Der Protestantismus in China

Aus historischen Gründen bezeichnet man in China die verschiedenen Formen des Protestantismus oft auch als „Jidujiao“ (Christentum), das man so vom Katholizismus unterscheidet, der schon zu einer Zeit bis China vorgedrungen war, als es überhaupt noch keinen Protestantismus gab. [...] Die Verbreitung des Christentums in China (nach den beiden Opium-Kriegen 1840/1860) ist eng mit roher Gewalt und erpressten Sonderrechten verflochten. Daher ist die Geschichte der Ausbreitung des Protestantismus in dunkle Schleier gehüllt. Man sollte deshalb verstehen, warum die christlichen Missionare von den meisten Chinesen als willige Helfer des europäischen Kolonialismus und Imperialismus betrachtet wurden. Jiang Menglin (1886–1964), vormals Rektor der Peking-Universität, äußert sehr anschaulich: „Wenn man feststellt, dass eine Religion und die Gewalt untrennbar wie der Körper und sein Schatten sind, verändert sich selbstverständlich der Eindruck, den eine solche Religion auf die Menschen macht. Für die Chinesen ist es wirklich nahezu unmöglich, das Christentum nicht mit der Bedrohung durch Waffengewalt gleichzusetzen. Man konnte allmählich den Eindruck gewinnen, dass der Buddha Tathagata friedlich auf einem weißen Elefanten sitzend nach China kam, während der christliche Jesu mit einem Artillerie-Geschoss in China eindrang.“ [...]

Im 19. Jahrhundert versuchten die meisten Missionare, Chinesen dadurch zum Christentum zu bekehren, indem sie predigten, die christliche Lehre erklärten und religiöse Propagandaschriften an Chinesen verteilten. Im 20. Jahrhundert aber begannen sie, Schulen und Krankenhäuser einzurichten und diverse Wohltätigkeitsorganisationen aufzubauen, die ihr Missionswerk fördern sollten. Das entsprach den Bedürfnissen der Chinesen insofern, als ihr Wunsch nach Reformen und besserer Bildung zu dieser Zeit stark von der Idee bestimmt war, vom Abendland lernen zu müssen, um den Reichtum und die Kraft Chinas stärker zur Geltung bringen zu können. [...] Vor diesem Hintergrund, aber auch durch die Anstrengungen der chinesischen Regierung und der christlichen Kirche, wurde der Gegensatz zwischen der chinesischen Gesellschaft und der Kirche schrittweise entschärft. In dieser relativ lockeren Atmosphäre erhielt der Protestantismus in China eine Chance zur Entfaltung.

Sowohl in Großstädten wie in armen und entlegenen Gegenden Chinas wurden protestantische Kirchen errichtet. Außerdem gründeten die ausländischen Missionen protestantische Seminare und Bibelschulen, in denen auch der Nachwuchs herangebildet wurde. Zur gleichen Zeit entstand eine Bewegung für eine selbstständige chinesische Kirche. Sie wurde „Bewegung für eine kirchliche Selbsterhaltung und Selbstverbreitung“ genannt. Sie hatte ihren Ursprung in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals gab es unzählige „Kirchenzwischenfälle“, die die Verbreitung des Protestantismus in China beeinträchtigten. Einige Persönlichkeiten der chinesischen Kirche traten gegen die ungleichen Verträge und gegen die Unterdrückung durch die ausländischen Mächte auf und versuchten, einen Protestantismus chinesischer Prägung zu schaffen. Ihnen ging es darum, die chinesische Kirche von der Kontrolle ausländischer Kirchen zu befreien und selbstständig zu machen. Im Jahr 1873 gründete der Christ Chen Mengnan in Guangzhou die „Evangelische Gesellschaft Chinas“, die anfangs nur zwei Kirchen hatte. Wenig später waren es schon 50.

Die Gründung der selbstständigen chinesischen Kirche war anfangs die spontane Aktion einiger Christen. Daraus entwickelte sich später eine regelrechte Bewegung. Im Jahr 1906 gründete Yu Guozhen die „Selbstständige Kirche der Chinesischen Protestanten“. [...] „Die erwachende Kirche in allen Teilen Chinas und die ihr angehörigen Protestanten stehen zu ihrem erhabenen Ideal, ihre Kirche nach den Prinzipien Selbsterhaltung, Selbstverwaltung und Selbstverbreitung zu führen“. „Die chinesischen Protestanten treten entschieden gegen die Kontrolle durch jedwede ausländische Kirche auf“. Dieser „Drei-Selbst-Gedanke“, in dem die Liebe zum Vaterland mit der Liebe zur Kirche als Einheit verstanden wurde, war eine neue Etappe in der Geschichte des chinesischen Protestantismus. Diese patriotische Kirche vereinigte sich im Jahre 1950 mit der Patriotischen „Drei-Selbst“-Bewegung. [...]

Die chinesische Kirche setzt ihr Prinzip der Selbsterhaltung, Selbstverwaltung und Selbstverbreitung in die Tat um und betont, dass sie eine selbstständige und unabhängige Kirche ist. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich isoliert. In den mehr als 50 Jahren, die seit Gründung des Neuen China vergangen sind, hat die protestantische Kirche Chinas offizielle Beziehungen mit den wichtigsten protestantischen Organisationen in vielen Gebieten und Ländern aufgenommen. Sie hat zahlreiche ausländische Delegationen empfangen und Persönlichkeiten ausländischer Kirchen zu Besuchen und Vorträgen nach China eingeladen. Gleichzeitig schickte sie ihre Vertreter zu Organisationen oder zu internationalen Konferenzen der Protestanten im Ausland. Seit 1991 ist die Vereinigung der Chinesischen Protestanten Mitglied des Weltkirchenrats.

(Auszüge aus: Sang Li, Religionen in China, China Intercontinental Press 2004)

 
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