Je länger, desto besser

– Bis zu einer Woche dauern die Nuotang-Opern der Tujia-Minderheit

Von Luo Jiawen

Chinesische Opern, die mehrere Jahrhunderte überdauerten, haben ihren Ursprung in mündlich überlieferten Sagen und religiösen Ritualen. Verändert haben sie sich im Laufe der Jahrhunderte: Erzähler fügten hinzu, ließen weg, was ihnen nicht gefiel. Besonders religiöse Opern wurden so verändert, dass die meisten verlorengegangen sind, mit dem Original nichts mehr gemein haben. Aber in einem schwer zugänglichen Berggebiet der Provinz Guizhou ist eine Oper der Tujia-Minorität bis heute vollständig erhalten: die Nuotang, auf deutsch: Exorzismus-Oper.

Da die Nuotang-Oper fast die einzige nicht in Vergessenheit geratene religiöse Oper ist, wird sie von Wissenschaftlern als „lebendes Fossil“ bezeichnet. In der alten Zeit glaubten unsere Vorfahren, Hexenmeister könnten den Teufel vertreiben. Der Almanach von Meister Nü, der vor 2000 Jahren geschrieben wurde, verzeichnete, dass die Leute ein Bild zu malen pflegten, das Trommeln zeigt, mit denen die Pest abgewendet werden sollte. Sie opferten auch, um sich vor Dämonen zu schützen – ein Ritual, das danuo heißt. Eine ernste Sache waren diese Zeremonien für die alten Tujia, nicht Unterhaltung, als die sie heutzutage meist angesehen werden.

Allmählich entwickelte sich diese religiöse Zeremonie zu einer Oper. Tänze wurden hinzugefügt, Dialoge und Melodien. Dadurch wandelte sich die Aufführung von einem Götzen-Ritual zur Kunstform. Trotzdem blieb eine gehörige Portion Aberglauben darin erhalten. Die Schauspieler, alle männlich, sind gleichzeitig Zauberer. Sie spielen auch heute noch eine wichtige Rolle im Alltag der Tujia. Häufig werden sie ins Haus gebeten, um Krankheiten zu behandeln, Schädlinge zu bekämpfen, die Geburt eines Sohns zu beschwören, und ein langes Leben sicherzustellen.

Ungefähr 140 000 Tujia leben in der Region Dejiang der Provinz Guizhou. Fast jedes Dorf hat eine Operntruppe mit drei bis zwölf Schauspielern – normalerweise nicht genug für die Darstellung, so dass jeder Schauspieler mehrere Rollen gleichzeitig übernehmen muss. Die Aufführung dauert mindestens den ganzen Tag lang, manchmal auch drei Tage und Nächte oder sogar eine Woche. Während der Marathon-Aufführung nehmen sowohl die Schauspieler als auch die Zuschauer nur ab und zu eine Mütze Schlaf. Die meisten Aufführungen finden im Freien statt, denn die Zuschauer möchten sich die Nuotang-Oper lieber in unmittelbarer Nähe der Schauspieler ansehen. Die Darsteller sind mit Lust und Liebe bei der Sache, und schienen nicht müde zu werden. Selbst eisige Kälte kann dem Publikum die Oper nicht vermiesen. Motto: je länger, desto besser.

Die Nuotang-Oper teilt sich normalerweise in drei Teile. Im ersten entzünden die Schauspieler Weihrauchstäbchen und verbeugen sich ehrerbietig vor Vorfahren und Göttern. Dann waschen sie ihre Hände, äschern zeremonielle Papiergegenstände als Totenopfer ein, versprühen Wein auf dem Boden. Sie hoffen, ihre Vorfahren könnten sich gnädig zeigen, damit die Aufführung erfolgreich wird. Dann trinken sie Wein zur Begrüßung ihrer Lehrer und brennen Feuerwerk ab.

Der zweite Teil ist die Aufführung selbst. Heute gibt es etwa 40 Nuotang-Opern, die meist ihren Stoff aus Legende, Volkserzählung und historischer Novelle bezogen. Manche benutzen auch andere Opern-Schulen als Quelle. Die Schauspieler sind in der Lage, sich Dialoge und Melodien Dutzender Opern einzuprägen, auch wenn ihr Bildungsstand nich hoch ist.

Im dritten Teil schließlich verabschieden sich die Schauspieler am Ende der Aufführung von ihren Vorfahren und Göttern. Nicht jedoch von den Zuschauern – die müssen für die Schauspieler noch ein Bankett geben.

Die Nuotang-Oper braucht keine Bühnenbilder und -dekorationen, und die Schauspieler schminken sich auch nicht, sie spielen mit Masken aus Holz. Einige Masken wurden schon vor 200 bis 300 Jahren geschnitzt und sind daher kostbare Schätze für die Truppe. Ihr Ruf ist nicht nur von ihren Darstellungskünsten, sondern auch von Zahl und Qualität solcher Masken abhängig.

Inzwischen hat auch die Wissenschaft die Nuotang-Oper entdeckt, ihre Forschungen vor allem in den vergangenen beiden Jahren intensiviert. Denn das „lebende Fossil“ kann noch viel über traditionelle Dramaturgie und ihr Verhältnis zu Volkskunde und religiösen Riten erzählen.

Aus China im Aufbau, Nr. 3, 1987


 
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