Das Job-Dilemma
Von Chai Le
Nach achtzehn und einem halben Jahr Studium, millionenfacher
Konkurrenz um höhere Bildung, bin ich nun, wo ich endlich
Abschied nehme vom Studium und versuche, ein neues Kapitel im
Arbeitsleben aufzuschlagen, völlig verwirrt. Denn ich weiß
nicht, wo ich bin und für was ich studiere.
Das Problem liegt, so weit es mich betrifft, in der riesigen
Zahl von Absolventen, folglich an der gigantischen Anzahl von
Menschen auf der Suche nach Arbeit. Wo immer ich hingehe, sind
da nur Menschen. Nach Angaben von Chinahr.com und Sina.com gab
es im Jahr 2005 3,38 Millionen Absolventen, 2006 waren es bereits
4,1 Millionen, ungefähr die vierfache Anzahl verglichen mit
2001, als es noch 1,04 Millionen Absolventen gab. Aber in dem
Jahr, in dem ich meinen Abschluss machen werde, 2007, werden es
geschätzte 4,8 Millionen Absolventen sein, die von den Universitäten
abgehen. Zehn Prozent von ihnen werden die Laufbahn zu einem höheren
Abschluss einschlagen (beispielsweise Master oder Doktor) oder
ins Ausland wechseln. Rechnen wir die 700 000 bis 800 000 Absolventen
hinzu, die im vorigen Jahr keinen Job gefunden haben, dann werden
2007 fünf Millionen auf den Arbeitsmarkt geworfen. (http://edu.qq.com/a/20061116/000183.htm)
Pech, dass ich drei Jahre zu spät geboren bin. Als eine
von dieser Anzahl von Absolventen, die mich erschauern lässt,
habe ich in vielen Jahren gelernt, was Wettbewerb heißt.
Er bedeutet, dass ich Millionen meinesgleichen mit dem Elbogen
verdrängen muss, nur um ein bisschen vorwärts zu kommen.
Dies habe ich getan, als ich in der Sekundarstufe und auf dem
College war, später dann auf dem Weg zum Master. Beinahe
19 Jahre Kampf haben mich ermüdet, aber auch auf eine Art
souveräner, um am Arbeitsmarkt bestehen zu können, vor
dem Hintergrund, dass ich nun einen Meister bin. Jedoch
nach Monaten des Suchens ist mein bisschen Selbstbewusstsein zusammengebrochen.
Meine höhere Bildung ist immer zu spät gekommen. Als
ich in der Mittelstufe war, sagte meine Lehrerin mir, wie leicht
ihre Schüler bis dato einen Job fanden. Sie wurden sogar
direkt eingestellt, nachdem sie sich vorgestellt hatten. Ich ging
mit Leidenschaft und Hoffnung auf College. Dort wurde mir von
meinem Lehrer wieder erzählt, dass alle Absolventen beim
College in Shenyang anfangen könnten. Ich wurde also zunächst
Hals über Kopf auf meine Aufgaben als Lehrerin vorbereitet.
Als ich dann meinen Abschluss machte, war davon nicht mehr die
Rede, keine Chance. Unter dem Drang nach Höherem, nach 18
Monaten harter Arbeit Gott segne die harte Arbeit
bekam ich meinen Abschluss. Ich hatte ihn mir verdient, also kein
Grund zur Sorge. Alles war geregelt, sicherer Job (der sollte
an einem College sein), neue Stadt (die Hauptstadt). Als ich hierher
kam, wurde mir wieder erzählt, dass alles geregelt sei. Aber
es klappte nicht. Die Lehrer haben mich nicht angelogen oder übertrieben,
sie hatten nur nicht die Weitsicht, um einzuschätzen, wie
schnell und dramatisch sich die Dinge ändern können,
und ich konnte es ebenfalls nicht. Ich wurde zum wiederholten
Male an der Tür des Colleges abgelehnt, sogar von den Colleges,
die sich meine älteren Studienkollegen nicht einmal angeschaut
hätten. Nun schauen sie uns nicht einmal mehr an. Nur Bewerber
mit Doktorabschluss erfüllen ihre Anforderungen. Und ich,
soll ich meinen Doktor machen? Welche Situation werde ich in vier
Jahren vorfinden? Ich weiß es nicht. Sicherlich werde ich
es nicht tun, wenigsten nicht, solange ich keinen Job gefunden
habe.
Pech, dass ich als Mädchen geboren wurde. Wenn ich ein Junge
wäre, lägen die Dinge vielleicht viel einfacher. Für
freie Stellen wird zunächst nach Doktoren gesucht, dann nach
männlichen Bewerbern, besonders an Universitäten. Wenn
ich frage, warum dies so ist, zucken sie mit den Schultern und
sagen, sie hätten schon zu viele weibliche Lehrkräfte.
Aber können Männer denn generell besser unterrichten?
Keine Ahnung, aber ich denke, die Begründung dahinter ist,
dass Frauen Kinder kriegen könnten. Wenn ich also nicht heirate,
keine Kinder kriege, werde ich dann wie ein Mann behandelt?
Pech für mich, dass ich eine Universität gewählt
habe, die im Namen den Begriff Technologie trägt.
Große Namen sind gefragt. Ohne einen gründlichen Blick
auf meinen Lebenslauf zu werfen, werden die Arbeitgeber Lebensläufe
mit einem niedrigeren Namen wegwerfen und mal ganz
abgesehen vom Bewerber. Die Arbeitgeber setzen voraus, dass große
Namen viel aussagekräftiger sind und deren Absolventen besser
arbeiten.
Pech, dass ich einen Master als Abschluss habe. Warum nicht Bachelor
oder Doktor? Einige der Jobs werden uns nicht gegeben, weil wir
überqualifiziert sind. Sie wollen uns nicht das entsprechend
höhere Gehalt zahlen. Sie bevorzugen Absolventen mit einem
Bachelor, weil diese jünger und eifriger sind und aus ihnen
potenziell mehr rauszuholen ist, weil sie kontrollierbarer und
billiger sind. Einige Jobs werden nur an Doktoren vergeben, weil
diese besser akademisch ausgebildet sind (hier nur auf das Hauptfach
Englisch bezogen. Für andere Disziplinen im wissenschaftlichen
und technischen Bereich liegen die Dinge anders). Seltsam ist
allerdings, dass mancher Arbeitgeber noch nicht einmal weiß,
warum sie Absolventen mit höherem Abschluss anstellen wollen.
Sie fragen danach, weil andere es tun. Ein Vorstellungsgespräch,
zu dem ich gegangen bin, hat mich wirklich umgehauen. Eine Privatschule
sucht nach einem Assistenten für den Rektor. Während
des Vorstellungsgespräches stellte sich heraus, dass sie
Leute einstellen, die dann Schüler rekrutieren sollen. Ich
habe einen Freund, der so etwas gemacht hat, er hat einen besonderen
College-Abschluss, für den er zwei Jahre studiert hat. Er
erzählte, dass der Job bedeutet, dass man überall Werbung
anbringt und prahlt, wie gut die Schule ist. Das Prinzip lautet:
Besorge die Schüler, dann kriegst du Geld. Keine Schüler,
keine Bezahlung.
Pech für mich, dass ich keine Arbeitserfahrung mitbringe.
Ich habe die ganze Zeit studiert. Mit 26 habe ich noch keine Arbeitserfahrung
gesammelt. Auch wenn ich viel Erfahrung als Teilzeitkraft habe,
zählt dies für Arbeitgeber nichts. Als ich letztendlich
von den Möglichkeiten, Lehrerin zu werden, enttäuscht
wurde und die Tür zu anderen Unternehmen hin öffnete,
wurde ich abgelehnt, weil ich zu unerfahren bin.
Genug der Beschwerden! Ich habe ein zu düsteres Bild von
mir und meinen nach Arbeitsstelle jagenden Kolleginnen und Kollegen
gezeichnet. Aber ich glaube immer noch an Bildung, nicht nur weil
ich Teil dessen bin, sondern weil Bildung mein Leben geändert
hat, auch wenn ich bis jetzt nur den halben Weg gehen konnte.
Wenn ich nicht ausgebildet worden wäre, dann könnte
ich mich hier nicht in einer Fremdsprache beschweren. Ich hätte
nicht die Möglichkeit, hier in Beijing selbst nach einer
Stelle zu suchen. Wenn ich nicht diese Ausbildung genossen hätte,
würde ich mit meinen Freunden nicht so sarkastisch über
so genannte unanständige Jobs reden, die auf dem Arbeitsmarkt
angeboten werden, so wie Teller waschen und als Kassiererin arbeiten.
Ich würde nicht selbstständig leben können und
meinen Eltern ein bisschen Geld von meinem Verdienst als Teilzeitkraft
geben, wenn ich daheim bin. Ich hätte meine Wahlmöglichkeiten
nicht, auch wenn sie nicht zu viele sind. Ich würde in meiner
Heimatstadt leben und einfache Arbeiten ausführen und es
nicht wagen, an meine strahlende Zukunft zu denken.
Arbeit zu finden ist wirklich schwer. Doch letztendlich kann
hier jeder eine Arbeit finden. Soviel ist sicher. Ich denke, die
Jobsuchenden vor einigen Jahren waren so besorgt wie ich, als
sie ihren Abschluss machten. Absolventen bekommen Panik, wissen
nicht, was zu tun ist, malen sich die Stellen aus, die sie bekommen
werden, und wissen nicht, wie sie ihre Jobsuche praktisch gestalten
sollen. Das ist sehr verschieden von der Studienzeit. Sie bereiten
sich jahrelang vor, haben zu viele Erwartungen. Kein Wunder, dass
sie nervös werden, wenn es soweit ist. Dies ist eine Notwendigkeit
für jeden Absolventen. Der Unterschied ist, dass man vor
einigen Jahren bessere Auswahlmöglichkeiten hatte und trotzdem
war es schwer, eine Entscheidung zu treffen. Nun sind die Chancen
schlechter und warten darauf, von jemanden ergriffen zu werden.
Obgleich leidend und jammernd, bin ich der Regierung und der
Universität trotzdem dankbar. Die Behörden haben viel
getan, um den Absolventen Arbeitsmöglichkeiten bereitzustellen,
Jobmessen werden fast täglich für verschiedene Fachrichtungen
abgehalten. Auf nationaler Ebene wurden verschiedene Jobmessen
organisiert und ich habe daran teilgenommen. Obwohl ich dort mit
so vielen in einer Schlange vor jedem Arbeitgeberstand stehen
musste, habe ich mich dort mit Hoffnung eingereiht. Außerdem
haben sich einige meine Freunde an den Tests als Teil des Aufnahmeverfahrens
für den öffentlichen Dienst teilgenommen mit der Hoffnung,
für die Regierung arbeiten zu dürfen. 550 000 haben
sich landesweit für weniger als 10 000 Stellen beworben.
Obwohl die Situation so schwer ist, wie es leicht ist, nur auf
die Statistiken zu schauen, so zeigt sich doch, dass es fair und
gerecht zugeht. Um mehr chinesische Universitätsabgänger
zu ermutigen, in den abgelegenen und unterentwickelten Gebieten
Chinas zu arbeiten, wird die Regierung laut Ministerium für
Bildungswesen vom nächsten Jahr an bedürftige Studierende
bei der Rückzahlung ihrer Schulden, die sie aufgrund der
zu zahlenden Studiengebühren machen mussten, unterstützen,
wenn sie Arbeitsstellen in den ländlichen Gebieten annehmen.
(Xinhua News Agency December 8, 2006)
Zusätzlich bietet das Internet die beste Schnittstelle bei
der Jobsuche. Yingjiesheng.com, die Webseite, die ich gewöhnlich
besuche, aktualisiert ihre Jobangebote täglich, von bekannten
internationalen Firmen in Großstädten bis hin zu Fabriken
in den abgelegenen Gebieten. Und es gibt Online-Bewerbungsmöglichkeiten
zu den begehrtesten Unternehmen, so wie Bank of China. Wenn dieser
erste Schritt bestätigt wurde, kann der Bewerber sich testen
lassen und dann ein Bewerbungsgespräch bekommen.
Meine Glaubenslehre für die Jobsuche gründet auf Hoffnung.
Egal wie schwierig es sein kann, es wird sie geben. Es gilt, sich
selbst und die Situation, in der man sich befindet, richtig einschätzen
zu lernen. Wenn sie nicht übereinstimmen, bringe es in Ordnung.
Die eigenen Ansprüche etwas runterschrauben und dann schauen,
ob es funktioniert. Tut es dies nicht, weiter runter gehen. Man
hat eine Menge Vorstellungen, zunächst einmal die Vorstellung,
einen besseren Job zu verdienen. Eine Menge Absolventen behaupten,
sie haben einen höheren Abschluss, also sollten sie höher
bezahlt werden. Das war die Regel, doch sie gilt nicht mehr. Erfahrung
zählt mehr. Arbeitgeber stellen nicht aufgrund von Abschlüssen
oder Titeln an, sondern wollen Arbeitsfähigkeiten. Ein höherer
Abschluss ist nicht mit höheren Arbeitsfähigkeiten gleichzusetzen.
Zweitens gibt es die Vorstellung, in einer großen Stadt
arbeiten zu müssen, auch Stadt-Manie genannt. Einige Absolventen
sind der Meinung, dass, nachdem sie rausgekommen sind, um in einer
Großstadt zu leben, es eine Demütigung sein wird, wieder
in die Heimatstadt zurückzukehren. Dabei wären kleine
Städte vergleichsweise die bessere Wahl. Einige meiner Studienkollegen,
die aus Beijing raus wollen, haben Vorstellungsgespräche
an guten Universitäten in weniger bekannten und weniger überfüllten
Städten. Ich will in Beijing bleiben, denn mein Freund arbeitet
hier, habe die Auswahl der Stadt über die Wahl für einen
besseren Job gestellt. Drittens wird der erste Job wahrscheinlich
nicht für das ganze Leben sein. Es gibt viele Möglichkeiten
später zu wechseln. Bessere Arbeitsstellen für denjenigen,
der wirklich auf die Gesellschaft vorbereitet ist, der seine Fähigkeiten
nicht nur aus Büchern erworben hat. Also geduldig sein, warten.
An meinem Vertrauen festhaltend, alle meine Bemühungen betrachtend,
glaube ich daran, eine Arbeitsstelle finden zu können. Vielleicht
werde ich, wenn ich Jahre später diese Phase meines Lebens
in Erinnerung rufe, diese Zeit wirklich wertschätzen, denn
sie macht einen reifer und bedeutet den ersten Schritt in eine
Gesellschaft, in der alles schwer zu bekommen ist und eine Menge
kostet.
Chai Le macht dieses Jahr ihren Abschluss
im Masterstudiengang Englisch an der Universität für
Bergbautechnologie in Beijing.
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