Von der Kunst, den Menschen die Liebe Gottes vor
Augen zu führen
Von Qiao Tianbi
Er ist ein guter Lehrer. Als Gastprofessor
an der Shanghai-Universität ist er bei seinen Studentinnen
und Studenten sehr beliebt. Er ist davon überzeugt, dass
er ein ausgezeichneter Rechtsanwalt, Journalist oder Moderator
hätte werden können... doch ist er Pastor geworden,
weil es viele gibt, die sich zum guten Lehrer, Rechtsanwalt oder
Journalisten entwickeln, aber nur wenige, die zum hervorragenden
Pastor geeignet sind. Und noch wenigere sind wie er: Ein Pastor,
der das Leben und die Kunst liebt und seine eigene Auffassung
über das Leben hat.
Pastor Mei Kangjun stammt aus einer Intellektuellenfamilie. Sein
Großvater war ein bekannter Arzt chinesischer Abstammung
der traditionellen chinesischen Medizin in Vietnam. Weil er dem
Glücksspiel verfallen war, verschlechterten sich die finanziellen
Verhältnisse der Familie. Aus diesem Grund ging Meis Vater
nach China zurück und studierte in Guangxi und Shanghai.
Meis Großvater mütterlicherseits hatte die Prüfung
für den Grad eines Juren (akademischer Grad und Titel der
staatlichen Prüfungen auf Provinzebene während der Qing-
und Ming-Dynastie) bestanden und war als Beamter am Institut für
Kultur und Geschichte der Provinz Guangdong tätig. Meis Mutter
wurde in Macao geboren und ließ sich dort taufen. Während
der Zeit des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression
(19371945) verheirateten sich seine Eltern in Chongqing.
In dieser Zeit arbeitete die Mutter zuerst im Christlichen Jugendverband
in Chongqing, dann in Nanjing. Später, als der Vater als
Professor an der Fakultät für Geschichte an der Pädagogischen
Universität Huadong tätig war, fuhr die Mutter auch
von Nanjing nach Shanghai und nahm dort an der Vorbereitungsarbeit
zur Gründung des Komitees für die Patriotische Drei-Selbst-Bewegung
der Chinesischen Protestanten teil. Pastor Mei sagt: Durch
meine Mutter haben wir uns über das Christentum informiert.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich und meine Geschwister
in Begleitung unserer Mutter die Bibel lasen oder Kirchenhymnen
sangen. In diesem Sinne kann man sagen, dass meine Familie eine
christliche Familie war.
Als Folge der Kulturrevolution (19661976) leistete Mei
Kangjun in der Zeit vor Beginn der 1980er Jahre Feldarbeit auf
der Insel Chongming im Vorort der Stadt Shanghai. Seine Mutter
arbeitete in einer Kaderschule, die speziell für die Leute,
die im Bereich Religion tätig waren, errichtet wurde. Als
die theologischen Seminare am Anfang der 80er Jahre begannen,
neue Studentinnen und Studenten wieder aufzunehmen, sagte die
Mutter zum Sohn: Kangjun, willst du dich zur Aufnahmeprüfung
des Theologischen Seminars Huadong melden? Sie stellte
mir die Bibel und einige religiöse Bücher zur Wiederholung
bereit. Aber damals hatte ich überhaupt keine Ahnung von
der Kirche und war immer noch der Meinung, dass ich Atheist war.
Aus diesem Grund habe ich mich nicht zur Prüfung angemeldet.
Nach der Rückkehr in die Stadt Shanghai arbeitete er als
Lehrer an einer Berufsschule. Später meldete er sich zur
Aufnahmeprüfung der Pädagogischen Universität Huadong,
wo sein Vater arbeitete. Aber damals konnte man die Universität
nur besuchen, wenn die Arbeitseinheit es erlaubte. Aus diesem
Grund verpasste er die Gelegenheit zum Besuch der Universität.
In einer solchen Situation blieb ihm nichts anderes übrig,
als an der Aufnahmeprüfung für ein Fernstudium an der
Universität Fudan teilzunehmen. Dafür hatte er das Fach
Journalistik gewählt und nach drei Jahren sein Studium beendet.
Währendessen hat er die Vorteile des Selbststudiums kennen
gelernt und begann deshalb, auch Jura und Geschichte im Selbststudium
zu lernen.
Seit der Mitte der 80er Jahre verbesserte sich das Leben der
Familie von Mei Kangjun. Aber seine Mutter, die mehr als 40 Jahre
in der Kirche gearbeitet hatte, begann an Hüftkopfnekrose
zu leiden, die schnell zum Muskelschwund führte. Bald litt
sie auch an altersbedingter Demenz, so dass sie nur im Bett blieb
und nicht mehr für sich sorgen konnte. Mei Kangjun kümmerte
sich in den folgenden 14 Jahren um seine Mutter: Er rieb mit feuchtem
Frottiertuch ihren Körper ab, schnitt ihr das Haar und half
ihr beim Baden.
Durch die Erlebnisse seiner Mutter bekam Mei Kangjun ein Gefühl
dafür, dass man das Schicksal nicht immer in die eigene Hand
nehmen kann. Warum musste meine Mutter, die ein gütiges
Herz hatte, in ihren letzten Jahren ein derart tragisches Leben
führen? Mit 60 Jahren war sie damals noch nicht sehr alt.
Das Unglück meiner Mutter ruft bei mir eine seelische Erschütterung
hervor. Dafür wollte ich eine Erklärung haben.
So ging er in die Kirche, seine Ansicht mit einem Pastor zu teilen.
Der Pastor fand heraus, dass Mei Kangjun viele Bücher gelesen
und viele Fragen bereits durchdacht hatte. Er schlug ihm vor,
sich zur Aufnahmeprüfung der Abendschule des Theologischen
Seminars Huadong zu melden, und hoffte, dass er beim Theologiestudium
die Antworten, nach denen er sucht, finden könne.
Dem Rat des Pastors folgend begann Mei Kangjun ab 1991 ein dreijähriges
Studium an dem theologischen Seminar. Durch das Studium hat er
eine neue Weltanschauung entwickelt: Ich fing an, die Beziehungen
zwischen dem Sinn der menschlichen Existenz und dem Glauben zu
verstehen. Ich fand heraus, dass die Bedeutung des Glaubens nicht
nur darin liegt, dass man sich dadurch wohl fühlt. Wichtiger
ist es noch, dass man auch in Not und Elend seine wahren Gefühle
offenbart. Als meine Mutter krank war, war ich anfangs auch ungeduldig,
weil meine zwei ältere Schwestern im Ausland studierten und
ich meine Mutter allein betreuen musste. Aber nachdem ich am theologischen
Seminar studiert hatte, hatte ich das Gefühl, dass ich freiwillig
die Pflicht der Betreuung meiner Mutter übernahm. Als ihr
Sohn sollte ich mich darum bemühen, dass sie ihr Existenzrecht
genoss, auch wenn sie an das Bett gefesselt war. Obwohl meine
Mutter das Bewusstsein verloren hatte, spürte ich ihre Lebenskraft,
wenn ich sie, vor allem im Sommer, in einem Rollstuhl nach Draußen
begleitete.
Zwar hat Mei Kangjun damals viele Haushälterinnen zur Betreuung
seiner Mutter angestellt, jedoch lehnten diese die Arbeit ab,
sobald sie den Zustand der Mutter sahen. Es gab eine Ausnahme:
Eine Haushälterin, die drei Jahre bei der Familie blieb,
weil sie tief beeindruckt davon war, wie sorgfältig Mei seine
Mutter pflegte. Dazu sagt Mei: Es ist gerade das, was das
heutige China braucht. Der Glaube bedeutet nicht, dass man sich
selbst berührt, sondern man durch sich selbst die anderen
Menschen beeinflusst, damit sie mit einem zusammen Wohltaten vollbringen
wollen.
Vor seinem Abschluss des Studiums am theologischen Seminar hat
Pastor Shen, der ehemalige Chefredakteur der landesweit verbreiteten
christlichen Monatszeitschrift Tian Feng, der damals
an dem Theologischen Seminar Huadong unterrichtete, ein Auge auf
Mei Kangjun geworfen, weil er das Fach Journalistik studiert hatte.
Aus diesem Grund arbeitete Mei Kangjun seit dem Jahr 1992 als
Redakteur bei der Zeitschrift Tian Feng und hat seither
zahlreiche Artikel über den Zustand der chinesischen Kirche
veröffentlicht. Besonders froh war er darüber, dass
Tian Feng seit dem Jahr 2000 halbmonatlich erscheint
und er seit diesem Jahr als Chefredakteur der Zeitschrift angestellt
ist. Die Auflage ist stabil und liegt bei ca. 120 000 Exemplaren.
2000 setzte er als Postgraduierter sein Studium am Theologischen
Seminar Nanjing Union fort. 2002 wurde er mit den anderen sechs
Lehrern des Theologischen Seminars Nanjing Union vom Bischof Ding
Guangxun zum Pastor ernannt. Daher zählt er zu den wenigen
Studenten des theologischen Seminars in der chinesischen Geschichte,
die zum Pastor ernannt wurden. Dass ich als Student des
theologischen Seminars zum Pastor ernannt wurde, ließ mich
erkennen, dass der Grundsinn zum Studium der Theologie darin liegt,
dass ich mich darum bemühen sollte, ein wirklicher Hirte
der chinesischen Kirche zu werden. Als Pastor der Internationalen
Kirche hält Mei Kangjun oft Predigt in verschiedenen Teilen
Chinas. Dazu sagt er: Meine Predigt hat immer nur ein Thema,
das lautet: Liebe und Geschlossenheit. Ich betone immer wiederholt,
dass man sich liebevoll um unsere Gesellschaft kümmern sollte.
Was die Geschlossenheit betrifft, nehmen die Christen oder die
religiösen Anhänger überhaupt nur einen kleinen
Teil der chinesischen Bevölkerung ein, aus diesem Grund sollten
sie sich mit den anderen Menschen zusammenschließen, weil
die Einigkeit stark macht. Das bedeutet nicht nur die Geschlossenheit
im einfachen Sinn, sondern auch gegenseitiges kulturelles Verständnis,
gedanklichen Austausch und die gegenseitige Anerkennung bei der
Arbeit.
Als stellvertretender Generalsekretär des Komitees für
die Patriotische Drei-Selbst-Bewegung der Chinesischen Protestanten
und Chefredakteur der Zeitschrift Tian Feng ist Pastor
Mei immer sehr beschäftigt. Auch am Feierabend widmet er
sich seiner Arbeit. Vor dem Schlafen nehme ich mir normalerweise
zwei Stunden Zeit, um Bücher zu lesen. Beim Lesen mache ich
gern Notizen. Außerdem nehme ich mich etwas Zeit, um Meinungen
mit einigen Freunden in diesem Fachbereich auszutauschen. Und
ab und zu schreibe ich noch einige Artikel über religiöse
Fragen.
Pastor Mei sagt: Ein guter und moderner Pastor muss auch
Fachkenntnisse beherrschen. Beispielsweise habe ich Journalistik
studiert, so dass ich ein scharfes Auge für soziale Missstände
habe. Dank dem Studium der Geschichte behandle ich Probleme durch
logische und dialektische Geschichtsanschauung und dank des Studiums
der Theologie verstehe ich die Bibel und die Kirche immer besser.
Pastor Mei ist der Ansicht, dass man als Christ auch Verständnis
für den Genuss und das Glück des Lebens haben sollte.
Leider sind viele Pastoren in der heutigen Zeit der Ansicht,
dass sich Pastoren nur der Bibel widmen und sich um die anderen
Angelegenheiten nicht kümmern sollten. Wenn ein Pastor keinen
Kontakt mit der Gesellschaft aufnimmt, wie kann er sich dann mit
seinen Gläubigen verständigen?
Pastor Mei ist davon überzeugt, dass ein Hirte voller Liebe
und Verantwortung sein sollte. Ich bringe jedes Mal meiner
Frau und meinem Kind Geschenke mit, wenn ich aus dem Ausland zurück
bin. Zwar sind sie nicht wertvoll, jedoch dienen sie als Zaubermittel,
die unsere Familienmitglieder miteinander verbinden.
Pastor Mei hat zwei ältere Schwestern, die in Frankreich
leben, und einen jüngeren Bruder, der sich in den USA aufhält.
Christen sind sie alle. Unter seinem Einfluss hat sich auch seine
Frau zum Christentum bekehren lassen. Aber er strebt nicht danach,
dass sein Kind auch ein gläubiger Christ wird. In der Familie
wird nur gebetet und sehr selten über strittige religiöse
Fragen diskutiert. In der Schule wird mein Sohn atheistisch
erzogen, während er zu Hause theistisch beeinflusst wird.
Ich wünsche mir, dass er beim Lernen in der Schule und beim
Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen seine eigene
Weltanschauung entwickeln kann.
Pastor Mei ist der Ansicht, dass die Anziehungskraft des Christentums
darin liegt, dass es keinen Wert auf die Materie legt. Man brauche
nur in die Kirche zu gehen, ohne etwas dafür zu zahlen. Faszinierend
seien auch die Riten und Kirchenhymnen. Beispielsweise habe ein
großer Teil der westlichen Musik ihren Ursprung im Christentum.
Übrigens sei das Christentum sehr weltlich. Das
heißt, dass die Christen alles genießen dürfen.
Das Leben der Christen nähert sich dem der gewöhnlichen
Menschen. Die Lebensweise, die Schönheit und die Gutmütigkeit,
nach denen die Christen streben, sind meiner Meinung nach gesund.
Aus diesem Grund meint Pastor Mei, dass es nicht reiche, dass
ein Pastor nur in der Kirche arbeite. Er sollte sich bemühen,
die Schönheit und die Liebe unter allen Menschen, sowohl
Gläubigen als auch Ungläubigen, zu verbreiten. Unser
Konzept ist es, dass immer mehr Menschen diese Liebe spüren
können. Pastor Mei hat zahlreiche Bücher über
Musik und Kunst gesammelt, auch sein Arbeitszimmer ist künstlerisch
gestaltet. Die Arbeitserlebnisse bei der Zeitschrift Tian
Feng lassen ihn die Verbindung zwischen Glaube und Kultur
besonders spüren. Musik gefällt mir. Religiöse
Musik, Sinfonie, Unterhaltungsmusik, Klavierstücke oder Violinstücke,
das alles höre ich gern, wenn ich Zeit dazu habe.
Pastor Mei denkt immer darüber nach, wie eine Kirche in
der neuen Gesellschaft und neuen Kultur Anziehungskraft entwickelt
und dem Rhythmus des Zeitalters entspricht. Manchmal ist er voller
Kummer, weil er den üblichen Verhaltensmaßregeln der
Hirten nicht folgen will. Ich bin Ausnahme bei den Christen.
Ich wünsche mir eine künstlerische, aber nicht mechanische
Religion. Sein Streben nach einer künstlerischen Religion
kann man auch durch das einfache und besondere Layout der Zeitschrift
Tian Feng erkennen. Durch die Ästhetik
lässt die christliche Lehre ihre Gläubigen spüren,
dass Gott sehr nah bei ihnen ist.
Durch seine Arbeit hat Pastor Mei die Anerkennung von christlichen
Persönlichkeiten auf höchster Ebene gewonnen. Ich
widme mich meiner Arbeit. Möglicherweise haben sie ein Auge
auf mich geworfen, weil ich Koordinierungsfähigkeiten besitze
und redegewandt bin. Außerdem kann es sein, dass meine Leidenschaft
und weise Voraussicht ihre Aufmerksamkeit erregt haben. Ich danke
vor allem dafür, dass mir die älteren Pastoren in der
Kirche seit über zehn Jahren helfen. In vieler Hinsicht habe
ich die theologischen Gedanken des Bischofs Ding fortgesetzt.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich vor einigen Jahren
mit Bischof Ding häufig ins Jinling-Hotel in Nanjing ging,
um dort Kaffee zu trinken. Das war wirklich eine gemütliche
Sache!
Als Hirte wünscht sich Pastor Mei die Verbreitung der christlichen
Kunst. Er hat zwei Träume: Zum einen die Errichtung einer
Bildergalerie, in der die Geschichte des chinesischen Christentums
vollständig vorgestellt werden kann. Zum anderen die Gründung
einer Fakultät für Vokalmusik am Theologischen Seminar
Nanjing Union, damit ein Konzert veranstaltet werden kann, bei
dem die chinesische christliche Musik mit den chinesischen Musikinstrumenten
gespielt wird. Als Chefredakteur der Zeitschrift Tian Feng
hofft er, dass die Zeitschrift wöchentlich erscheint, ganz
wie bei ihrer Gründung im Jahr 1945. Überdies wäre
es schön, wenn sie eine Internet-Ausgabe hätte und einige
Buchserien veröffentlichen könnte.
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