf junge Lehrer. Der 34-jährige Wen Ge wurde in einer christlichen Familie in Dalian, Provinz Liaoning, geboren. Nach dem Abschluss des Studiums an der Fremdsprachenhochschule Dalian konnte er entweder als Simultandolmetscher beim Außenministerium arbeiten oder das Magisterstudium am Theologischen Seminar Nanjing Union beginnen. Schließlich hat er sich für das theologische Studium entschieden. Jetzt ist er Lehrer und unterrichtet Geschichte der christlichen Ideologie.

Der ebenfalls 34-jährige Liu Wei gehört zu den wenigen Experten der griechischen Sprache in China. Er kommt aus dem Autonomen Gebiet Xinjiang der Uiguren. Als er Mittelschüler war, begann er, die Bibel zu lesen. Die Eltern waren Eisenbahnmitarbeiter und hatten nur wenig Zeit, um sich um ihn zu kümmern. Als Anhänger des Christentums fühlte er sich dennoch nicht mehr einsam. 1991 wurde er getauft. Später studierte er am Theologischen Seminar Nanjing Union und bekam den Magistertitel. Jetzt ist er Lehrer und unterrichtet am Theologischen Seminar Griechisch.

Der Ansicht von Professor Chen nach werden jetzt zu wenige Studenten zum Auslandsstudium geschickt, gleichzeitig wollen viele auch nicht zurückkommen. Der Verlust an Fachkräften ist groß.

In diesem Jahr wird das Theologische Seminar Nanjing Union in den Wissenschaftspark im Bezirk Jiangning, wo viele Universitäten liegen, umziehen. Das neue Gelände wird zentral finanziert, um die Arbeits- und Unterrichtsbedingungen zu verbessern. Für religiöse Schulen und Seminare ist dies das erste Mal. Das neue Gelände hat eine Fläche von 200 Mu (15 Mu = 1 ha), dort werden 500 Studierende ausgebildet. Ein für das Bauprojekt zuständiger Ingenieur sagt: „Beim Bau des Theologischen Seminars dürfen wir keinen einzigen Fehler machen. Für den Bau einer Aula treiben sie jetzt Geld auf. Die 5760 m2 große Aula wird 1500 Menschen aufnehmen. Sie sieht von außen aus wie die Arche Noah.“

 
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