Ein Meilenstein für die chinesische Gewerkschaft: Erste
Betriebsgewerkschaft bei Wal-Mart gegründet
Von Lars Mörking
Der US-amerikanische Discounter Wal-Mart geriet in den letzten
Wochen und Monaten immer wieder in die Schlagzeilen. Die Konzernleitung
hatte überraschend den Rückzug aus den Märkten
Deutschlands und Südkoreas angekündigt, unter anderem
um die eigene Präsenz in der VR China auszuweiten. Auch die
jüngsten Meldungen kommen aus China, sie dürften das
bekannte Unternehmen allerdings wenig freuen: Bei der Jinjiang-Filiale
der Stadt Quanzhou in der Provinz Fujian wurde am 29. Juli 2006
in einer Versammlung von 25 Wal-Mart-Beschäftigten ein siebenköpfiges
Gewerkschaftskomitee gewählt. Bereits eine Woche später
konnte der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund die Gründung
einer zweiten Basisorganisation in einer Filiale in Shenzhen vermelden
und inzwischen hat die Geschäftsleitung sogar verlauten lassen,
dass bis zum Ende diesen Jahres alle Wal-Mart-Filialen in China
Gewerkschaftskomitees gründen sollen.
Es waren nicht die ersten Versuche, Wal-Mart-Filialen gewerkschaftlich
zu organisieren, Gewerkschaften in Kanada, den USA und auch in
Deutschland haben derartige Versuche immer wieder unternommen.
Aber hier könnte es sich tatsächlich um die erste dauerhaft
erfolgreiche Umsetzung eines Versuches zur Gründung einer
Betriebsgewerkschaft handeln. Seit Jahren sind die Bemühungen
von Gewerkschaftern immer wieder am massiven Widerstand des Einzelhandelsunternehmens
gescheitert. Der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund selbst bemühte
sich seit über zwei Jahren verstärkt um die Organisierung
der Wal-Mart-Beschäftigten und hatte zu diesem Zweck sogar
mehrere Aufrufe durch die Medien verbreiten lassen. Jetzt ist
der erste offizielle Erfolg dieser Bemühungen zu verzeichnen.
Der neue Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees, Ke Yunlong (29),
arbeitet in der Fleischabteilung bei Wal-Mart und äußerte
gegenüber der chinesischen Tageszeitung China Daily: Neben
der Aufregung spüre ich vor allem die Verantwortung. Von
der Gewerkschaft wird erwartet, dass sie die Interessen und Rechte
der Beschäftigten schützt. Liu Jiade (35) ist
ein weiteres Gründungsmitglied und hat ganz konkrete Anforderungen
an die künftige Gewerkschaftsarbeit: Bevor ich zu Wal-Mart
kam, arbeitete ich in einem anderen Kaufhaus, welches mir mein
Gehalt vorenthielt und mich nicht bezahlte, als ich kündigte.
Von da an erkannte ich, dass die Stimme eines einzelnen Beschäftigten
nicht laut genug ist. Wir sind auf die Gewerkschaft angewiesen.
Früher Gewerkschaftsfreie Zone: Das größte
Unternehmen der Welt
Wal-Mart ist mit einem Jahresumsatz von 312 Mrd. US-Dollar im
Jahr 2005 das größte Unternehmen der Welt. Es hat weltweit
ca. 6 600 Filialen und 1,8 Millionen Beschäftigte, davon
sind allein 1,3 Millionen Menschen in den USA beschäftigt.
Der Einfluss von Wal-Mart in China erstreckt sich vor allem auf
ein weitgespanntes Netz von Zulieferfirmen. 40 000 der insgesamt
60 000 für den Discounter produzierenden Fabriken befinden
sich in China. Da der Discounter riesige Mengen bei seinen Zulieferern
einkauft, sind diese entsprechend von dessen Großaufträgen
abhängig. Der Preisdruck, den Wal-Mart dabei ausübt,
ist enorm, denn für dieses Unternehmen zählt nur ein
konkurrenzlos niedriger Einkaufspreis. Aus den Reihen des Gesamtchinesischen
Gewerkschaftsbundes war des öfteren zu vernehmen, dass sich
der von Wal-Mart ausgeübte Druck negativ auf die Beschäftigten
der Zulieferfirmen auswirkt; niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten
sind die Folge.
Anfang der 90er Jahre warb Wal-Mart noch mit Slogans wie Buy
American, nun sind dessen Einkäufe für 10% der
gesamten chinesischen Exporte in die USA verantwortlich! Aber
nicht nur als Einkäufer ist Wal-Mart in China aktiv. Seit
1996 werden jedes Jahr mehrere Niederlassungen in der VR China
eröffnet, Ende 2005 gab es hier bereits 60 Filialen des Discounters
in 30 Städten mit ca. 23 000 Beschäftigten, im Jahr
2006 sollen noch einmal 18 neue Filialen hinzukommen. Damit ist
Wal-Mart bereits der zweitgrößte ausländische
Einzelhändler in China, gleich nach dem französischen
Unternehmen Carrefour.
Gesamtchinesischer Gewerkschaftsbund: Der größte
Interessenvertreter der Welt
Anfang Juli diesen Jahres kündigte der Vorsitzende des Gesamtchinesischen
Gewerkschaftsbundes, Wang Zhaoguo, einen Vorschlag zur Konkretisierung
des Gewerkschaftsgesetzes an, mit dem Unternehmen wie Wal-Mart
dazu gebracht werden sollen, Betriebsgewerkschaften zuzulassen.
Bisher hatte sich Wal-Mart darauf berufen, dass die Beschäftigten
jederzeit eine Gewerkschaft gründen können, sofern sie
denn genügend Unterstützer innerhalb einer Filiale finden.
Nach dem chinesischen Gewerkschaftsgesetz ist die Gründung
einer Betriebsorganisation erforderlich, wenn es 25 oder mehr
Gewerkschaftsmitglieder in einem Unternehmen gibt. Allerdings
hatten die Wal-Mart-Beschäftigten immer wieder vor einer
Gewerkschaftsgründung zurückgeschreckt, da Wal-Mart
in anderen Ländern ganze Abteilungen oder sogar eine gesamte
Niederlassung dicht machte, als sich dort Gewerkschaftsorganisationen
gebildet hatten. Mit den Gewerkschaften hat Wal-Mart in China
allerdings schwergewichtige Kontrahenten bekommen. Mit 150 Mio.
Mitgliedern ist der Dachverband der chinesischen Gewerkschaften
der größte Gewerkschaftsverband der Welt, der zudem
von der chinesischen Regierung unterstützt wird. Ein Hauptproblem
ist für den Gesamtchinesischen Gewerkschaftsbund jedoch die
Gründung von Grundorganisationen in den über 150 000
ausländischen Betrieben, die auf dem chinesischen Festland
aktiv sind. Nur etwa 26% von ihnen haben eine Betriebsgewerkschaft
gegründet bzw. deren Gründung zugelassen.
Der deutsche Arbeitsrechtexperte Rolf Geffken erklärte dazu
in einem am 28. 7. 2006 in der Tageszeitung Junge Welt veröffentlichten
Artikel, es habe keinen Sinn, die zuständigen chinesischen
Behörden für die chinesischen Arbeitsverhältnisse
zu kritisieren, solange der internationale Gigant Wal-Mart
sogar die minimalen Standards des chinesischen Gewerkschaftsrechts
ignoriert und das Arbeitsrecht nur dort akzeptiert, wo er selbst
es für ,sinnvoll hält.
Sicherlich werden sich einige ausländische Beobachter trotz
der Mitgliederzahl der chinesischen Gewerkschaften wundern, dass
es gerade dieser Gewerkschaftsverband ist, der es geschafft hat,
den gegenüber Gewerkschaften sehr distanzierten und bisher
auch gewerkschaftsfreien Konzern Wal-Mart dazu zu bewegen, gewerkschaftliche
Betriebsorganisationen in seinen Filialen zuzulassen. Denn der
Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund ist traditionell eher eine
sozialpartnerschaftlich orientierte Gewerkschaft und sucht allgemein
nicht die Konfrontation mit den Unternehmensleitungen. Diese Massenorganisation
hat aber, nach notwendigen Anpassungen Ende der 90er Jahre, durchaus
sein Profil als Interessenvertreter der Lohnabhängigen in
der sozialistischen Marktwirtschaft verbessern können und
dabei Unterstützung von Seiten der chinesischen Regierung
erfahren. Notwendige Erfahrungen bei auftretenden Interessenskonflikten
zwischen Arbeit und Kapital sind gesammelt worden und werden weiterhin
gesammelt, die Fortschritte bei der Gewerkschaftsarbeit sind kaum
zu übersehen.
Das geltende chinesische Arbeitsrecht und das Gewerkschaftsgesetz
enthalten Bestimmungen, die durchaus für den Schutz der Interessen
der lohnabhängig Beschäftigten geeignet sind. Diese
Gesetze sind unter Mitarbeit der Gewerkschaften ausformuliert
und beschlossen worden. Allerdings muss zukünftig verstärkt
auf die Einhaltung dieser Gesetze in der Rechtspraxis geachtet
werden, wie auch das Beispiel Wal-Mart zeigt. Der Gesamtchinesische
Gewerkschaftsbund verstärkte in den letzten Jahren seine
Rolle als Protagonist bei der Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen
in der VR China und wird diese weiterhin ausbauen müssen.
Da sich der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund auf seinem letzten
Nationalen Gewerkschaftskongress (NGK) im Jahr 2003 unter anderem
die gewerkschaftliche Organisierung von ausländischen Unternehmen
und den Schutz der Interessen von bäuerlichen Wanderarbeitern,
die besonders hart von Verstößen gegen das Arbeitsrecht
betroffen sind, als Schwerpunkte gesetzt hat, ist die Chance,
ein besseres Image bei der chinesischen Arbeiterklasse zu bekommen,
wesentlich gestiegen. Gerade auch die gezeigte Durchsetzungsfähigkeit
gegenüber dem Wirtschaftsriesen Wal-Mart dürfte sich
positiv auf die öffentliche Meinung über die Gewerkschaften
in der VR China auswirken. Die erste Gründung einer Betriebsgewerkschaft
bei Wal-Mart könnte sich von daher als ein Meilenstein bei
der Entwicklung der chinesischen Gewerkschaftsbewegung erweisen,
sofern sie es versteht, ihre Basisorganisationen so anzuleiten
und zu unterstützen, dass effektive gewerkschaftliche Interessenvertretung
für alle Beschäftigten spürbar stattfindet.
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