Volkswagen konkurriert gegen Rote Fahne
              
              Von Lars Mörking 
             
             
     
              
        
          
             
             
              
              In China muss man immer eine Geschichte erzählen. 
                Die Designer von VW haben mit dem Neeza versucht, dem Rechnung 
                zu tragen. Neeza ist die geplante neue Sensation von VW, welche 
                auf der Beijinger Automesse im November des letzten Jahres präsentiert 
                wurde. Das neue Design dieses so genannten Konzeptautos war sicherlich 
                ein Blickfang der Messe. Der Name Neeza (Ne Zha) bezieht 
                sich auf eine bekannte kindliche Figur aus der chinesischen Mythologie, 
                die sich unter anderem mit Hilfe einer Art Feuerreifen fortbewegt. 
                Ob es dieses Modell zu einem fahrbaren Untersatz bis in die Massenproduktion 
                schafft oder ob es nur das Bedürfnis der ca. 600 000 in- 
                und ausländischen Messebesucher nach Mystifikation des Fortbewegungsmittels 
                PKW befriedigt, steht noch in den Sternen. Aufgrund der Verkehrslage 
                macht der Erwerb eines solchen Autos für die meisten Anwohner 
                Beijings jedenfalls keinen Sinn, denn das öffentliche Nahverkehrssystem 
                ist gut ausgebaut und jeder Ort mit Bus oder Bahn erreichbar. 
               
                
              Aber gerade in Deutschland ist man mit dem Umstand vertraut, 
                dass in das eigene Auto sehr viel mehr hineininterpretiert wird 
                als es dessen Funktion als Fortbewegungsmittel eigentlich zukommt. 
                So ist die Automobilbranche immer noch Vorzeige- und Herzstück 
                der deutschen Industrie. Und in China war es mit VW ein deutscher 
                Konzern, der in den 1980er Jahren den Grundstein für ein 
                deutsch-chinesisches Gemeinschaftsunternehmen legte und sich damit 
                für lange Jahre eine Vormachtstellung auf dem damals noch 
                sehr bescheidenen chinesischen Automarkt sicherte. Heute machen 
                chinesische PKW-Hersteller national und international erste eigenständige 
                Gehversuche. Sie werden zu ernst zu nehmenden Konkurrenten derjenigen 
                westlichen Automobilkonzerne, mit denen sie einst ein Gemeinschaftsunternehmen 
                bildeten. Doch die existieren in China weiterhin parallel  
                und produzieren ihre Autos. VW, BMW, Audi und Co. müssen 
                aber perspektivisch nicht nur um ihre Vormachtstellung auf dem 
                chinesischen Markt fürchten. Chinesische Produzenten wollen 
                global verkaufen, denn der nationale Markt ist in den letzten 
                Jahren bereits mit PKWs überflutet worden. Diese Überproduktionskrise 
                könnte zunächst zu einer typischen Marktbereinigung 
                führen, so dass die immer noch bestehenden kleinen chinesischen 
                PKW-Hersteller vom Markt gedrängt oder geschluckt werden. 
                Die Traditionsmarke Rote Fahne (Hongqi) wurde beispielsweise 
                von FAW  einem der chinesischen Partner von VW  übernommen 
                und konkurriert nun in dem Segment der Staatskarossen mit VW, 
                wobei VW erst in jüngerer Vergangenheit begonnen hat, dementsprechende 
                Fahrzeuge zu produzieren. Die nächste Runde dieses Wettbewerbs 
                wird jedoch mehr und mehr chinesische Produzenten zum globalen 
                Engagement veranlassen. Dann drängen sie auch auf den europäischen 
                und amerikanischen Markt, so wie vor Jahren bereits japanische 
                und südkoreanische Marken. Ein erster Vorbote dieses Zukunftsszenarios 
                war die Auto Beijing 2006: Bereits ein Drittel der vorgeführten 
                Modelle wurde von heimischen Automobilherstellern gebaut. 
                
              Automobilausstellung in Beijing: Models und Automobilhersteller 
                machen sich lang 
                
              Zumindest versucht der bisherige Marktführer VW in China 
                einiges  vielleicht sogar alles  Mögliche, um 
                verlorenen Boden im hiesigen PKW-Geschäft wiedergutzumachen. 
                Für die Aufmerksamkeit der Medien und der potenziellen Käufer 
                müssen sich aber nicht nur die von den Autoherstellern engagierten 
                Models lang machen und verbiegen. Das kleinste Zugeständnis 
                im gehobenen Segment sind die Stretch-Varianten bekannter Modelle 
                von Audi oder DaimlerChrysler. Zum Erfolg auf dem chinesischen 
                Markt gehört vor allem ein konkurrenzfähiges Preis-Leistungs-Verhältnis. 
                Der Verkaufspreis muss niedrig, die laufenden Kosten sollten gering 
                sein oder der Wagen muss etwas so Spezielles und Ausgefallenes 
                bieten, dass ein höherer Preis gerechtfertigt scheint und 
                somit die Gruppe von Chinesen erreicht werden kann, die es zu 
                unbescheidenem Wohlstand gebracht hat.  
                
              Vor allem beim Einbau von Autoteilen sollen zunehmend einheimische 
                Zulieferer zum Zuge kommen. Diese Entwicklung wird von der chinesischen 
                Regierung gefördert, weil damit die Hoffnung verbunden ist, 
                dass sich chinesische PKWs auf den Märkten der Welt etablieren 
                können. Ein Hoffnungsträger ist die Entwicklung eigener 
                Antriebstechniken mit umweltschonenden bzw. regenerativen Energieträgern 
                sowie herkömmlichen Kraftwagen mit vergleichsweise geringem 
                Verbrauch. Dementsprechend wurden auf der Automobilausstellung 
                in Beijing zwischen prächtigen Limousinen und Sportwagen 
                besonders sparsame Kleinwagen präsentiert. So waren die gestreckten 
                Varianten der in Europa bekannten Limousinen mit knapp unter 10 
                Litern Verbrauch (8,7 l beim Audi A6L 4,2 FSI) fast schon auffallende 
                Ausreißer in den oberen Bereich des angegebenen durchschnittlichen 
                Kraftstoffverbrauchs.  
                
              Neue Studie: Die Entwicklung der chinesischen Automobilindustrie 
                
              In diese Zeit der Umbrüche in der chinesischen Automobilindustrie 
                fällt unter anderem die Veröffentlichung einer von Wu 
                Shouxiang verfassten Studie mit dem Titel Die Entwicklung 
                der chinesischen Automobilindustrie. Mitte letzten Jahres 
                vom AEPI (Asien Europa Pazifik Institut) veröffentlicht, 
                liefert sie wertvolle Hintergrundinformationen über die Entstehungsgeschichte 
                und Struktur der chinesischen Automobilindustrie und wagt einen 
                Blick in die nahe Zukunft dieser Branche. Der Grundstein der Automobilproduktion 
                in der VR China wurde demnach mit wirtschaftlicher und technischer 
                Unterstützung der Sowjetunion 1953 mit der Gründung 
                der First Automotive Works (FAW) in der nordchinesischen 
                Stadt Changchun gelegt. Hier produzierte man zunächst Nutzfahrzeuge, 
                PKWs wurden später vor allem von der Shanghai Auto Corp. 
                gebaut. Bis in die 1960er Jahre hinein bestand eine weitgehende 
                Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Automobilherstellern. 
               
                
              Nach einigen Wendemanövern in den 1960er Jahren erfolgte 
                ab Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre die Öffnung 
                des Marktes für transnationale Automobilhersteller. Chinesische 
                Firmen erhielten die Erlaubnis, Lizenzabkommen mit ausländischen 
                Unternehmen abzuschließen. Die Stadtbilder von Beijing und 
                Shanghai veränderten sich infolge des Joint-Venture-Abkommens 
                zwischen der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) und 
                Volkswagen (VW) zur Produktion des Santanas nachhaltig. Bis in 
                die späten 1990er war dieser Fahrzeugtyp nahezu omnipräsent 
                auf den Straßen dieser beiden bedeutendsten Städte 
                Chinas; heute verschwindet der Santana nach und nach aus dem hiesigen 
                Straßenverkehr. Taxis, Streifenwagen der Polizei und andere 
                öffentliche Fahrzeuge waren fast ausschließlich diesen 
                Typs und bescherten VW fast zwei Jahrzehnte lang gesicherten Absatz. 
                
              Seit 1994 wird nun seitens der Zentralregierung versucht, die 
                chinesische Automobilindustrie neu zu ordnen. Drei Hauptziele 
                wurden dafür formuliert: Effizienzsteigerung durch Zusammenlegung 
                von Konzernen, Steigerung der Produktion sowie Förderung 
                der Forschung und Entwicklung. In der Studie des AEPI heißt 
                es dazu: Bis 2002 reduzierte sich die Zahl von 122 Herstellern 
                Mitte der 1990er Jahre auf 106. Ab dem Jahr 2000 konnte der Konzentrationsprozess 
                beschleunigt werden, so dass die sieben größten Unternehmen 
                einen Marktanteil von 75% hatten. Die letzte Stufe der Entwicklung 
                der chinesischen Automobilindustrie wurde mit dem Beitritt Chinas 
                zur WTO im Jahre 2001 gezündet. Die Senkung der Zölle 
                und Anhebung der Importquote erhöht den Konkurrenzdruck auf 
                alle bisherigen Marktteilnehmer, auch wenn noch nicht alle Streitigkeiten 
                in Bezug auf die Handhabung der neuen nach WTO-Angaben vollzogenen 
                Änderungen ausgeräumt sind. So wurde Ende Oktober 2006 
                bekannt gegeben, dass die USA, Kanada und die EU erfolgreich einen 
                Antrag auf Untersuchung der chinesischen Bestimmungen für 
                den Import von Autoteilen eingereicht haben, da China den Import 
                von Autoteilen bei der Erhebung von Zolltarifen gleich behandelt 
                wie vollständige Fahrzeuge, wenn die importierten Komponenten 
                mehr als 60% des Wertes eines vollständigen Fahrzeuges ausmachen. 
               
                
              Es dürfte den ausländischen Anbietern aus Europa und 
                den USA, die durchaus daran gewöhnt sind, an ihren Heimatstandorten 
                mit staatlichen Subventionen versorgt zu werden, schwer fallen, 
                ohne ein chinesisches Partnerunternehmen in China Fuß zu 
                fassen. Denn sowohl die preisgünstigen Kleinwagen der einheimischen 
                Anbieter als auch deren gut ausgestattete Limousinen sind bereits 
                abgestimmt auf die besonderen Wünsche der verschiedenen chinesischen 
                Käuferschichten, haben sich auf dem Markt etabliert und werden 
                in ausreichender Anzahl und allen denkbaren Varianten vor Ort 
                produziert.  
                
              Der Umweltschutz  Wettbewerbsnachteil für westliche 
                Anbieter? 
                
              Viel stärkere Kopfschmerzen dürften Automobilherstellern 
                wie Ford, General Motors oder auch DaimlerChrysler sowie VW die 
                zunehmenden Anstrengungen der chinesischen Regierung in Sachen 
                Umweltschutz bereiten. Das Problem liegt schon seit langem in 
                der Luft: Der Autoverkehr ist im Jahr 2003 auf Platz Nr. 1 der 
                größten Luftverschmutzer Chinas aufgestiegen, noch 
                vor den sonst so Emissions-freudigen Kohlekraftwerken. Mit 33 
                Millionen PKW, die sich auf chinesischen Straßen derzeit 
                bewegen, scheint das Stauende aber noch nicht in Sicht. Nun ist 
                im Oktober letzten Jahres von der zentralen Umweltschutzbehörde 
                 welche schon bald zum Umweltministerium aufgewertet werden 
                könnte  eine neue Richtlinie für PKWs bekannt 
                gegeben worden, die ab 2007 die Verringerung des Schadstoffausstoßes 
                pro Wagen um 30% vorsieht. Ab 2010 sollen weitere Maßnahmen 
                folgen. Das ist ein großes Problem für die europäische 
                Automobillobby, die sich innerhalb der EU erfolgreich gegen jedwede 
                bindende Vorgabe bezüglich ihres Fahrzeugdesigns 
                wehrt. Ein Grund dafür ist, dass sie mit den großen 
                Erdölfirmen verflochten ist und sich somit großartige 
                Anstrengungen zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs aus Eigeninteresse 
                verbieten. Während sich in der EU die Industrie gegen 
                strengere Umweltauflagen sperrt, dürfen schon jetzt etwa 
                80 Prozent der in Deutschland nach hiesigen Normen hergestellten 
                Autos in der Volksrepublik nicht mehr verkauft werden, schrieb 
                im Oktober 2006 die Tageszeitung Junge Welt. In China 
                gelten demnach bereits höhere Umweltstandards als in Europa, 
                die in zwei Schritten 2000 und 2005 eingeführt wurden. Dabei 
                reichen die Auswirkungen dieser Politik über den chinesischen 
                Markt hinaus. Nicht nur, dass Hersteller, die nach China exportieren 
                wollen, dementsprechende Modelle bzw. passende Motoren zum Teil 
                erst noch entwickeln müssen, die großen chinesischen 
                Autobauer werden auch angehalten, nur mit ihren modernsten und 
                Energie-effizientesten Produkten den Schritt auf den Weltmarkt 
                zu wagen, während kleine Firmen bereits mit ersten Angeboten 
                auf dem europäischen Markt vertreten sind. Damit werden uneinsichtige 
                Monopolunternehmen in Europa und den USA derzeit in den Entwicklungsländern, 
                später in ihren eigenen Domänen unter Druck gesetzt, 
                da die anhaltend hohen Energiekosten auch Freunde großer 
                Benzinschlucker in die Arme von Produktanbietern treiben, die 
                auf ressourcensparende Modelle setzen.  
                
              Arbeitsplätze in Gefahr? Autos für die Welt 
                aus China  
                
              Was in anderen Bereichen (Textilien, Haushaltsgeräte, Mobiltelefone, 
                Computer usw.) bereits Realität geworden ist, wird auch für 
                den Bereich der Automobilindustrie befürchtet: China wird 
                die Produktion übernehmen und in Europa werden die Fabriken 
                geschlossen. Dies ist dann durchaus wahrscheinlich, wenn die in 
                Europa produzierten Fahrzeuge nicht mehr nachgefragt werden. Die 
                im Vergleich zum Angebot schwächelnde Nachfrage hat aber 
                verschiedene Gründe: Zum einen wird schlicht und einfach 
                mit höherer Produktivität gearbeitet, weniger Arbeiter 
                werden für die steigenden Produktionskapazitäten benötigt, 
                zum anderen können sich viele lohnabhängig Beschäftigte 
                aufgrund der seit Jahren sinkenden Reallöhne selbst kein 
                Auto von VW (geschweige denn Audi) mehr leisten. Fehlende Fortschritte 
                im Bereich Kraftstoffverbrauch haben in Verbindung mit steigenden 
                Kraftstoff-Preisen zu einer Kostenexplosion für Menschen 
                geführt, die auf ihr Auto als Verkehrsmittel angewiesen sind. 
                Bisher produzieren die Fabriken in China jedoch hauptsächlich 
                für den chinesischen Markt und sorgen eher für eine 
                gesteigerte Nachfrage bei ihren Zulieferern aus Europa, Asien 
                und den USA. 
                
              Wie Henry Ford, der Gründer der Ford Motor Company, bereits 
                feststellte: Autos kaufen keine Autos. Der chinesische 
                Markt war gerade für Firmen wie VW seit langem ein wichtiger 
                Nachfrage-Garant und sorgte somit für die angestrebte Auslastung 
                der Produktionsanlagen weltweit. Doch haben die chinesischen Partner 
                von VW, Ford, GM und anderen es durchaus verstanden, durch Technologietransfer 
                ein eigenes Potential aufzubauen, um sich den heimischen Markt 
                zurückzuerobern. Bereits 27% des PKW-Absatzes in China haben 
                die einheimischen Unternehmen in der ersten Hälfte diesen 
                Jahres realisieren können. Wenn der Export chinesischer Modelle 
                nach Europa auch noch in den Kinderschuhen steckt, es wird sich 
                bald zeigen, ob die Produkte aus dem Land der gestreckten Mittelklasselimousinen 
                und sparsamen Kleinwagen auf den Fachmessen zukünftig belächelt 
                werden dürfen. Laut Wu Shouxiangs Studie gibt es zwei Argumente 
                dafür, dass China zukünftig zur Weltautofabrik werden 
                könnte: der Aufbau einer eigenen konkurrenzfähigen Automobilindustrie 
                und der Ausbau der Fertigungskapazitäten der internationalen 
                Autohersteller in China. Dafür braucht China seiner Meinung 
                nach etwa 20 Jahre. Mit dieser Einschätzung dürfte Wu 
                zu den zurückhaltenden Prognostikern gehören.  
                
                
                
               
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