Tibets
Kunst (1)
Die tibetische Kunst ist zunächst in sakrale und Volkskunst
zu unterscheiden. Natürlich sind auch weitergehende detaillierte
Unterteilungen möglich. Die beiden Hauptkategorien der tibetischen
Kunst haben ihren eigenen Stil und ihre eigenen Charakterzüge.
Sie sind Ergebnisse eines langjährigen Austausches zwischen
tibetischer Kunst und der Kunst der umliegenden Regionen. Viele
Errungenschaften der Volkskunst haben ihren Niederschlag in der
tibetischen Sakralkunst gefunden.
Die tibetische Kunst wird in Tibetische Kunst ausführlich
dargestellt. Im Folgenden werden unter dem Gesichtspunkt des Tourismus
einige Aspekte aus den Bereichen bildende Kunst, Architektur,
Tanz und Theater, Darbietungskunst und architektonische Kunst
erläutert.
Die bildende Kunst
Wandmalerei und Tangkas
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Die tibetischen Wandmalereien und Tangkas sind überall auf
der Welt hochgeschätzt. Bei diesen Kunstwerken kommt es auf
die Reinheit der Farbgebung und auf die Anordnung der Muster an.
Die wiederholte Verwendung der Grundfarben Gelb, Blau, Rot und
Grün verleiht den Kunstwerken ein symbolhaftes, tiefgründiges,
dekoratives und spezifisch tibetisches Aussehen. In der Geschichte
deckten die Kunstwerke ein breites Spektrum von Motiven ab, dabei
handelt es sich häufig um buddhistische Sagen, Überlieferungen,
Geschichten, göttliche Verwandlungen, Darstellung vom Bau
großer Klöster sowie um den intensiven Verkehr Tibets
mit dem Landesinneren. Außerdem sind auf diesen Kunstwerken
Szenen von der Jagd und vom landwirtschaftlichen Anbau zu sehen.
Bildnisse von hochgebildeten buddhistischen Mönchen, Lebenden
Buddhas und Kaisern der Ming- und Qing-Dynastie sind ebenfalls
häufig zu betrachten. An den tibetischen Wandmalereien und
Tangkas lässt sich nicht nur die übersinnliche mysteriöse
Welt, sondern auch das reale Alltagsleben studieren. "Tangka"
ist ein lautmalendes Wort; es bezeichnet auf bunten Seidenstoffen
geklebte Rollbilder. Sie sind für Tibet charakteristisch.
Sie sind meist länglich und haben kein festgelegtes Format.
Die gedachte Mitte eines Bildes wird zunächst auf einen weißen
Stoff gemalt, dieser wird dann in einen Rahmen gespannt und mit
Klebstoff bestrichen. Auf den so bearbeiteten Stoff werden Linien
gezeichnet und Farben aufgetragen. Wenn die Bildmitte fertig ist,
wird sie in bunter Seide gefasst. Auch die Rückseite wird
mit einem Seidenstoff versehen. Die Vorderseite erhält zwei
gelbe dünne Seidenschleier sowie zwei Seidenbänder.
Oben und unten gibt es je eine Bildrolle aus Ebenholz. Nach Material
und Fertigungsverfahren unterscheidet man mit Seide gewebte und
gedruckte Tangkas. Als besonders wertvoll gelten gestrickte, aus
Seide gewebte, mit buntem Stoff beklebte und Perlentangkas.
Plastik
Bei der tibetischen Plastik handelt es sich um Skulpturen aus
Stein, Holz, Ton oder Metall. Die frühsten Steinskulpturen
stammen aus der Tubo-Dynastie, wie z. B. die Steinlöwen vor
dem Grab des Königs in Qoingyi, oder die Löwen- und
Elefantenfiguren aus weißem Mamor im Samye-Kloster. Es gibt
auch viele Tonfiguren zu sakralen Zwecken, sie sind in der Regel
ziemlich klein, zeigen aber nicht selten hohes künsterlisches
Niveau. Holz- und Metallskulpturen sind häufig in Tempeln
und Klöstern konzentriert. Die großen Meisterwerke
der Plastik stehen im Potala-Palast und im Jokhang-Kloster. Besonders
zu erwähnen sind die Metallskulpturen. Ihre Anfertigung ist
außerordentlich kompliziert; ihre künstlerische Meisterschaft
löst Bewunderung aus. Die erstaunliche Kunstfertigkeit der
tibetischen Künstler zeigt sich auch bei den von ihnen gefertigten
Masken. Es gibt Masken aus Holz, Kupfer und Ton.
Blumen aus Butter
Eine einzigartige künstlerische Leistung der Tibeter sind
die bunten Figuren aus Butter. Die Butter wird mit verschiedenen
mineralischen Farben gemischt und dann zu Figuren geformt. Es
gibt Plastiken von Buddhas, Menschen, Blumen, Pflanzen, Tieren
und Pagoden. Da die Butterfiguren nicht hitzeresistent sind, werden
sie nur im Winter angefertigt und ausgestellt. Die größte
Ausstellung dieser Kunstwerke findet am Abend des 15. Tages des
ersten Monats nach dem tibetischen Kalender vor dem Jokhang-Kloster
in Lhasa statt.
Felsenmalereien
Bisher sind zahlreiche Felsenmalereien in den Kreisen Rutog und
Gegyai im Bezirk Ngari, im Kreis Nyima im Bezirk Nagqu und im
Kreis Baxoi im Bezirk Qamdo sowie am Namco-See entdeckt worden.
Allein im Kreis Rutog sind Malereien an über zehn Felsengruppen
zu sehen. Die Felsenmalereien zeichnen sich durch motivische Vielfalt
aus, die sich auf Produktionstätigkeit, Leben, Jagd, Weiden,
Kampf, religiöse Opferung, Umsiedlungen von Stämmen
und Tanzdarbietungen bezieht. Diese Felsenmalereien bieten reales
und zuverlässiges Quellenmaterial für die Erforschung
der Geschichte Tibets. Sie wurden durch Eingravieren, Einritzen,
Einreiben und Malen gefertigt; dabei wurden rote Mineralien als
Farbe verwendet. Am Berg Rongma im Norden des Kreises Nyima sind
viele Felsenmalereien aus vorgeschichtlicher Zeit erhalten. Sehr
bekannt sind die Felsenmalereien am Berg Gyiling. Die Felsenmalereien
im Kreis Baxoi sind die ältesten. Die schlichten Zeichnungen
zeigen oft detailgetreue Szenen aus dem Jagd- und Kampfleben früherer
Stämme. Vermutlich sind diese Felsenmalereien auf das 2.
Jahrhundert zu datieren.
"Wind-Pferd-Banner" (Gebetsbanner)
In Tibet sieht man oft Gebetsbanner, die mit einer Schnur an
eine hohe Stange, an einen Dachfirst, an Türrahmen und an
Torbögen geknüpft sind. Auf Bergpässen und Hängen
sieht man auch oft vom Wind dorthin gewehte Papierfetzen. Solche
Banner und Papierfetzen werden auf Tibetisch "longma"
genannt, "long" bedeutet "Wind", und "ma"
"Pferd". In wörtlicher Übersetzung bedeutet
"longma" also "Windpferd". Im übertragenen
Sinne aber auch "Reichtumspferd", "Sutrabanner"
oder "Gebetsbanner". Solche Banner werden aus Stoff
oder Papier, in seltenen Fällen aber auch aus Hanf oder Seide
gemacht. An einer Schnur werden sie in die Höhe gezogen und
flattern geräuschvoll im Wind, der sie irgendwann in Fetzen
reißt und diese überallhin weht. Die "Wind-Pferd-Banner"
haben längliche Formen und unterschiedliche Formate. Charakteristischerweise
befindet sich in der Bannermitte das Bild eines kostbaren Pferdes,
das Flammen trägt. An den Bildecken sind Vögel mit goldenen
Flügeln, Drachen, Tiger und Löwen dargestellt. Zwischen
den Tierfiguren stehen Gebete und Wünsche. Auf manchen "Wind-Pferd-Bannern"
sind auch Bilder von Buddhafiguren und buddhistischen Kostbarkeiten
aufgedruckt. Die "Wind-Pferde" werden meistens im Blockdruck
hergestellt. Diese Sitte rührt von Opferungszeremonien aus
alter Zeit her. Nach der Lehre der Bon-Religion kann der Wind
oben das Gebiet der himmlischen Gottheiten und unten die Götter
von Wasser und Erde erreichen. Deshalb kann der Wind als Medium
zwischen den Menschen und den Göttern vermitteln. Nach einer
langen geschichtlichen Entwicklung werden heute die Wind-Pferd-Banner
überall im Volk gebraucht.
Grotten
In Tibet gibt es viele Grotten. Zu den wichtigsten gehören
die bis vor wenigen Jahren noch wenig bekannten Grotten Donggar
und Piyang und Chalha Lupo im Yaowang-Berg in Lhasa. Die Grotten
Donggar und Piyang sind die größten bisher entdeckten
buddhistischen Grotten in Tibet. Darin sind viele wertvolle Wandmalereien
zu sehen, die eine Lücke bei der Erforschung der Grottenkunst
im Altertum Chinas schließen. Donggar ist ein kleines Dorf
im Kreis Zada. Die wertvollen Wandmalereien sind hauptsächlich
in drei Grotten am Hang des Berges konzentriert. Die Grotte Piyang
liegt unweit von den Grotten Donggar. Wenn man die Wandmalereien
in der Grotte betrachtet, sieht man Figuren von Tieren, Menschen
und Pflanzen, deren elegante Linienführung und prächtige
Farbgebung zu bewundern sind. Mineralien sind da die Grundfarbstoffe.
Es sind Figuren von Buddhas, verschiedenen weiblichen Gottheiten,
Schutzgottheiten, kraftvollen Menschen, Figuren aus buddhistischen
Legenden sowie verschiedene dekorative Muster zu betrachten. Man
erkennt auch zahlreiche Tiermotive, wie z. B. zwei einander verschlingende
Drachen oder zwei sich gegenüber stehende Phönixe. Besonders
zu erwähnen ist die fliegende Gottheit in verschiedenen Variationen,
ihre Gestaltung wirkt besonders lebendig. Diese Grotten sind eine
künstlerische Seltenheit in Tibet und deshalb besonders wertvoll.
Die Experten haben festgestellt, dass die Wandmalereien in dieser
Grotte etwa 1000 Jahre alt sind. Sie sind wertvoll für archäologische
Forschungen wie für die Erforschung der Geschichte der Guge-Dynastie.
Chalha Lupo ist ein kleiner grottenförmiger Tempel. Er wurde
in der Tang-Dynastie, und zwar in der Zeit Songtsan Gampos ausgehoben.
Diese Grotte ist nur knapp 3 m hoch und weniger als 5 m breit.
In die Wände sind 69 Figuren gemeißelt. Unter diesen
Figuren sind die von Songtsan Gampo, Prinzessin Wencheng, Prinzessin
Chizun und Gar Tongtsan und Thonmi Sambhota am Felsen auf der
nörlichen Seite, am Sutrawandelgang, besonders beeindruckend.
Sie sind zwar nur gut 60 cm hoch, aber es sind originale Kunstwerke
aus dem 7. Jahrhundert und deshalb von großer kunsthistorischer
Bedeutung. Sie repräsentieren eine Epoche der bildenden Kunst
in Tibet und tragen wesentlich zur Gesamtübersicht über
die Grottenkunst im Altertum Chinas bei.
Felsenskulpturen
In Tibet gibt es zahlreiche Felsenskulpturen, die bekanntesten
sind auf dem Berg Yaowang in Lhasa zu finden. Dort sind die Skulpturen
vor allem an den Felsenwänden am südlichen Berghang
verteilt. Der Felsen, aus dem eine große Anzahl dicht aneinander
stehender Buddhafiguren gehauen wurde, nennt man den "Felsen
der tausend Buddhafiguren". Auch heute noch werden immer
wieder neue Figuren in die Felsenwände gemeißelt. Die
ältesten Skulpturen an diesem Felsen lassen sich auf das
7. Jahrhundert datieren. Es handelt sich hauptsächlich um
Buddhafiguren, Schutzgottheiten, aber auch Menschenfiguren. Sie
haben hohen historischen und künstlerischen Wert. Die Skulpturen
am Felsen Renda im Kreis Chagyab im Bezirk Quamdo sind ebenfalls
bekannt. Durch Untersuchungen ist festgestellt worden, dass sie
vor 1100 Jahren geschaffen wurden und die ältesten, besterhaltenen
Felsenskulpturen aus der Zeit der Tubo-Dynastie sind.
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