Leben pur – Ein Dorf der Dong

Von Zhang Hong

Qiandongnan in der südöstlichen Provinz Guizhou ist ein autonomer Bezirk der nationalen Minderheiten Miao und Dong. Das Leben auf diesem Plateau ist so nah an der Natur, wie man ihr nur kommen kann. Zudem ist dieses Schutzgebiet eines von weltweit 18, die für Volkskultur bestimmt sind. Die Angehörigen der 2500 Jahre alten Dong machen bis zu 31,5 Prozent der lokalen Bevölkerung aus. Sie sind bekannt für ihren Kleidungsstil der Song-Dynastie (960–1279), ihre Wohnungen ähneln denen in der Ming- (1368–1644) und Qing-Dynastie (1644–1911) und ihre Frisuren sehen wie aus der Tang-Dynastie (618–907) aus. Ihre Lebensart hat die gesamte Region geprägt.

Kurz nachdem wir in der Bezirkshauptstadt Kaili ankamen, hörten wir die Volksweisheit, dass Guizhou „nicht mehr als drei Chi (= 1/3 Meter) flaches Land und nicht mehr als drei Tage hintereinander gutes Wetter“ hat. Und in der Tat: Auf unserem Weg zu dem Reservat der Dong schlängelte sich die Straße um die Berge. Zudem wurden wir begleitet von einem Nieselregen, der sich immer wieder zwischendurch in Hagel oder einen Sturm verwandeln konnte. Als wir beim Fluss Duliu ankamen, konnten wir schon die Holzhütten der Dong auf den Hügeln entdecken.

Die Dong bauen ihre Hütten auf den südlichen Hängen der Hügel, inmitten von Flüssen, Fichten und Banyan-Bäumen. Der Morgennebel, der sich aus den Flüssen erhebt, verhüllt die Hälfte der Hügel – ebenso wie die Häuser darauf – und schafft eine beinahe ätherische Stimmung. Die Dong begrüßen ihre Gäste mit einem warmen Lächeln und bieten ihnen, je nach Geschmack, Tee oder Wein an.

Ein Dong-Dorf besteht im Durchschnitt aus 100 bis 200 Haushalten. Im Zentrum gibt es einen kleinen Platz mit einem Trommelturm und einer Bühne auf jeder Seite. Dort hält die Gemeinschaft sämtliche öffentlichen Aktivitäten ab, dazu gehört auch, den Jugendlichen bei der Partnerwahl Hilfestellung zu leisten.

In einem Dong-Dorf ist der Trommel-Turm das wichtigste Gebäude. Seine Grundfläche ist entweder vier-, sechs-, oder achteckig, meist zwischen fünf und 13 Stockwerken hoch und hat mehrere Dachrinnen. Beinahe unglaublich, dass diese Holzstrukturen ohne einen einzigen Nagel erbaut wurden. Früher wurde eine bestimmte Trommel immer dann geschlagen, wenn ein besonderes Ereignis bevorstand. Die Dorfbewohner versammelten sich dann auf dem Platz und nahmen die Befehle vom Chef des Klans entgegen. Heutzutage ist der Turm eher ein Treffpunkt für Männer aus der Umgebung, die sich um ein Feuer versammeln und reden, während sie aus einer langen traditionellen Pfeife rauchen.

Die „Wind- und Regenbrücke“ ist eine weitere Besonderheit eines Dong-Dorfes. Mit ihrer steinernen Grundfläche und den mit mehreren Dachrinnen versehenen Pavillons ist die Brücke einfach schön anzusehen. Die Menschen sagen, dass die Bauweise von Prinzipien der Geomantie, einem dem Feng Shui ähnlichen Verfahren, stark beeinflusst wurde. Die Brücke wird auch „Blumenbrücke“ genannt, weil sie so reich bemalt ist. Zu jeder Witterung treffen sich bei ihr Dorfbewohner, um sich zu unterhalten, zu beten oder zu singen.

Während wir über die Nationalstraße G312 im Kreis Congjiang fahren, kommen wir am Dorf Darong vorbei. Als erstes fällt uns eine Reihe von fensterlosen Stelzhütten auf, die neben der Straße stehen. Jede ist ungefähr fünf Meter lang mit einer kleinen doppelt verriegelten Tür. Kinder, die in der Nähe spielen, erzählen uns, das seien Scheunen, in denen die Dorfbewohner die Ernte des ganzen Jahres lagern. Die Stelzen sollen weniger Menschen vom Diebstahl abhalten, als vielmehr Mäuse.

Als wir in das Dorf hinein fahren, sind wir schon innerhalb kürzester Zeit von neugierigen Kindern umringt. Das Tohuwabohu lässt auch einige Frauen aus ihren Häusern kommen; sie freuen sich offensichtlich, uns zu sehen. Sie tragen kurze Mäntel mit einem Spalt in der linken Seite und lockere Hosen in Schwarz oder Blau – den traditionellen Farben der Dong. Ihre Bündchen und Schürzen sind mit strahlend farbigen Blumenmustern bestickt.

Das Dorf Darong ist in drei Teile unterteilt, die sich nach der Position des Berges orientieren. Fasziniert vom Klang von Kanonenfeuer machen wir uns auf den Weg in die Tiefebene, wo mehrere Menschen an Dutzenden von Tischen auf einer Lichtung sitzen und feiern. Ohne auch nur zu fragen, wer oder woher wir seien, bietet der Gastgeber jedem von uns einen Sitz an. Anschließend gibt er uns ordnungsgemäß eine Tasse mit selbst gebranntem Schnaps und einen Teller mit Essen, das direkt aus einem kochenden Topf geschaufelt wird.

Urbane Etikette wird von den Dong nur als Allüre angesehen, also akzeptieren wir dankbar die Geschenke. Sämtliche Speisen und Getränke werden von einheimischen Familien zubereitet – darunter die klebrigen Reisbälle, der Reiswein und das eingelegte Gemüse. Die Älteren sitzen an den Tischen im Zentrum, während die jüngeren Gäste ihre Plätze wechseln können. Seltsam ist, dass Frauen und Kinder von dem Fest ausgeschlossen scheinen. Die jungen Männer aus dem unteren Teil des Dorfes, so sagte man uns, haben die Mädchen vom oberen Teil des Dorfes zu einem Gesangsfest eingeladen. Die Mädchen haben im Anschluss die Jungen aus Höflichkeit vom oberen Teil zum Essen eingeladen – wie es Tradition ist.

Am folgenden Tag veranstaltet der mittlere Teil das Gesangsfest. Die Mädchen sind schon beim frühen Tagesanbruch aufgewacht, machen sich schön und frisieren ihr Haar. Das ist nicht einfach und deshalb ist die Hilfe der Mutter sehr wichtig. Wenn sie ihre Festivalkleidung angelegt haben, wird das hüftlange Haar der Mädchen zu kleinen Knoten aufgesteckt und mit einer großen Auswahl an silbernem Schmuck verziert. Haarkränze, Halsketten, Armreife, bestickte Rockzipfel und ein Dutzend weitere Accessoires verschiedener Größe und Form werden noch angebracht, bis alles fertig ist. All diese Zusätze erhöhen auch das Gewicht der Mädchen beträchtlich.

Die Mühen des Herrichtens sind gerade beendet, als drei Salut-Schüsse im ganzen Tal widerhallen. In Silber geschmückte Mädchen strömen aus allen Richtungen in Richtung des Trommelturmes, es klingelt und klappert allenthalben.

Das ganze Dorf versammelt sich für eines der wichtigsten Festivals im Kalender der Dong: dem Ritual vom Übergang ins Erwachsenenleben. Ältere Dorfbewohner sitzen herum, rauchen und unterhalten sich. Feuerwerkskörper werden angezündet und mischen sich mit den Klängen der Trommeln und Gongs, die Jugendlichen stehen um das Lagerfeuer herum und fassen sich an den Händen. Dann führen sie den Caigetang-Tanz auf. Früher war das ein Tanz, um eine Heldin aus alter Zeit zu verehren, heute hat er eher zeremonielle Funktionen. Als die Tänzer sich im Kreis drehen, nach vorn und zurück springen, scheppern und glitzern die Silberstückchen der Mädchen im Licht des Feuers.

Dem Takt des Tanzes folgend bereiten sich die Mädchen für das Große Lied der Dong vor. Die erste Sopranistin steht im Zentrum der Gruppe und beginnt jeden Vers. Die Chormädchen – die jeweils alle in unterschiedliche Stimmgruppen eingeteilt sind und jeweils eine Stimmführerin haben – unterstützen und wiederholen den Gesang der Sopranistin. Ohne dass ein Instrument sie begleiten muss, klingen ihre lieblichen Stimmen so, als ob sie direkt aus dem Himmel kommen.

Die Dong haben über Jahrhunderte ihre Kultur und Geschichte über ihre Lieder an die nachfolgende Generation überliefert. Es ist eine Tradition, die üblich war, bevor sie die Schriftsprache eingeführt haben. Die Großen Lieder sind diejenigen, die von der Gruppe gesungen werden, wenn große Feste oder Zeremonien anstehen – meist ohne Begleitung durch Instrumente. Die Kleineren Lieder hingegen werden von einzelnen Dorfbewohnern zuhause oder bei der Arbeit gesummt – auch hier meist ohne instrumentale Unterstützung. Im Juli diesen Jahres gewann ein Chor der Dong den ersten Preis beim 4. Internationalen Chorfestival in Xiamen. Insgesamt hat der Chor damit bereits sieben nationale Preise gewonnen.

Aber das stimmliche Erbe ist leider vom Aussterben bedroht und zwar, weil die Talente nicht mehr in ihren Dörfern bleiben. Die meisten Erwachsenen ziehen in die Städte, um Arbeit zu finden. Deren Kinder aber, die Jugendlichen von heute, sind es, die es lernen müssten, den traditionellen Zeremonien entsprechend zu tanzen und zu singen. Als wir das Dorf der Dong verlassen, nehmen wir noch ein einheimisches Mädchen mit, das gerade nach Hause trampt. Sie unterscheidet sich stark von den anderen Dong-Mädchen, von denen wir uns soeben verabschiedet haben. Sie lebt seit drei Jahren in der Stadt, trägt enge Jeans, hochhackige Schuhe und hat gefärbte Haare. Unter den Dorfbewohnern wäre sie klar aufgefallen. Als wir sie fragen, ob sie selbst solche traditionellen Veranstaltungen besuchen würde, sagt sie nichts und lächelt geheimnisvoll.

Reise-Tipps:

Die meisten der rund 2,9 Millionen Dong leben in den Provinzen Guizhou, Hunan, Hubei sowie im Autonomen Gebiet Guangxi der Zhuang-Nationalität.

Sie hatten keine Schriftsprache bis zum Jahr 1958, als sie ein eigenes Alphabet erfanden. Die wichtigsten Feste der Dong sind das Frühlingsfest, das Opferfest für den Rindergott und das Erntedankfest. Um die Dong zu besuchen, sollte man am besten von Guiyang, der Provinzhauptstadt von Guizhou, starten und die Guiyang–Xinzhai–Autobahn entlang fahren. Bei Macheng sollte man dann die Autobahn verlassen und die Auffahrt zur Macheng–Kaili–Autobahn nehmen. Von Kaili aus fährt man die Nationalstraße G302 entlang, biegt bei Sankecun in Richtung Kreis Leishan ab und fährt dann auf die Provinzstraße 203. Diese führt zu den Gegenden, in denen die Dong wohnen, so wie Rongjiang, Congjiang und Liping. Aber Vorsicht: Sie werden am alptraumhaften Leigong-Berg vorbeikommen – mit seinen steilen Hängen, den engen Kurven und rutschigen Straßen sowie dem ganzjährigen Nebel und Regen. Eine gute Nachricht: So unvergleichlich schlecht die Fahrbedingungen sind, die Landschaft und der Ausblick während der Fahrt auf dem Berg sind atemberaubend.


 

 
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