Ausländischer
Einfluss auf die chinesische Literatur, Teil II
(Der erste Teil wurde in unserer Februarausgabe
veröffentlicht)
Von Qin Gong
Meisterwerke der Weltliteratur, klassische oder zeitgenössische,
waren seit Beginn des 20. Jahrhunderts in chinesischer Übersetzung
verfügbar. Sie übertreffen die Übersetzungen chinesischer
Werke der Literatur bei weitem. Literatur aus dem Ausland hatte
ohne Zweifel einen spürbaren Einfluss auf die moderne chinesische
Literatur und darstellende Kunst. Die folgenden Schriftsteller
und Dramatiker werden von chinesischen Literaten und Literaturliebhabern
als führende Meister der ausländischen Literatur angesehen.
Leo Tolstoi (18281910): Russischer Autor
Leo
Tolstois Werk wurde 1906 erstmals ins Chinesische übersetzt.
Die meisten seiner Bücher sind inzwischen in Übersetzung
erschienen. Die bekanntesten darunter sind Krieg und Frieden,
Anna Karenina und Auferstehung. Der die
Werke Tolstois durchziehende Humanismus ist deren Hauptstärke,
die viele Werke der chinesischen Literatur mit einer ähnlichen
Geisteshaltung hervorbrachte. Die Struktur seines Schaffens und
seine psychologischen Beschreibungen werden von chinesischen Schriftstellern
als mustergültiges Vorbild angesehen.
Ranbindranath Tagore (18611941): Indischer Poet, Schriftsteller,
Künstler und Soziologe
Der
indische Dichter Tagore wurde 1913 mit dem Nobelpreis für
Literatur ausgezeichnet. Chen Duxiu, führende Persönlichkeit
der Neuen Kulturbewegung, stellte Tagores Werke durch seine Übersetzungen
in China vor. Vier seiner Gedichte aus seiner Sammlung Gitanjali
wurden 1915 in klassischem Chinesisch in einer Ausgabe des Jugendmagazins
veröffentlicht. Nach dem 1. Weltkrieg richtete die westliche
Welt ihr Augenmerk auf die Entwicklung der östlichen Kultur.
Eine große Anzahl seiner Poesie, Essays, Bühnenstücke
und philosophischen Schriften wurden ins Chinesische übersetzt
und in chinesischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht.
Die fünf bekannten Verlage dieser Zeit Commercial
Press, Taidong Book Company, Xinmin Press, Minzhi Press und Datong
Liberary veröffentlichten 18 Übersetzungen seiner
Bücher in 31 Ausgaben. Daran haben circa 90 Übersetzer
teilgenommen.
Im Mai 1924 besuchte Tagore China. Während seines siebenwöchigen
Aufenthalts bereiste er Shanghai, Hangzhou, Nanjing, Jinan, Beijing,
Taiyuan, Hankou und verschiedene andere Großstädte.
Er hielt mehr als 15 öffentliche Reden und gab mindestens
30 Interviews. Die chinesischen Medien berichteten ausführlich
über seine Reise. Die Literaturzeitschriften Die Östliche
Schriftensammlung, Chinesische Jugend und Monats-Roman
veröffentlichten Sonderausgaben zur Vorstellung seiner Werke.
Bilder von Tagore und Berichte über ihn erschienen täglich
in den Zeitungen und seine Gedichte und Prosa wurden überall
gelesen und zitiert. Viele Oberschüler konnten einige seiner
Gedichte in Englisch aufsagen.
Tagores Popularität in China, die kurz nach der 4. Mai-Bewegung
begann, ist vielleicht dem seine Werke durchziehenden optimistischen
Geist zu verdanken, mit dem er die geistige Zivilisation des Ostens
gegenüber dem westlichen Kolonialismus verteidigt und schützt.
Er wurde auch für seine Sympathie mit der nationalen Bewegung
in China, seinem Einsatz für die Interessen und Rechte der
Frauen, für seine Individualität und für seinen
Humanismus geschätzt und bewundert.
Maxim Gorki (18681936): Russischer Schriftsteller
Wenn
Tolstoi ein klassischer Schriftsteller des goldenen Zeitalters
Russlands ist, dann ist Maxim Gorki ein bedeutender Vertreter
der aufkommenden Sowjetunion. Es war im Jahr 1907, dass der Übersetzer
Wu Zhu erstmals ein Werk Gorkis übersetzte, die Übersetzung
erschien unter dem Titel Besorgt über den Rest meines
Lebens. In den 1930ern wurden viele weitere Werke übersetzt,
darunter Die Mutter, Kindheit, In
der Welt, Die Kleinbürger und Lied
vom Sturmvogel. Sein Roman Die Mutter und das
Gedicht Lied vom Sturmvogel wirkten sehr aufmunternd
auf die chinesischen Revolutionäre, die aus ihrer niedrigen
sozialen Stellung heraus kämpften. Gorkis scharfe Kritik
an dem von bestimmten Oktober-Revolutionären und ihrem Verhalten
verursachten Chaos, die den Titel Unzeitgemäße
Gedanken über Kultur und Revolution trägt, wurde
bis zum Jahr 1990 nicht veröffentlicht. Diese Arbeit wurde
anschließend umgehend ins Chinesische übersetzt und
veröffentlicht. Sie dient als wichtige Belegstelle für
die Forschungen über die neuere chinesische Geschichte.
Nikolai Ostrowski (19041936): Russischer Revolutionär
und Schriftsteller
Ostrowskis
berühmtester Roman Wie der Stahl gehärtet wurde
wurde bereits vor 1949 ins Chinesische übersetzt, wobei zwei
Versionen entstanden, eine 1937 von Duan Luofu und Chen Feihuang,
die andere 1942 von Mei Yi. Beide wurden mehrmals nachgedruckt.
Zwischen Oktober 1949 und Dezember 1952 wurden insgesamt 2,07
Millionen Exemplare verkauft. Zwischen Oktober 1980 und November
1986 wurden weitere 650 000 Exemplare von der Peoples Literature
Press und zwei anderen Verlagen verbreitet. Der berühmte
revolutionäre Schriftsteller Wu Yunduo lieh sich während
des Widerstandskrieges gegen die japanische Aggression ein Exemplar
des Buches. Er las es, genauer verschlang es Tag für Tag,
nur durch die Dunkelheit zur Unterbrechung der Lektüre gezwungen.
Wu war tief beeindruckt von dem Protagonisten des Romans, Pawel
Kortschagin. Unter dem Einfluss dieser Figur hat Wu später
eines seiner repräsentativen Werke Sich der Kommunistischen
Partei vollkommen widmen geschrieben. Pawel wurde auch noch
Jahrzehnte später als Vorbild der Jugendlichen betrachtet.
Ernest Hemingway (18991961): Amerikanischer Schriftsteller
Hemingway
machte 1941 seine erste Reise nach China. Er kam in Hongkong an
und ging nach Shaoguan, einer anti-japanischen Kriegsfront der
Kuomintang (Guomindang) in der Provinz Guangdong. Doch er aß,
schlief und ging zusammen mit den Soldaten auf Patrouille, um
einen Eindruck davon zu bekommen, wie ihr Leben während der
Kriegszeit aussah. Dann reiste er nach Chongqing, wo er den Führer
der Kuomintang, Chiang Kai-shek, und die kommunistische Führungspersönlichkeit
Zhou Enlai traf. In den sechs Büchern, die er über seinen
Besuch geschrieben hat, drückt er mit seiner rationalen Analyse
seine Unterstützung für China aus. Hemingways Besuch
in China wurde von der chinesischen Bevölkerung begrüßt.
Diejenigen seiner Werke, die sich mit dem Thema Krieg auseinandersetzten
und ins Chinesische übersetzt wurden, waren weit verbreitet.
Wem die Stunde schlägt, welches den spanischen
Bürgerkrieg beschreibt, hielt eine Ermutigung für die
chinesischen Soldaten und die Bevölkerungsteile bereit, die
gegen die japanischen Invasoren kämpften. Sein berühmter
Satz Ein Mann kann zwar vernichtet, aber niemals besiegt
werden aus Der Alte Mann und das Meer wurde
zum Motto vieler Chinesen. Seine Beschreibung der Bewusstseinsströmung
in Schnee auf dem Kilimandscharo hat ebenfalls großen
Einfluss auf die Entwicklung der modernen chinesischen Literatur.
Jean-Paul Sartre (19051980): Französischer Philosoph
und Schriftsteller
Der
französische Existenzialist Jean-Paul Sartre hatte eine enorme
Wirkung auf die Konzepte der modernen chinesischen Literatur,
deren Wandel und Entwicklung. Die existenzialistische Schule wurde
unter den Gebildeten der 1940er bekannt. Zu gleicher Zeit wurden
seine Bücher Das Zimmer und Die Mauer
ins Chinesische übersetzt. Existenzialistische Konzepte wurden
auch von einer Reihe herausragender chinesischer Schriftsteller
wiedergegeben, so wie Feng Zhi, Dai Wangshu, Zhang Ailing und
Qian Zhongshu. In den 1950ern wurden der Existenzialismus und
seine Darlegung in verschiedenen Literaturgattungen von der Revolutionären
Romantik nahezu verdrängt. Jedoch ermöglichte Sartres
Anerkennung durch die Sowjetunion eine annährende Sartre-Rezeption
durch chinesische Intellektuelle. In den 1980ern, nach dem Ende
der Kulturrevolution (196676), lenkte Sartres
Philosophie erneut die Aufmerksamkeit der Chinesen auf sich. Durch
die Aufdeckung der Lügen und den Sturz der gesellschaftlichen
Idole kam es in der chinesischen Gesellschaft zu einer Vertrauenskrise.
Es lag in der Natur der Sache, dass der Existenzialismus bei chinesischen
Lesern wieder an Bedeutung gewann. Sartres philosophischen Abhandlungen
Das Sein und das Nichts und seine Absurdität
beschreibenden Romane und Bühnenstücke wie Der
Ekel, Die Fliegen und Die schmutzigen
Hände wurden von einem breiten Publikum verstanden
und angenommen. Sie lösten erhitzte Debatten in chinesischen
Literaturkreisen aus und hatte einen weitreichenden Einfluss auf
die Kreativität chinesischer Literatur. Es gibt verschiedene
Meinungen über diesen Mann und sein Werk, aber Sartres linker
Standpunkt und seine tief gehenden Gedanken über das Leben
und die Gesellschaft sind zeitlos.
Qin Gong ist leitender Mitarbeiter am
Institut für Literatur der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften
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