Buchbesprechung: Tibetische Literatur

Von Shu Ping

Tibetische Literatur ist ein Titel aus der Sachbuchreihe: Tatsachen über Tibet. Das Buch hat vier Hauptkapitel: „Lyrik“, „Romane und Erzählungen“, „Tibetische Opern und Prosa“ und „Andere literarische Texte“. Die Autoren haben die tibetischen literarischen Schätze der wichtigen poetischen Gattungen am Beispiel zahlreicher repräsentativer Werke umfassend präsentiert.

Bereits im Vorwort führen die Autoren die Merkmale der historischen Entwicklung der tibetischen Literatur an. In Anlehnung an die Widerspiegelungstheorie wird hervorgehoben, dass eines der wichtigsten Merkmale der tibetischen Literatur ihre „Deutliche Ausprägung der verschiedenen Epochen“ ist. Denn laut Autoren gewähren die überlieferten literarischen Werke Tibets „aufschlussreiche Einblicke in die lange tibetische Geschichte und spiegeln das Leben verschiedener Epochen wider“. Das trifft sowohl auf die volkstümliche Literatur als auch auf die von namhaften Autoren geschaffene Literatur zu. Die anderen Merkmale beziehen sich auf die „Parallele Entwicklung und wechselseitige Beeinflussung von volkstümlicher und von Autoren geschaffener Literatur“, „Literarische Werke als Einheit von Literatur, Geschichte und Philosophie“ und „Engen Zusammenhang von Literatur und Religion“ sowie die „Bereicherung der literarischen Entwicklung durch Übernahme von anderen literarischen Elementen und den Austausch mit anderen ethnischen Gruppen der Welt“. Jedoch beschränken die Autoren ihre Darstellung nicht nur auf die historische Entwicklung der tibetischen Literatur; die wichtigen Werke der Gegenwartsliteratur werden ebenfalls ausführlich vorgestellt. Auch die Textinterpretation zeichnet sich durch ihren Methodenpluralrismus aus, durch den verschiedene Texte analysiert werden.

Zur ältesten aufgezeichneten Lyrik rechnen die Autoren Sibas Lieder über das Rinderschlachten und Sibas Lieder über die Erschaffung der Welt. Durch die Darstellung in Auszügen erkennen wir, dass sich die Tibeter im Altertum in literarischer Form mit den Fragen über die Entstehung von Himmel und Erde, von Bergen und Flüssen und über die Entstehung aller Wesenheiten überhaupt auseinandersetzten.

In der Versdichtung kennzeichnet das jahrtausendalte Heldenepos König Gesar den Höhepunkt. Laut Autoren ist es mit mehr als eine Mio. Zeilen „das längste Epos der Welt“ und „zählt zur Weltliteratur“. Ausführlich werden seine Entstehung und Bedeutung, Haupthandlung, Sammlung, Bearbeitung und Erforschung, Überlieferung durch Volkskünstler sowie Wirkungen im Ausland dargestellt. In der groß angelegten Interpretation gehen die Autoren noch auf die Form- und Reimlehre ein und weisen darauf hin, dass auch die im Epos verwendeten Formen und Reime „für die tibetische Dichtung eine weit reichende Bedeutung haben“.

Im Vergleich zur Versdichtung sind Romane relativ spät – erst im 18. Jahrhundert – entstanden und mit den Romanen Xunnu Darmai und Chenwan Dawa wurden erstmals rein belletristische Werke in der tibetischen Literatur geschaffen. Das hat epochale Bedeutung. Dazu hat die Entwicklung von anderen literarischen Genres wie Volksliedern, volkstümlichen Erzählungen, biographischen Erzählungen und Opern im Wesentlichen beigetragen. Bei der Darstellung der Romane und Erzählungen liegt der Schwerpunkt auf der Gegenwartsliteratur, die seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts einen großen Aufschwung genommen hat. Eine Reihe jüngerer Schriftsteller tritt hervor, sucht nach einem neuen Weg des Erzählens und baut Elemente der Moderne in ihre Werke ein. Zhaxi Dawa kann beispielsweise als einer ihrer Vertreter angesehen werden. In seiner Kurzgeschichte Tibet: die an einen Lederriemen geknüpfte Seele ist z. B. der tradierte zeitliche Rahmen des Erzählens gesprengt, groteste Szenen treten ein. Aufgrund einer Textinterpretation wird festgestellt, dass es in dieser Kurzgeschichte darum geht, dass aus der Perspektive der Zukunft die Gegenwart als Vergangenheit geschildert wird. Durch die Auswahl dieser originellen Perspektive wird der Leser stark zum Nachdenken angeregt. Dieses und viele andere Werke der tibetischen Gegenwartsliteratur wurden bereits in verschiedene Sprachen übersetzt.

Die tibetischen Opern haben eine lange Tradition. Ihr Ursprung liegt bei der Einweihung des Samye-Klosters im ausgehenden 8. Jahrhundert. Die überlieferten „acht großen tibetischen Opern“ beruhen stofflich auf volkstümlichen Erzählungen, Sagen, der buddhistischen Lehre und dem Alltagsleben und werden in bearbeiteter und erneuerter Form heute noch aufgeführt. Nach der demokratischen Reform 1959 wurde eine Reihe von modernen tibetischen Opern geschaffen, für die zahlreiche Ereignisse jüngeren Datums Stoffe liefern. Die neuen tibetischen Opern erfreuen sich ebenfalls einer großen Beliebtheit, so dass sich traditionelle und neue tibetische Opern nebeneinander entwickeln.

Das vorliegende Buch kann dem Leser einen guten Überblick über die Tibetische Literatur verschaffen, regt das Interesse an ihr an und ermöglicht eine Annäherung. In dieser Hinsicht ist das Buch vollkommen gelungen.

Wu Wei und Geng Yufang: Tibetische Literatur, China Intercontinental Press 2005, 186 Seiten. ISBN – 5085–0746–0/I.57


 
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