Ist die Zeit reif für ein zweites Kind?
Von Lu Rucai
In China dürfen seit Einführung der Ein-Kind-Politik
Paare nur dann zwei Kinder haben, wenn beide Partner selbst Einzelkinder
sind. Heute ist die erste Generation chinesischer Einzelkinder
im Heirats- und Geburtsfähigen Alter. Wie viele von ihnen
werden zwei Kinder zur Welt bringen? Wird dies zu einer Bevölkerungsexplosion
führen?
Zur Geburt eines zweiten Kindes ermuntert
Es ist Paaren, die selbst aus Einzelkindern bestehen, erlaubt,
zwei Kinder zu haben. Und wir hoffen, dass alle Paare, falls sie
unter diese Ausnahmeregelung fallen, ihr zweites Kind zur Welt
bringen werden, erklärt Li Yunli, Vize-Leiterin der
Kommission für Familienplanung der Stadt Beijing. Sie ist
der Meinung, dass sich diese Ausnahmeregelung sehr günstig
auf die Lösung der Probleme des Arbeitskräftemangels
und der Überalterung in Beijing auswirken wird.
Diese Ausnahmeregelung hat den 28-jährigen Xiao Yang ermutigt.
Er und seine frisch verheiratete Frau sind Einzelkinder, die Ende
der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts geboren wurden. Gemäß
der Ausnahmeregelung sind ihnen zwei Kinder erlaubt. Wir
wollen zwei Kinder haben, am besten einen Sohn und eine Tochter.
Der gleichen Ansicht sind offenbar auch seine Eltern. Da er aus
der ersten Generation chinesischer Einzelkinder stammt, hatte
Herr Xiao in seiner Kindheit keine Geschwister, mit denen er spielen
konnte. Aus diesem Grund wünscht er sich besonders, dass
sein Kind ein Geschwister als Spielgefährten bekommt.
Vor kurzem hat der Kulturkanal der Webseite www.sina.com.cn eine
Umfrage mit dem Titel Einsamkeitsgefühl und Emotion
der in den 80er Jahren geborenen Einzelkinder durchgeführt.
Daran haben 6007 Einzelkinder, die zwischen den Jahren 1980 und
1989 zur Welt kamen, teilgenommen. 61,3% der Befragten sind der
Meinung, dass sich Einzelkinder einsamer fühlen, als Kinder
aus traditionellen Familien, in denen beide Ehepartner mit Kindern
unter einem Dach leben. Für Einzelkinder ist es eine schwierige
Sache, mit anderen Freude oder Kummer zu teilen. 66,9% der Befragten
wünschen oder wünschten sich Geschwister als Spielgefährten.
Aus eigener Erfahrung möchten 41,6% der Befragten zwei Kinder
haben.
Neben Beijing haben die Lokalregierungen anderer Großstädte
wie Guangzhou und Shanghai entsprechende Regelungen ausgearbeitet,
um Ehepartner, die selbst Einzelkinder sind, zur Geburt eines
zweiten Kindes zu ermuntern. Beispielsweise hat die Stadtregierung
Shanghais eine Auflage abgeschafft, die vorsah, dass Paare, die
zwei Kinder haben dürfen, nach der Geburt des ersten Kindes
vier Jahre bis zur Geburt des zweiten Kindes zu warten haben.
Frau Cheng Jun aus Beijing hat eine 12-jährige Tochter, sie
wünscht sich ein zweites Kind. Ich habe vier Geschwister
und meine Eltern sind alt geworden. Wenn sie krank sind und stationär
behandelt werden müssen, werden sie von mir und meinen Geschwistern
abwechselnd betreut. Aber wenn ich und mein Mann alt werden, muss
sich meine Tochter nicht nur um uns beide, sondern auch um ihre
Schwiegereltern kümmern. Für sie ist das zweifellos
eine große Belastung. Über dieses Problem haben
auch die Mitarbeiter, die auf dem Gebiet der Familienplanung tätig
sind, nachgedacht. Wenn die Familien, deren beide Ehepartner Einzelkinder
sind, zwei Kinder hätten, könnten die Kinder ihren Eltern
gemeinsam Unterhalt gewähren, so dass die Belastungen für
die Kinder gemindert werden.
Nicht viele äußern den Wunsch nach einem zweiten
Kind
Bis heute haben in der Stadt Guangzhou mehr als 300 000 Familien
den Ausweis für Einzelkinder erhalten, und währenddessen
ist die erste Generation chinesischer Einzelkinder im heiratsfähigen
Alter. Den unvollständigen Statistiken nach ließen
sich mehr als 7100 Einzelkinder, 6100 Frauen und 1000 Männer,
aus acht alten Stadtbezirken von Guangzhou, die in den 80er Jahren
des vorigen Jahrhunderts geboren wurden, vom Januar bis zum Juli
2006 zum Zweck der Eheschließung registrieren. Unter ihnen
gibt es beinahe 900 Partner einer Ehegemeinschaft, in der beide
Einzelkinder aus den 80er Jahren sind. Aber nur wenige von
ihnen haben einen Antrag für die Geburt eines zweiten Kindes
gestellt, erklärt Xie Anguo, der Vize-Leiter des Amtes
für die Bevölkerung und Familienplanung der Stadt Guangzhou,
Es ist nicht zwingend, dass sich alle Ehepaare, die aus
zwei Einzelkindern bestehen, zwei Kinder wünschen. Viele
wollen sogar gar keines haben. Auch diejenigen, die zwei Kinder
zur Welt bringen wollen, haben unter Umständen finanzielle
Schwierigkeiten, für den Unterhalt der Kinder zu sorgen.
Seiner Ansicht nach werde die kürzliche Ermunterung zur Geburt
eines zweiten Kindes keinen schnellen Bevölkerungszuwachs
auslösen.
Lanzhi hat einen neun Monate alten Sohn. Obwohl sie sich immer
eine Tochter gewünscht hat, will sie kein zweites Kind gebären.
Nur wenn ich in der Lotterie fünf Millionen Yuan gewinne,
sagt sie aus Spaß. Sie hat der Journalistin vorgerechnet:
Die Kosten für verschiedene medizinische Untersuchungen während
der Schwangerschaft und für die Entbindung betrügen
mehr als 10 000 Yuan. Jetzt gibt sie monatlich über 500 Yuan
aus, um Trockenmilch und andere Nahrungsmittel für ihren
Sohn zu kaufen. Hinzu kommen dann noch Kosten für die Anstellung
eines Babysitters, die bei 1200 Yuan pro Monat liegen. Dabei sind
andere notwendige Ausgaben noch nicht einmal mitgerechnet. So
erreichen die Ausgaben für ihren Sohn mehr als 2000 Yuan
pro Monat, was fast ihrem Monatsgehalt entspricht. Später
wird ihr Sohn eine noch größere finanzielle Belastung
sein, weil gute Bildung in China sehr viel Geld kostet.
Xu Anqi, Soziologin an der Akademie für Sozialwissenschaften
der Stadt Shanghai, hat einen Untersuchungsbericht erstellt. Das
Ergebnis zeigt, dass man im Bezirk Xuhui in Shanghai für
ein Kind von der Geburt bis zum Erwachsenenalter 490 000 Yuan
ausgeben muss. Dieser Bericht hat nationale Aufmerksamkeit auf
sich gezogen. Viele Eltern aus großen und mittelgroßen
Städten haben geäußert, dass das Ergebnis mit
ihren Erfahrungen übereinstimmt. Das Ergebnis einer jüngeren
Umfrage von www.sina.com.cn zeigt, dass 66,89% aller 20 000 Befragten
der Ansicht sind, dass der Grund für die Ablehnung eines
zweiten Kindes in der hohen finanziellen Belastung
liege.
Der Umfrage über den Wunsch nach einem zweiten Kind
der Ehepaare, die Einzelkinder sind entsprechend gibt es
sechs Faktoren, die das geringe Interesse an einem zweiten Kind
verursachen. Neben den hohen Kosten für den Unterhalt der
Kinder sind vor allem die starke Konkurrenz in der Gesellschaft
und der Wunsch nach einer Zwei-Personen-Familie zu erwähnen.
Zhang Jun und seine Frau sind nun schon drei Jahre verheiratet,
aber sie sind entschlossen, kein Kind zu haben. Wir haben
Schwierigkeiten, uns selbst zu ernähren. Wie können
wir für den Unterhalt eines Kindes sorgen? Nach Feierabend
genießen sie meist ihre Freizeit und kehren erst sehr spät
nach Hause zurück. Am Wochenende machen sie Ausflüge
mit Freunden und Freundinnen. Wenn wir ein oder mehr Kinder
hätten, müssten wir Abschied nehmen von unserer jetzigen
Lebensweise. Wie furchtbar das wäre!
Zhou Changhong, Professor an der Verwaltungshochschule für
Demographie Nanjing, hat in Shanghai und im Südteil der Provinz
Jiangsu eine Untersuchung durchgeführt, deren Ergebnis im
Wesentlichen dem Ergebnis der vom Kulturkanal der Webseite www.sina.com.cn
durchgeführten Umfrage entspricht. Ungefähr 40% der
befragten jungen Ehepaare wollen ein zweites Kind haben. Aber
gleichzeitig weist Professor Zhou darauf hin, dass zwar die Zahl
der Ehepaare, die unter die Ausnahmeregelungen der Ein-Kind-Politik
fallen, ständig zunimmt, dies aber nicht bedeute, dass immer
mehr Ehepaare ein zweites Kind haben werden. Den Statistiken nach
haben nur 20% bis 30% der Ehepaare, bei denen beide Partner Einzelkinder
sind, ein zweites Kind zur Welt gebracht. Entsprechend meiner
Erfahrung vermute ich, dass die Ausnahmeregelung zur Geburt eines
zweiten Kindes die jetzt praktizierte Ein-Kind-Politik nicht besonders
negativ beeinflussen wird. Je höher das Einkommen und je
besser die Bildung der Ehepartner, desto geringer die Wahrscheinlichkeit
der Geburt eines zweiten Kindes. Diese Gesetzmäßigkeit
herrscht sowohl im Inland als auch im Ausland. In dieser Hinsicht
spielt der wirtschaftliche Faktor eine immer wichtigere Rolle.
Die Ausnahmeregelungen gelten nicht in allen Teilen Chinas
Im Unterschied zu den jungen Ehepaaren wünschen sich immer
mehr reiche Leute aus der oberen Sozialschicht, dass die Geburt
eines zweiten Kindes freigegeben wird, weil sie durch den Unterhalt
der Kinder überhaupt keine finanzielle Belastung verspüren.
Auch gibt es einige Abgeordnete des Volkskongresses, die einen
Vorschlag gemacht haben, dass den Menschen mit hoher Qualifikation
und hohem akademischen Grad ein zweites Kind erlaubt wird.
Dieser Vorschlag löste eine breite Diskussion in der Gesellschaft
aus. Aber alle lokalen Behörden für Familienplanung
haben so reagiert, dass sie die Geburt eines zweiten Kindes nicht
freigeben werden. Li Yunli, Vize-Leiterin der Kommission für
Familienplanung der Stadt Beijing, erklärt deutlich, dass
ein hoher akademischer Grad keine direkte Beziehung zur Intelligenz
der Nachkommenschaft hat.
Angesichts der Tatsache, dass der Staat den Provinz- und Stadtregierungen
die Entscheidungsbefugnisse übergeben hat, erklärt die
Provinzregierung Henans (Henan ist mit 100 Millionen Einwohnern
die bevölkerungsreichste Provinz Chinas), dass sie derzeit
die Ausnahmeregelung für die Geburt eines zweiten Kindes
nicht einführen will, auch wenn die beiden Ehepartner selbst
Einzelkinder sind. Yu Xuejun, Leiter der Abteilung für Politik
und Recht der Staatlichen Kommission für Familienplanung,
sagt: Auch wenn pro Familie zwei Kinder erlaubt sind, wird
dies keine große Wirkung auf die Minderung des Drucks durch
Überalterung ausüben. Um das Überalterungsproblem
der Gesellschaft zu lösen, sollte man keinen großen
Wert auf die Abänderung der Ein-Kind-Politik legen, sondern
sich bemühen, die wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen,
das Sozialabsicherungssystem aufzubauen und es zu vervollständigen.
Kurzinfo: Ausnahmeregelungen der Ein-Kind-Politik für
die Geburt eines zweiten Kindes
Ein zweites Kind ist dann erlaubt, wenn:
1. nach der Bestimmung der Einrichtung zum medizinischen Gutachten
für kranke und behinderte Kinder auf Stadt- oder höherer
Ebene das erstgeborene Kind eine Behinderung hat und im Erwachsenenalter
nicht arbeitsfähig sein wird.
2. ein Teil des wiederverheirateten Paars ein Kind hat, während
der andere Ehepartner noch kinderlos ist.
3. vor der zweiten Ehe die beiden jeweils ein Kind haben, aber
nach dem gerichtlichen Urteil oder dem Ehescheidungsvertrag das
minderjährige Kind mit dem frühen Ehepartner lebt, so
dass der neu gegründeten Familie kein Kind zugehörig
ist.
4. das Paar von der medizinischen Einrichtung oder Einrichtung
für Gesundheitsfürsorge auf Kreis- oder höherer
Ebene als unfruchtbar diagnostiziert wurde und das Paar anschließend
entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ein Kind adoptiert
hat, die Frau aber trotzdem schwanger geworden ist.
5. beide Ehepartner Einzelkinder sind.
6. ein Eheteil seit fünf Jahren in einem risikoreichen Beruf
(z. B. im Bergbau oder im Tiefseewasser) arbeitet.
7. beide Eheteile sich als Bewohner eines Dorfes in den ländlichen
Gebieten registrieren lassen und das erste Kind ein Mädchen
ist.
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