Die Bedeutung eines Geschenks im Wandel der Zeit 
              
              Von Luo Yuanjun 
              
              
              In den letzten über 30 Jahren durchlief die chinesische 
                Gesellschaft einen Entwicklungsprozess vom Warenmangel zur wirtschaftlichen 
                Prosperität, die durch das reiche Angebot von Waren gekennzeichnet 
                ist.  
                
              In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war eine Anstecknadel 
                des Vorsitzenden Mao ein kostbares Geschenk. Damals wurde der 
                Staatsführer sehr verehrt, zu Hause hängte man ein Bild 
                von ihm an die Wand und man trug gern eine Anstecknadel von ihm. 
                Der Besitz einer Sammlung von möglichst vielen Stecknadeln 
                war beinahe gleichbedeutend mit hohem Ansehen. 
                
              Mao Zedongs Ausgewählte Werke waren damals ebenfalls 
                ein sehr begehrtes Geschenk. Als wichtigste geistige Nahrung waren 
                solche Bücher sehr beliebt. Zhang Yang, Forscher der Chinesischen 
                Akademie der Sozialwissenschaften, bewahrt ein kostbares Geschenk, 
                nämlich die englischsprachige Ausgabe der Sämtlichen 
                Werke Lu Xuns, auf. Er sagt: Ich habe mir Grundkenntnisse 
                der englischen Sprache dadurch erworben, dass ich diese Werke 
                Wort für Wort gelesen habe. 
                
              Am Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde von der 
                chinesischen Regierung die Politik der Reform und Öffnung 
                eingeführt. Das Streben nach materiellem Genuss wurde nicht 
                mehr als kapitalistischer Gedanke verurteilt. Beim Besuch von 
                Freunden und Verwandten pflegten städtische Bewohner, Milchpulver, 
                Malzmilchextrakt und Kuchen mitzubringen, und Bauern brachten 
                vor allem Getreide als Geschenk.  
                
              Wang Wu, ein alter Bauer aus dem Kreis Shimen, Provinz Hunan, 
                sagt: Damals bedeutete der Besitz von überschüssigen 
                Nahrungsmitteln für Bauern vor allem Reichtum. Zu einer Hochzeit 
                trugen die Verwandten des Ehepaars als Gratulationsgeschenk Getreide 
                auf den Schultern. Die Schenkenden wurden bei ihrer Hochzeit dann 
                wiederum mit Getreide beschenkt. Heutzutage wird dies als ein 
                sehr umständliches Verfahren angesehen. 
                
              Neben Getreide wurden auch Baumwollstoffe als Geschenk verwendet. 
                Mancherorts pflegte man, zum Anlass einer Hochzeit Verwandten 
                und Freunden Schuhe zum Geschenk zu machen. Daran lässt sich 
                erkennen, dass es sich bei derartigen Geschenken immer noch um 
                Artikel für die Sicherstellung der Versorgung mit ausreichender 
                Nahrung und Kleidung handelt. Diese Bauern wurden gerade erst 
                von der Armut befreit und hatten die Sorge um Hunger und Kälte 
                noch nicht ganz abgeschüttelt.  
                
              Ende der 80er Jahre und Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts 
                haben viele Familien allmählich den vorherigen Lebensstandard, 
                der durch eine ausreichende Versorgung mit Nahrung und Kleidung 
                gekennzeichnet war, übertroffen. Bei der Auswahl eines Geschenks 
                legte man nun Wert auf Statussymbole. So wurden Fahrräder 
                und Uhren bevorzugte Geschenke. 
                
              Zhang Peng, Doktorand für Chinesische Philologie der Universität 
                Nanjing, erinnert sich: Als ich die Oberstufe der Mittelschule 
                Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts besuchte, hat mir 
                ein Verwandter zu einem gegebenen Anlass eine Lebensmittelmarke 
                für 50 kg Nahrungsmittel geschenkt. Meiner Erinnerung nach 
                dauerte es nicht lange, bis solche Lebensmittelmarken abgeschafft 
                wurden. Später kam es immer seltener vor, dass Nahrungsmittel 
                als Geschenk verwendet wurden.  
                
              1993 erließ die chinesische Regierung eine Anordnung, die 
                bedeutete, dass Lebensmittelmarken aus dem Umlauf zurückgezogen 
                werden. Damit traten sämtliche Marken und Karten für 
                Nahrung und Kleidung, die es seit 40 Jahren gegeben hatte, von 
                der historischen Bühne ab. Das war ein Zeichen dafür, 
                dass seither in der chinesischen Gesellschaft ein reiches Angebot 
                an Nahrungsmitteln und Baumwollstoffen, die in engem Zusammenhang 
                mit dem Leben der Menschen stehen, vorhanden war und eine Rationierung 
                unnötig wurde. In den von Armut befreiten Gebieten würde 
                man sich heute dafür schämen, Nahrungsmittel als Geschenk 
                mitzubringen.  
                
              Seit dem Eintritt ins 21. Jahrhundert und mit der Wirtschaftsentwicklung 
                sowie der Erhöhung des Lebensstandards in China macht man 
                sich keine Sorge mehr um Nahrung und Kleidung, statt dessen macht 
                man sich Kopfzerbrechen über die Einhaltung von nach wissenschaftlichen 
                Methoden entwickelten Diäten zur Verbesserung der körperlichen 
                Verfassung. Von diesem Bedarf angetrieben kommen tonische Medikamente 
                und Stärkungsmittel als Geschenk allmählich in Mode. 
                Wenn man jemandem überhaupt ein Geschenk machen möchte, 
                dann sollte man ein gesundheitsförderndes auswählen. 
                Dieser Werbespruch ist sehr weit verbreitet. Von der in China 
                ausgestrahlten Fernsehwerbung macht die für tonische Medikamente 
                und Stärkungsmittel 20% aus. 
                
              Nachdem die grundlegenden materiellen Bedürfnisse befriedigt 
                worden sind, richtet man sich bei der Auswahl von Geschenken nach 
                der Mode, die vor allem durch schicke, modische und individuelle 
                Elemente gekennzeichnet ist; so sind Handys, Computer und Digitalprodukte 
                neuartige Geschenke geworden. Sun Yan arbeitet bei einem Verlag 
                in Beijing und sagt: Ich stamme aus einem Dorf im Süden 
                des Landes, in den letzten Jahren sind in den dortigen Haushalten 
                bereits alle notwendigen elektrischen Haushaltsgeräte angeschafft 
                worden. Zum kommenden Frühlingsfest besuche ich meine Familie 
                und habe vor, meinem älteren Bruder eine Digitalkamera und 
                meinem Neffen ein neues Modell eines MP3-Players zu schenken. 
               
                
              Es werden heutzutage alle denkbaren Arten von Geschenken angeboten. 
                Wenn man im Internet nach einem Geschenk sucht, dann findet man 
                eine nahezu unendliche Auflistung, in die alles Mögliche 
                aufgenommen ist. In Beijing, Shenzhen und anderen Städten 
                ist dies bereits ein gut entwickelter Wirtschaftszweig. Das große 
                Angebot an Geschenken erfreut sicherlich diejenigen, die einer 
                anderen Person etwas schenken möchten. Aber wer die Wahl 
                hat, hat die Qual. Welches Geschenk dieser Person gut gefällt, 
                darüber muss man sich dann wirklich viele Gedanken machen. 
               
                
              Sun Yan brachte seinem Freund von einer Dienstreise einige Geschenke 
                mit, die seiner Meinung nach etwas Besonderes sein sollten. Unerwartet 
                sagte ihm sein Freund, dass auch diese Geschenke die Freundschaft 
                erhalten, obwohl sie ihm nicht so besonders gut gefallen haben. 
                Zu anderen Anlässen hat Sun Yan einige lokale Spezialitäten 
                mit nach Beijing gebracht und letzten Endes festgestellt, dass 
                sie in der Stadt leicht zu bekommen sind. Seither kauft er nur 
                noch selten Geschenke an einem anderen Ort. 
                
                
                
               
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