Die Geschenkeindustrie
Von Yao Jian
Yuan Ping promoviert an einer US-amerikanischen Universität.
Wegen des anstrengenden Studiums ist er in drei Jahren nicht dazu
gekommen, seine Familie zu besuchen, und hat erst jetzt zum ersten
Mal vor, nach China zu reisen. Vor dem Heimflug chatete er im
Internet mit seinen Studienfreunden in seinem Heimatland. Er fragte
sie, was er als Geschenk für seine Freunde und Verwandten
kaufen sollte. Wider seiner Erwartung bekam er von allen die gleiche
Antwort: Gar nichts! Denn was man in den USA kaufen kann, kann
man in China kaufen, und zwar zu einem niedrigeren Preis.
Yuan Ping erinnert sich noch daran, dass sein Onkel, als er vor
über zehn Jahren eine Dienstreise ins Ausland machte, von
vielen gebeten wurde, dies oder das zu kaufen. Unerwartet hat
sich nun das Blatt gewendet. Chinesen sind im Allgemeinen gewillt,
Geld für die Pflege der zwischenmenschlichen Beziehungen
auszugeben. Aufgrund dieses Konsumverhaltens hat sich in den letzten
Jahren ein neuer Wirtschaftszweig herausgebildet, der über
großes Entwicklungspotential verfügt, nämlich
der Wirtschaftszweig für Geschenke. Mit der Erhöhung
der Ausgaben für die Pflege freundschaftlicher Beziehungen
erweitert sich auch der Markt für Geschenke. China ist der
größte Produktionsstandort für Geschenke. Kein
Wunder also, dass Yuan Pings Studienkollegen ihm davon abraten,
Geschenke aus den USA mitzubringen.
In Shenzhen sind gegenwärtig mehr als 1600 Fabriken zur
Produktion von Geschenken angesiedelt. Der jährliche Produktionswert
beläuft sich auf über 1,3 Mrd. Yuan. Das Exportvolumen
liegt bei einer Mrd. US-Dollar. Damit ist Shenzhen, was den Produktionsumfang
und die Produktvielfalt betrifft, der größte Produktionsstandort
für Geschenke in China. Die Produktpalette besteht aus zwölf
Kategorien: von kunstgewerblichen Metallwaren, klassischen Schreibwaren
über Hohlsaumarbeiten und Stickereien, Kristallwaren, kunstgewerblichen
Harzprodukten bis zu künstlichen Blumen und Keramikwaren.
Besonders die künstlichen Blumen, die kunstgewerblichen Harzprodukte
und die kunstgewerblichen Metallwaren sind weltweit Marktführer.
Die Weihnachtsgeschenke und die künstlichen Blumen aus Shenzhen,
die unter Anwendung moderner Elektrotechnik hergestellt werden,
haben in den USA einen Marktanteil von 75%. Jährlich wird
jeweils im Frühjahr und Herbst eine Ausstellung für
Geschenke veranstaltet, diese ist bereits zur landesweit größten
Ausstellung in diesem Wirtschaftszweig aufgestiegen.
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Hebung des Lebensstandards
der Bevölkerung entwickelt sich China auch zum größten
Markt für Geschenke in der Welt.
Das Frühlingsfest ist eine Zeit, in der Freunden und Verwandten
sehr viele Geschenke mitgebracht werden. Die bevorzugten Geschenke
sind zur Zeit teure Zigaretten, Wein und Schnaps, Stärkungsmittel
für die Gesundheit sowie ausgefallene Nahrungsmittel. Aufgrund
der Verbesserung der Lebensverhältnisse durchläuft das
Konzept vom Geschenk einen Wandel. Praktische und modische Waren
wie Digitalprodukte werden als Geschenke bevorzugt.
Vor kurzem wurde im Bezirk Chaoyang der Stadt Beijing eine Handelsmesse
abgehalten, bei der die Veranstalter elektrische Rasierapparate
und elektrische Haartrockner usw. als Werbegeschenke verteilten.
Solche Geschenke erfüllen einen praktischen Zweck und entsprechen
zugleich auch dem Zeitgeschmack. Bei Handelsveranstaltungen kleineren
Umfangs verschenken die Veranstalter oft USB, MP3, MP4, PDA (Portable
digital assistant)-Geräte und Digitalkameras. Zur Dekoration
dienende Geschenke sind heute nicht gebräuchlich. Praktische
Geschenke wie die oben genannten sind allgemein beliebt. Dadurch
erfüllen die Veranstalter eher den angestrebten PR-Zweck.
Junge Menschen, insbesondere diejenigen mit höherer Ausbildung,
bevorzugen praktische und elegante Geschenke. Ein MP3-Gerät
ist ein beliebtes und verbreitetes Geschenk. Ein Ladenbesitzer
für MP3-Geräte im Gebäude Hailong in Zhongguancun
sagt: Im Vergleich zu anderen Digitalprodukten ist der Preis
für ein multifunktionales MP3-Gerät, das auch als USB
verwendet werden kann, eher niedrig. MP3s zu hören ist bereits
zu einer Lebensgewohnheit der jungen Menschen geworden.
In seinem Laden sind einige Modelle von MP3-Playern bereits ausverkauft,
bis heute konnte er keine neue Lieferungen erhalten.
Wang Shicheng, Vizevorsitzender des Chinesischen Verbandes der
Leichtindustrie, beschäftigt sich seit längerer Zeit
mit dem Wirtschaftszweig für Geschenke. Als dieser
Wirtschaftszweig entstand, habe ich angefangen, eine entsprechende
Untersuchung durchzuführen. Auf dem Markt gewinnt dieser
Wirtschaftszweig heute immer mehr an Bedeutung und zeigt eine
breite Entwicklungsperspektive. Aus diesem Grund hat die Untersuchung
zu diesem Wirtschaftszweig um so größere Bedeutung.
Wang Shicheng meint, dass der Wirtschaftszweig für Geschenke
nicht nur im Zusammenhang mit industrieller Produktion steht,
sondern auch großen kulturellen Gehalt in sich birgt. Als
die Wirtschaft noch sehr unterentwickelt war, gab es auch schon
Geschenke, durch die der gute Wille zum Ausdruck gebracht wurde.
Aber sie waren nicht durch besondere Eigenschaften geprägt.
Im Zuge der schnellen Wirtschaftsentwicklung und Erhöhung
des Lebensstandards stellen Geschenke bereits einen Bestandteil
des erweiterten Konsums dar und sind unerlässlich für
staatliche Empfänge und dergleichen.
Dadurch ist die Zurücknahme von Geschenken ein wichtiges
Kettenglied in diesem Wirtschaftszweig geworden. Wenn man ein
hochwertiges Geschenk erhalten hat und es nicht konsumieren und
auch keinen geeigneten Platz für die Lagerung in der Wohnung
finden kann, dann muss man eine Lösung haben, gerade wenn
das Geschenk nach längerer Zeit verfaulen oder verderben
würde. Deshalb ist ein Geschäftszweig für die Zurücknahme
von Geschenken entstanden.
Zhuang Sheng betreibt in der Ganjiakou-Straße in Beijing
seit sechs Jahren einen Laden für die Zurücknahme von
Geschenken. Nach dem Neujahrsfest läuft sein Geschäft
auf Hochtouren. Auf die Frage, warum er in dieser Straße
seinen Laden betreibt, sagte er: Diejenigen, die teure Weine,
Schnäpse und Zigaretten geschenkt bekommen haben, haben eine
höhere gesellschaftliche Stellung. In der Gegend dieser Straße
gibt es recht viele Behörden und Ämter der Verwaltung.
Dadurch ist meine Bezugsquelle abgesichert.
Obwohl der Wirtschaftszweig für Geschenke in China eine
stark positive Entwicklungstendenz aufweist, bestehen in diesem
Zusammenhang auch einige Probleme. Erstens sind der Produktionsumfang
und die finanzielle Kapazität der Unternehmen ziemlich klein
und die Produkte sind von niedrigerer Güteklasse, und die
Profitrate ist niedrig. Der jährliche Umsatz der meisten
Unternehmen für Geschenke liegt bei nicht mehr als 10 Mio.
Yuan. Sie sind meistens nur für drei bis zehn Jahre im Geschäft.
Zweitens mangelt es bei manchen Unternehmen an der Entwicklungsfähigkeit
neuer Produkte und am Bewusstsein für das Patentrecht; den
Produkten mangelt es an individuellem Design. Die Beschäftigten
haben keine besondere Ausbildung, und viele Unternehmen beschäftigen
sich hauptsächlich mit Produktion und Verarbeitung und bringen
meist nur Imitate heraus, so dass sie oft in Streitigkeiten um
geistiges Eigentum verwickelt werden. Die volkstümlichen
Geschenke haben keine zeitgemäße Verpackung. Die Produkte,
die traditionelle chinesische Markennamen tragen, werden meistens
per Handarbeit hergestellt, der Herstellungsumfang und die Angebotspalette
sind dementsprechend klein. Die meisten Läden, die solche
Produkte verkaufen, betreiben nur Einzelhandel und verfügen
über kein Vertriebsnetz. Obwohl ihr Preis ziemlich niedrig
ist, können die Waren aus diesem Angebot nicht als zeitgemäßes
richtiges Geschenk betrachtet werden.
Infos über Umgang mit Geschenken für Chinesen:
Zum ersten Besuch bei jemandem sollte man ein Geschenk mitbringen.
Es ist natürlich besser, wenn man sich vorher über den
Geschmack der entsprechenden Person informiert hat. Selbst wenn
man den Geschmack nicht kennt, sollte man ein Geschenk kaufen,
denn man wird sich später nicht darüber beschweren können,
dass beim Besuch ein Geschenk gefehlt hat. Für Chinesen ist
die symbolische Bedeutung des Geschenks größer als
sein praktischer Wert.
Bei der Entgegennahme des Geschenks sagen die Chinesen in der
Regel folgende höfliche Worte, die sich von den Äußerungen
in anderen Ländern in solcher Situation unterscheiden : Das
hat Sie Geld gekostet! Das bringt mich in Verlegenheit!.
Die Chinesen machen bei der Entgegennahme des Geschenks nicht
die Verpackung auf und äußern sich daher nicht über
das Geschenk. Sie genieren sich, vor dem Besucher Kommentare über
das Geschenk abzugeben.
Wenn man sich erst gerade mit einem anderen Menschen angefreundet
hat, sollte man ihm keine teuren Sachen schenken, denn es würde
ihm schwer fallen, dies entsprechend zu erwidern. Außerdem
könnte es auch Missverständnisse in Bezug auf die Absicht
eines teuren Geschenks geben.
Den Freunden, zu denen man keine tiefen freundschaftlichen Beziehungen
hat, sollte man keine Geschenke wie Krawatten mitbringen, hinter
denen eine gewisse Anspielung auf eine mangelhafte Garderobe steckt.
In Bezug auf Geschenke gibt es in der chinesischen Kultur auch
Tabus: Den älteren Menschen sollte man keine Uhren,
Armbanduhren ausgenommen, schenken, denn Uhren schenken
und Trauerfall vorbereiten sind in der chinesischen
Sprache gleich lautend, aus dem gleichen Grund sollte man Birnen,
Regenschirme und die Zahl vier vermeiden,
weil sie jeweils Homophone von Scheidung, Trennung
und Tod sind.
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