Literatur
junger Schriftsteller
Von Yang Kuanghan
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Es war bei Einbruch der Nacht in einem Beijinger Bürogebäude,
ein Herbsttag in den frühen 1950ern. Ein 19 Jahre alter Angestellter
schloss sich selbst im kleinen, fensterlosen Raum ein, der sowohl
sein Büro als auch seine Wohnung war. Er saß am Tisch,
und begann im dämmerigen Licht etwas auf ein Blatt Papier
zu kritzeln. Dies war die Nacht, in der dieser junge Büroangestellte
heimlich mit einer Nebenbeschäftigung begann, die ihn auf
den Gipfel des chinesischen literarischen Altars bringen würde.
Es war der Schriftsteller Wang Meng. Ein Jahr später hatte
er seinen ersten Roman Qingchun Wansui (Es lebe die
Jugend) beendet. Im Zentrum steht eine Gruppe von fröhlichen,
lebhaften Abiturienten, alle auf ihre Art bewundernswert; Freude,
Frustrationen und Leiden begleiten ihr Erwachsenwerden. Der junge
Wang Meng war, wie sie, voller Träume. Als er später
gefragt wurde, warum er mit dem Schreiben anfing, sagte er: Die
Jugendlichen brauchen Erleuchtung, Zärtlichkeit, Aufmunterung
und Erbauung durch Literatur, während die Literatur der Energie,
Leidenschaft, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und dem Mut der Jugendlichen
bedarf.
Die Jugendlichen nahmen mit großem Elan an dem Aufbau der
jungen Volksrepublik China in den 1950ern teil. Die Trümmer
des Krieges bildeten die Grundlage für den groß angelegten
Aufbau. Neue Fabrikgebäude und betriebsame Baustellen waren
eine geläufige städtische Kulisse. Enthusiastische junge
Leute gingen aufs Land, um das Neuland gewaltigen Ausmaßes
zu kultivieren, wobei sie gedachten, ein Paradies der Zivilisation
zu bauen. Das Gedicht Geh zum entlegenen Ort, welches
vom jungen Journalisten Shao Yanxiang geschrieben wurde, hallte
bei Abschlussfeiern oder auf dem Campus der Universitäten
und Schulen im ganzen Land wider:
Meine Sachen packend,
werde ich bald auf meinem Weg zum entlegenen Ort sein.
Fort werden sie mich sehen, meine lieben Genossen,
wenn ich Lebewohl sage zum Tiananmen.
Zur Zeit, als er das Gedicht schrieb, war Shao Yanxiang selbst
an diesem fernen Ort, wo er Silvester am Hexi-Korridor verbrachte
und Neujahr in der Wüste Gobi entgegensah. Das Gedicht
endet mit einem ermunternden Aufruf an seine Altersgenossen und
sich selbst:
Erinnert Euch, wir werden nach unserem Schwur leben;
Niemand soll hinter die Zeit zurückfallen!
Eines Tages werden wir uns in Beijing wieder vereinigen,
Oder uns auf dieser weit entfernten Baustelle wiedersehen.
Die Neue Zeit, das Leben, das sie verspricht, und die ernsthaften
Anstrengungen, die Chinas Arbeiter auf sich nehmen, um die rückständigen
Bedingungen des Landes zu verändern, beeinflussten eine große
Anzahl junger Intellektueller wie Wang Meng und Shao Yanxiang.
Die Literaturbewegung, die sie starteten, zeigte ihren Optimismus,
ihre Aufrichtigkeit und Leidenschaft. Traurig zu sagen, dass viele
der jungen Schriftsteller der 1950er während der Kulturrevolution
(19661976) ihres Rechts zum Literaturschaffen beraubt wurden.
Bis zum Zeitpunkt, zu dem sie ihre literarische Freiheit wieder
erlangten, erreichten sie ihr mittleres Alter und hatten jugendlichen
Eifer und Energie, welchen das Literaturschaffen bedarf, bereits
subsumiert.
Nach der Kulturrevolution begann in der Literatur
des chinesischen Festlandes ein neues Zeitalter, eingeleitet von
der nachfolgenden Generation junger Schriftsteller. Die meisten
von ihnen waren so genannten gebildete Jugendliche,
deren Schulbildung durch die Kulturrevolution unterbrochen
wurde. Sie waren im Teenageralter von ihren Heimatorten in die
ländlichen und Grenzgebiete gesandt worden. Ihre Arbeiten
reflektieren die schweren Erlebnisse ihrer Jugend.
Liang Xiaosheng war unter den ersten seiner Generation, die das
leidenschaftliche Leben der jungen Menschen in einer tragischen
Zeit beschreiben. Er schuf eine Serie von Romanen, einschließlich
Dies ist ein magisches Stück Land, Es gibt
diese Nacht einen Schneesturm, Das Zeugnis der Birkenwälder
und Die verschneite Stadt. Ihre Helden sind junge
Grenzpioniere. Leidvoller Zeit zum Trotz, weigerten sie sich,
ihre Jugend zu verschenken, indem sie verzagen. Literatur dieses
Genres portraitiert die inneren Konflikte einer Generation, die
ihre Jugend ohne zu Zögern hochfliegenden Idealen opferte,
deren Verwirklichung an der grausamen Realität scheiterte.
Aber gleichzeitig ermahnt sie junge Leser, ihr Gemüt nicht
durch ihre Aufopferung zerstören zu lassen. Wie Cao Tieqiang,
Hauptperson im Roman Es gibt diese Nacht einen Schneesturm,
zu seiner Freundin Zheng Yaru sagt: Wenn du eines Tages
an dieses Jahrzehnt, welches wir in der Großen Nördlichen
Wildnis verbracht haben, zurückdenkst oder mit jemandem darüber
sprichst, beschwere dich bitte nicht, kein Fluch, kein Spott und
keine Selbstironie... Obwohl wir viel eingesetzt und verloren
haben, ist das, was wir im Gegenzug erhalten haben, viel wertvoller.
Ein anderer gebildeter Jugendlicher namens Han Shaogong
aus Hunan setzt sich in einem unkonventionellem Literaturstil
mit dem täglichen Leben der niederen Gesellschaftsschichten
auseinander. Dabei handelt es sich um Widerspiegelung der Traditionen
der volkstümlichen Kultur wie z. B. in seiner die Wurzeln
verneinenden Erzählung Heimkehr und seinen, nach
Wurzeln suchenden, Romanen Vater Vater Vater und Frau
Frau Frau. In diesen Arbeiten versucht Han, wie er selber
es ausdrückt, einige der Rätsel, die die folkloristische
Entwicklung und menschliche Existenz bestimmen, zu lösen,
indem er die großartige Kraft der modernen Ideen freigesetzt
und das urwüchsige Ich der Völker umgestaltet und wieder
erleuchtet. Nach Abschluss der Mittelschule ging Han nach
Baxidong, einer entfernten Gegend in Hunan, in der nationale Minderheiten
beheimatet sind, und lebte sieben Jahre lang mit den örtlichen
Bauern. Er hat jetzt ein Haus in Baxidong und ist in die örtliche
Gemeinschaft integriert. Er verbringt die meiste Zeit dort, um
zu leben und zu schreiben.
In China war nach der Kulturrevolution eine gesellschaftliche
Atmosphäre entstanden, in der Eingrenzungen der vorhergehenden
Zeit aufgehoben wurden. Aber die Jugend der harten Arbeit auf
dem Land, in den Fabriken, Minen und Grenzgebieten geopfert zu
haben, war nichtsdestotrotz ein bitteres Erlebnis, das bewältigt
werden musste. Das Leben auf den unteren Stufen der chinesischen
Gesellschaft ermunterte junge Schriftsteller dazu, sich mit der
Gefühlswelt und der direkten Sprache derjenigen zu identifizieren,
mit denen sie in Berührung kamen. Diese Schriftsteller beschreiben
die Furchtlosigkeit der Menschen, die es wagten, offen zu lieben
und zu hassen, und ihre Meinung ohne Umschweife auszusprechen
oder niederzuschreiben.
Eine außergewöhnliche Gruppe dieser Generation ist
die der Verfasser der Obskuren Gedichte. Literaturkritiker
betrachten sie als Vertreter der aufkommenden Neuen Ästhetik.
Shu Ting ist eine dieser Repräsentanten. Sie war in ihrem
zweiten Jahr der Mittelstufe, als die Kulturrevolution
begann. Sie musste bald darauf den Campus in Richtung ländliche
Gebiete verlassen, wo sie drei Jahre verbrachte. Während
der nächsten acht Jahre arbeitete sie in einer Fabrik, die
Glühbirnen herstellte. Sie lebte in einer Zeit, die damit
drohte, alles zu beseitigen, die aber ihr Selbstwertgefühl
und ihre humanistische Gesinnung stärkte. Im Gedicht Zur
Eiche spricht sie als ein Kapokbaum, der neben der Eiche
steht:
Seite an Seite ertragen wir Frost, Stürme und Blitz,
Gemeinsam teilen wir Schleier, Wolken und Regenbogen;
Ewig stehen wir getrennt,
Für immer hängen wir in Nähe zueinander fest.
Dies ist eine Schicksalsfügung,
Hier ist die Kraft der Festigkeit:
Liebe Nicht einfach deine körperliche Herrlichkeit,
Sondern deine Stellung und die Erde darunter.
Auf einer oberflächlichen Ebene handelt das Gedicht von
Gleichheit, Würde und ewiger Gemeinschaft von zwei Bäumen,
deren Wurzeln sich umschlingen, oder von Liebe zwischen Mann und
Frau. Aber in Wirklichkeit zelebriert die Dichterin die humanistische
Gleichheit und Würde. Obgleich das Gedicht als repräsentatives
Werk der Obskuren Gedichte betrachtet wird, ist das
Gedicht überhaupt nicht obskur. Es beschwört eine Aufrichtigkeit
und Ernsthaftigkeit, die die Dichter der neuen Generation vom
scheinheiligen und inhaltsleeren Stil der vorherigen deformierten
Literaturperiode unterscheidet; es signalisiert eine Rückkehr
zum wahren Wesen der lyrischen Dichtkunst.
Wenn die 1950er als das Jahrzehnt der ersten Welle der Jugendliteratur
betrachtet werden können und die Literaturschaffenden nach
der Kulturrevolution die zweite Welle der Jugendliteratur
begründeten, dann lösten diejenigen, die in den 1960ern
geboren wurden, die aufgeschlossenere dritte Welle in den 1980er
Jahren aus. Diese Gruppe junger Schriftsteller hat systematisch
eine höhere Bildung genossen. Einige, wie zum Beispiel Ge
Fei und Xu Kun, haben die Doktorwürde erhalten. Für
sie war die Kulturrevolution eher eine Phrase ohne
persönlichen Bezug, und auch eine schwache Andeutung der
diktatorisch vereinheitlichenden Ideologie. Die dritte Welle wuchs
in der Zeit der ökonomischen Globalisierung und kulturellen
Vielfalt auf, die ihnen die Freiheit und den Raum gab, den sie
für ihre literarische Kreativität benötigten.
Diese Schriftsteller sind nun die treibende Kraft hinter Chinas
Literaturentwicklung. Die Werke einzelner Autoren sind sofort
wieder erkennbar, weil verschiedene Stilrichtungen durch die Tugend
der Freiheit entwickelt wurden, um Literaturkonzepte zu allen
Zeiten und Kulturen aufzuwerfen. Die Werke einiger Autoren bestehen
aus der literarischen Deutung der einzigartigen chinesischen Lebensart.
Andere betrachten und bewerten die menschliche Lebensweise und
vergeistigen die Stärken der Menschheit. Einige machen Beobachtungen
über die Lebensbedingungen und die Geisteshaltung städtischer
Bewohner, während wieder andere nostalgische Gefühle
für die Abgeklärtheit und Stille des Landlebens ausdrücken.
Einige schildern die Pro und Kontras von Geschäft, Romanze
und amtlicher Verwaltung. Andere verspotten zeitgenössische
Utopien und stellen sie dar. Einige vertiefen sich
in die innerste Welt der Frauen, während andere die Realität
auf metaphysische Gedanken in einem post-modernen narrativen Stil
anpassen. Es gibt auch einige, die sich auf die Spur des historischen
Pfades und der Folklore ihrer Volksgruppe begeben, um ihre Kultur,
ihren Ethos und ihre Mentalität zu reflektieren.
Yang Kuanghan ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter des Instituts für Literatur bei der Chinesischen
Akademie der Sozialwissenschaften
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