AK 47 Musik ist eine Waffe
Von Lars Mörking
In den großen Städten Chinas gibt es alle Sub- und
Jugendkulturen der europäischen Großstädte: Punk,
Dark Wave, Hip Hop usw. Szene-Magazine klären über neue
Trends auf und echte Vertreterinnen und Vertreter
der Zunft schlagen ob der oberflächlichen Handhabung ihrer
Subkultur die Hände über dem Kopf zusammen, denn besonders
authentisch kommt das Alles nur selten rüber. Anscheinend
gibt es aber eine Ausnahme: Metal. Ob es nun an der Anspruchslosigkeit
des Dazugehörens oder an der natürlichen Kompatibilität
des Metals mit den Beijinger Verhältnissen liegt: In der
chinesischen Hauptstadt ist die Königsdisziplin des Rock
offenbar nicht nur eine oberflächliche Modeerscheinung. Langhaarige
sitzen in oder vor Musikgeschäften und spielen Schlagzeug
oder Gitarre, besitzen CD-Geschäfte mit erweitertem Rocksortiment
und im Bereich um das altehrwürdige Viertel Gulou in Beijing
kommen einem auch schon mal Horden von diesen zotteligen Jugendlichen
entgegen, die mit Instrumenten im Anschlag auf dem Weg zur Bandprobe
sind. Metal gibt es in ungewöhnlicher Bandbreite in fast
allen hiesigen CD-Läden, oftmals direkt neben Britney S.
und Christina A. stehen Lemmy (Motörhead) und Mille Petrozza
(Kreator) und gucken böse. Zu recht, denn sortieren (und
vor allem trennen) hätten sie die CDs in den Regalen schon
noch können...
Auch zahlreiche Live-Auftritte in China entstandener Rock-Combos
können jeden Monat besucht werden. Selbst Open-Airs-Festivals
haben sich derweil etabliert, wobei versucht wird, aus dem Westen
stammende Künstlerinnen und Künstler als Headliner zu
gewinnen, die trotz anders lautender Ankündigungen nicht
gerade Götter oder Könige ihrer jeweiligen Musikrichtung
sind (so spielte Sebastian Bach, Skid Row, als Headliner auf dem
Beijing Pop Festival). Dabei gibt es Alternativen: Mit dabei auf
dem Beijing Pop Festival 2006, welches von seinen offensichtlich
dem Eklektizismus anhängenden Veranstaltern Popfestival
getauft wurde, waren auch AK 47. Musik ist kraftvoll, wie
eine AK 47. Es gibt keine andere Bedeutung. Unsere Musik ist unsere
Waffe, sagt Bassist Han Tian. Der Name ist einleuchtend,
vor allem wenn man die Bühnenperformance der Band gesehen
hat: Armee-ähnliche Uniformen, rote Armbänder. Die AK
47 (Awtomat Kalaschnikowa, obrasza 47), ein 1947 von Michail Timofejewitsch
Kalaschnikow entwickeltes Sturmgewehr, steht für schlichte
Funktionalität und kann auch unter widrigen Bedingungen eingesetzt
werden. Weltweit hat sich die AK 47 auch gegen modernere Sturmgewehre
auf dem Markt behauptet. Die Band hat sich also einen
durchaus unbescheidenen Namen ausgesucht.
Aktuelles und neues Album
Unzufrieden ist AK 47 mit ihrem aktuellen Album Start Off,
welches für 25 Yuan (etwa 2,50 Euro) bei jedem von Langhaarigen
betriebenen CD-Shop in Beijing erworben werden kann. Das Unbehagen
ist nachvollziehbar, denn wer die Band schon einmal live erlebt
hat, wundert sich über die relativ kraftlose Studioaufnahme.
Alte Alben der Band sind schwierig zu bekommen, denn der Kommerz
hat sich Bezug auf Merchandising im chinesischen Metal noch nicht
durchgesetzt: T-Shirts, Poster und CDs der Band sind noch nicht
einmal auf ihren Konzerten käuflich zu erwerben. Zur Freude
der Sympathisanten von AK 47 hat die Band für die erste Hälfte
diesen Jahres ein neues Album angekündigt. Da die Fehler
des aktuellen Albums offen angesprochen werden, kann man in diesem
Bereich Fortschritte erwarten.
Aber auch Live-Konzerte bergen Hindernisse für den chinesischen
Metal. Gerade die Hauptstadt leidet offenbar an einem Mangel zentral
gelegener und bezahlbarer Auftrittsmöglichkeiten für
Bands, die keine großen Hallen füllen. So gibt es offensichtlich
eine Nachfrage nach guter handgemachter Rockmusik, jedoch ist
das vorhandene Angebot einfach zu teuer. 40 Yuan (etwa 4 Euro)
für ein Ticket, dies ist gemessen am derzeitigen Durchschnittseinkommen
in Beijing eine Geldsumme, die einige Jugendliche ohne
die entsprechende Finanzhilfe der Eltern kaum aufbringen können.
Chinesische Wurzeln
Die Mitglieder der Band AK 47 kommen aus unterschiedlichen Regionen:
Sänger Lao Mao kommt aus Yunnan, einer südlichen Provinz
an der Grenze zu Indochina, Gitarrist Xia Fei kommt aus Zhejiang,
Bassist Han Tian aus Shenyang und der Schlagzeuger Xiao Guang
aus Shandong. Alle sind auf völlig unterschiedlichen Wegen
auf eine Musikrichtung gestoßen, die in den ländlichen
Gebieten heute noch weitgehend unbekannt ist, da Metal in den
Massenmedien praktisch nicht vorkommt und es bisher noch an alternativen
Verbreitungsmöglichkeiten mangelt. Ein Vorteil der Band ist,
dass sie nicht einmal versucht, westliche Vorbilder zu imitieren.
In den Großstädten Chinas kann man viele junge Bands
sehen, die ihre Idole wie Korn oder Metallica bis ins Detail nachmachen
und dabei technisches Können beweisen. Kreativität haben
diese Gruppen aber trotz eigener Songs bisher nicht bewiesen.
AK 47 ist bodenständiger und lässt sich bewusst auch
von traditioneller Musik der nationalen Minderheiten beeinflussen.
Das drückt sich vor allem im Gesang und in den vom Keyboarder
eingespielten Samples aus, die anders (und angenehmer) sind als
die dominanteren eingestreuten synthetischen Effekte bei Nu Metal-Bands.
Lässt sich nur noch eine letzte Besonderheit von AK 47 hervorheben:
Diese Band ist keinesfalls darum bemüht, mit ihren Uniformen
und ihrer Musik härterer Gangart ein Image des Militärischen
oder übertrieben Männlichen zu präsentieren. Ihre
Posen sind klassisch, die Frisuren uneinheitlich und man sieht
einfach zu sehr, dass sie mit Spaß bei der Sache sind. Verweist
dies auf die mangelnde Professionalität einer Band, die sich
ihren Lebensunterhalt außerhalb der Welt der Musik verdienen
muss? Oder sind hier einfach noch zu wenig kanonische Schriften
des Metals ins Chinesische übersetzt worden?
Was auch immer der Grund dafür sein mag, dass der Höhepunkt
und Abschluss eines der ersten Konzerte von AK 47 in diesem Jahr
nicht die von den Fans geforderte Zugabe, sondern die Aufforderung
der Band an die beim Konzert anwesende Mutter des Bassisten war,
sich auf der Bühne mit der Band feiern und ablichten zu lassen:
AK 47 verzichtet damit deutlich sichtbar und in erschreckend
unkonventioneller Art auf alle möglichen Formen, sich
von der eigenen Herkunft abzusetzen. Dieser Metal mit chinesischen
Besonderheiten hat unter den hiesigen Bedingungen mehr Durchschlagskraft
als Imitationen des westlichen Metals.
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