Der Mann, der am Guten im Menschen zweifelte

Über den Philosophen Xun Kuang

Von Hou Jueliang

„Wer keinen hohen Berg erklimmt, kennt die Höhe des Himmels nicht; wer keinen tiefen Fluss beobachtet, kann sich nicht vorstellen, wie dick die Erde ist.“

Diese Worte, die in China allgemein bekannt sind, stammen vom Philosophen Xun Kuang (etwa 313 bis 238 v. Chr.), der gegen den Aberglauben kämpfte. Als Anhänger des Konfuzianismus verließ er in der Jugend seine Heimat, das Fürstentum Yue (heute in der Provinz Shanxi), und studierte im Fürstentum Qi (im Nordteil der heutigen Provinz Shandong), wo er Kontakte mit Philosophen verschiedener Schulen anknüpfte. Später befasste er sich mit der Politik. Bevor er im Fürstentum Chu ein Amt bis zu seinem Tod bekleidete, versuchte er, im Fürstentum Qin (im Westen des heutigen China) Karriere zu machen. Sein Leben lang strebte er danach, durch den Konfuzianismus den Kriegswirren Ende zu setzen und China zu vereinigen.

Xun Kuang, auch als Xun Zi bekannt, gelang es, eine systematische und inhaltsreiche philosophische Lehre zu schaffen, indem er das Gedankengut der Vorfahren kritisch aufgriff, wobei er weder blindes Vertrauen in sie setzte, noch ihre Erfolge geringschätzte. Typisch für ihn ist, dass er seine Thesen mit Gleichnissen lebendig darlegte. Leider sind viele seiner Werke verloren gegangen, der Nachwelt nur 32 Artikel überliefert. Die Wichtigsten:

„Ansporn zum Lernen“: In dieser Schrift wird der moralischen Erziehung und dem Einfluss des Milieus auf den Menschen große Bedeutung beigemessen.

„Über den Himmel“: Das ist die erste philosophische Abhandlung über die Beziehungen zwischen Menschen und Himmel im Altertum. „Der Himmelsköper bewegt sich nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten“, schrieb Xun Kuang. „Der Himmel verzichtet nicht auf den Winter, obwohl der Mensch über Kälte klagt. Die Erde verringert nicht ihren Umfang, obwohl der Mensch die weite Ausdehnung verabscheut.“ Aufgrund sorgfältiger astronomischer Beobachtungen wies er darauf hin, dass Phänomene am und unter dem Himmel Ergebnisse der Veränderung der Natur und keine glücklichen oder unglücklichen Vorzeichen seien. Durch die wissenschaftliche Analyse von Naturerscheinungen kam Xun Kuang zur Schlussfolgerung: „Der Mensch soll lieber den Himmel bezwingen, als sich ihm und seinem Schicksal zu überlassen. Statt ihm Ehrfurcht zu bezeugen, sollte der Mensch lieber seine Gesetzmäßigkeiten erkennen, lieber die verschiedensten klimatischen Bedingungen nutzen, als untätig auf gutes Wetter zu warten, lieber mit Weisheit das Saatgut veredeln, als die Pflanzen natürlich wachsen zu lassen, lieber alle Dinge in der Natur regulieren und ihre Funktionen zur Geltung bringen, als davon träumen, Vorteile daraus zu ziehen, und lieber das Wachstum aller Pflanzen nach deren Gesetzmäßigkeiten fördern, als nur leere Phrasen über deren Erforschung zu dreschen.“ Kurz: Xun Kuang war der Meinung, der Mensch sei stärker als der Himmel.

„Der Mensch hat von Natur aus einen schlechten Charakter.“ Diese These von Xun Kuang steht im Gegensatz zu der von Menzius. Dieser meinte, der Charakter des Menschen sei von Natur aus gut. Jeder Mensch habe Mitleid mit den anderen und ein gutes Gewissen. Humanität, Gerechtigkeit, Ethik und Weisheit seien angeboren. Der schlechte Charakter des Menschen entstünde aus dem Mangel an Intelligenz und Vernunft, die nach der Geburt unter dem Einfluss des Milieus verloren gegangen wären.

Im Gegensatz zu Menzius meinte Xun Kuang, der gute Charakter des Menschen sei erworben. Der Mensch habe deshalb einen guten Charakter, weil das Milieu, in dem er lebt, ihm eine Umerziehung angedeihen lasse und den schlechten Charakter verdränge. „Der hungrige Mensch sehnt sich danach, satt zu essen; der unter Kälte Leidende verlangt, sich warm anzuziehen; der Schlafbedürftige hat Sehnsucht danach, sich auszuruhen. Dies sind das menschliche Empfinden und die menschliche Natur“, schrieb Xun Kuang weiter. „Der Mensch hat Augen, um nach schönen Frauen zu jagen, hat Ohren, um Schmeicheleien zu hören, hat einen Mund, um schmackhafte Speisen zu genießen, hat ein Herz, um nur auf die eigenen Vorteile bedacht zu sein, und hat Knochen und Muskeln, um sich körperlich wohl zu fühlen. Alle diese schlechten Eigenschaften ergeben sich aus der menschlichen Natur und dem menschlichen Empfinden.“

Der schlechte Charakter des Menschen sei gefährlich, meinte Xun Kuang, man müsse ihn überwinden. Das Verhalten des Menschen müsse durch Gerechtigkeit, Ethik und Gesetz in Schranken gehalten werden, um ihn dazu zu bringen, sich vom Bösen zum Guten zu wenden und seine Begierden zu zügeln. Dies sei der Weg, Kriege und Unruhen zu vermeiden.

„Die Überwindung der Einseitigkeit“: Der gefährlichste Fehler in der Erkenntnis sei, meinte Xun Kuang, die Einseitigkeit. Dafür gebe es verschiedene Gründe: Vorurteile, eigenes Gutdünken, Mangel an Kenntnissen oder Beschränktheit von Zeit und Raum. Xun Kuang betonte, dass die Einseitigkeit auch zur falschen Politik führe. Beispiel: Die tyrannischen Herrscher begünstigten korrupte Beamte und vertrauten ihnen, während sie sich von fähigen Beamten abwandten, was zu Folge habe, dass sie sich selbst den Untergang bereiteten. Im Gegensatz zu ihnen beförderten die weisen Herrscher fähige Leute und zögen aus den Fehlern der tyrannischen Herrscher Lehren. Unter ihrer Führung herrsche Ordnung im Land, und sie würden vom Volk unterstützt.

Der Kernpunkt der Philosophie Xun Kuangs ist es, von allen Seiten her Probleme zu erforschen und zu lösen sowie eine Einheit von Erkenntnis und Handeln zu bilden. Er trat gegen den Utilitarismus, die Enthaltsamkeit, die Theorie von der Allmacht von Gesetzen und die Geringschätzung der moralischen Erziehung auf.

Xun Kuang befürwortete die Einheit von Wort und Tat; Phrasen waren ihm verhasst. „Etwas zu hören ist besser als die Ohren zu verschließen. Etwas mit eigenen Augen zu sehen, ist besser als vom Hörensagen zu wissen. Einer Sache auf den Grund zu gehen, ist besser als sie nur oberflächlich zu wissen. Etwas in die Tat umzusetzen, ist besser, als nur zur Kenntnis zu nehmen. Das Ziel des Lernens ist Handeln.“, schrieb Xun Kuang. „Wer beredt ist und sich zugleich mächtig ins Zeug legt, gehört zur Elite des Staates. Wer zwar nicht beredt ist, aber hart arbeitet, kann doch Beiträge zum Staat leisten. Wer eine große Rednerbegabung besitzt, aber schwach im Handeln ist, ist dem Staat doch nützlich. Wer honigsüße Worte macht, aber voller Bosheit steckt, ist ein Dämon des Staates. Der Herrscher soll die Elite respektieren, die Leute, die Beiträge zum Staat leisten, beachten, den Nützlichen es ermöglichen, ihre Begabung zur Geltung zu bringen und die Dämonen des Staates beseitigen.“

Aus China im Aufbau, Nr. 4, 1987

 
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