Orte der Langlebigkeit

Von Xin Ying

China ist weltweit ein Land mit den meisten Menschen, die ein hohes Lebensalter erreicht haben. Gegenwärtig leben hier 130 Mio. Menschen, die älter als 60 Jahre sind. Das sind über 10% der gesamten chinesischen Bevölkerung. Bis Mitte dieses Jahrhunderts wird die Zahl der Senioren auf mehr als 400 Mio. steigen, was dann etwa 1/4 der chinesischen Bevölkerung entsprechen wird.

Rugao in Jiangsu, Zhongxiang in Hubei und Bama in Guangxi sind in China als „Orte der Langlebigkeit“ bekannt. Die Zahl der Menschen, die dort das 100. Lebensjahr erreicht haben, übertrifft den UN-Standard, der definiert, wann welche Orte der Langlebigkeit diesen Titel tragen dürfen. Der UN-Standard gibt vor, pro 100 000 Menschen müssen 7,5 älter als 100 Jahre sein. Rugao hat die meisten 100-jährigen unter den Städten auf Kreisebene in China. Der Kreis Bama hat derzeit den höchsten Prozentsatz an Langlebigen in der Welt, das heißt, in diesem Kreis gibt es je 100 000 Einwohner die meisten 100-jährigen. Beispielsweise zählt das Dorf Bapan der Gemeinde Jiazhuan 510 Einwohner, 7 davon sind älter als 100 Jahre. Dies entspricht nahezu dem 200fachen des UN-Standards.

Warum erreichen die Menschen in diesen Orten ein so hohes Alter? Was führt zur Langlebigkeit?

Günstige Umweltbedingungen

Die drei Orte der Langlebigkeit haben etwas gemeinsam: die Umweltbedingungen dort sind sehr günstig, die Öko-Systeme in den Orten und um die Orte herum sind intakt.

Wang Yungui, Leiter des Forschungsinstituts für Langlebigkeit der Stadt Zhongxiang, bemerkte dazu: „Die Stadt ist reich an Wasser, und das Wasser ist von guter Qualität. Unser Grundwasser enthält verschiedene Spurenelemente, darunter Strontium, Molybdän und Kalium. In den heißesten Monaten regnet es bei uns auch am meisten. Die Aufforstungsrate in unserer Stadt liegt sehr hoch. All das zusammen bietet ein gutes Umfeld für die Zhongxianger. Außerdem nimmt Zhongxiang den zweiten Platz bei den Phosphor-Vorkommen Chinas ein. Und in der Umgebung der Gruben leben erstaunlich viele Leute hohen Alters.“

In Bama scheint vor allem die ausgezeichnete Luftqualität, zur Langlebigkeit der Einwohner beizutragen. Wissenschaftlichen Analysen zufolge erreicht die Zahl der negativen Sauerstoffionen 30 000 pro Kubikzentimeter. Normalerweise beträgt die Zahl in Städten 1000–2000.

Experten stellen fest, dass der Boden im Gebirgsgebiet von Nordbama einen hohen Gehalt an Mangan und Zink, aber einen niedrigen an Kupfer und Kadmium hat. Der Mangan-Gehalt im Haar älterer Leute in Bama ist um 10-mal höher als der von Einwohnern solcher Städte wie Guangzhou, Wuhan oder Tokyo. Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass Böden mit hohem Mangan- und niedrigem Kupfer-Gehalt mit der geringeren Morbidität von Herz- und Bluterkrankungen, also mit der Langlebigkeit im Zusammenhang stehen. Das heißt, in Gebieten mit diesen Böden wird ein langes Leben wahrscheinlicher. Auch andere Elemente beeinflussen die Länge des Lebens. Zink wird „Blume des Lebens“ bezeichnet und soll die Immunität des menschlichen Körpers stärken.

Bama ist ein im Bergland liegender Kreis. Die ziemlich schwache Sonneneinstrahlung führt dazu, dass bei den Bergbewohnern wenigere Körperzellen vorzeitig altern als bei den Menschen, die in der Ebene leben. Die Häuser in Bama sind zweistöckig und nach Süden ausgerichtet. Oben wohnt man, unten lagert allerlei Gerätschaft. Sauberkeit, Geräumigkeit und Durchlüftung der Wohnhäuser sowie die relativ geringe Luftfeuchtigkeit und die angemessene Sonneneinstrahlung sind zweifelsohne positive Faktoren für die Gesundheit und die Langlebigkeit.

Im Unterschied zu Zhongxiang und Bama, die abgeschieden in ländlichen Berggebieten liegen, ist Rugao eine Stadt, die in einer wirtschaftlich relativ gut erschlossenen Ebene nördlich des Yangtse-Unterlaufs zu finden ist. In Rugao regnet es viel und die vier Jahreszeiten unterscheiden sich deutlich voneinander. Der Boden ist locker und gut geeignet für den Anbau vieler wertvoller Kulturpflanzen.

Tradition des Respekts vor den Alten und Kultur der Langlebigkeit

In den drei Orten der Langlebigkeit pflegt man seit jeher die Tradition, Alte zu respektieren und zu lieben. Die Kultur der Langlebigkeit hat ebenfalls eine lange Geschichte.

Laut Wang Yungui hat die Kultur der Langlebigkeit in Zhongxiang eine lange Geschichte. Hervorzuheben ist hier besonders die gute Tradition, alte Leute zu respektieren und zu lieben. Im Dorf Baisui (100 Jahre) der Gemeinde Jiukou lebte in alter Zeit eine Frau Wang, die alle fünf konfuzianischen Tugenden in hohem Maße besaß, nämlich Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Anstand, Wissen und Glaubwürdigkeit. Sie starb im Alter von 105 Jahren, ohne je krank gewesen zu sein. Um ihrer zu gedenken, bauten die Dorfbewohner mit eigenen Mitteln eine Brücke über den Fluss, an dem ihre Wohnstätte lag, und gaben ihr den Namen „Brücke für die 100-jährige Frau Wang“. Die Tradition, ältere Leute zu respektieren, hat sich bis in die heutige Zeit erhalten. Ein Beispiel ist der Bauer Lu Keding aus dem Gebiet des Wenxia-Stausees. Viele Jahre versorgte und pflegte er freiwillig sechs einsame, verwitwete Alte bis zu ihrem Tod wie seine leiblichen Eltern.

Die Pietät gegenüber älteren Generationen ist einer der wichtigsten Gründe für die Langlebigkeit. Wang Yungui bemerkte, von den 71 100-jährigen Leuten sind nur zwei allein lebend (versorgt von ihren Neffen und Nichten), die anderen 69 leben mit ihren Kindern, Adoptivkindern oder Enkelkindern zusammen. Meistens handelt es sich um vier Generationen, bei fünf Familien sogar um fünf Generationen unter einem Dach. Bei allen sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse gut. Diese Alten sind tolerant, gutherzig und führen in und mit ihren Familien ein harmonisches und glückliches Leben.

In Bama in Guangxi werden Familien mit 100-jährigen Menschen oft ein wenig beneidet, denn Langlebigkeit der älteren Leute bedeutet Glück für die Kinder. Hochbetagte Leute werden in Bama besonders respektiert. Beim Essen nehmen ältere Menschen immer den Ehrensitz ein. Unterwegs machen jüngere immer älteren den Weg frei.

Auch in Rugao in Jiangsu werden ältere respektiert. Der 100-jährige Qiu Ruxing isst jeden Tag mit seiner Tochter, seinem Schwiegersohn sowie den drei Familien seiner Enkeltöchter an einem Tisch. Er ist besonders froh, wenn er die mehr als 10-köpfige Familie von vier Generationen friedlich und fröhlich vereint sieht.

Vernünftige Lebensgewohnheiten und gesunde Lebenseinstellung

Fast alle Langlebigen haben vernünftige Lebensgewohnheiten und eine gesunde Einstellung zum Leben.

In einer Untersuchung wurde festgestellt, dass unter den 100-Jährigen in Rugao 77% Nichtraucher sind; 67% trinken nur den einheimisch gebrannten Reisweis mit niedrigem Alkoholprozent; 90% haben kein Schlafproblem und 53% schlafen jeden Tag über acht Stunden; 65% treiben häufig oder täglich Sport und 84% haben regelmäßigen Stuhlgang.

100-Jährige in Bama verbringen fast ihr ganzes Leben bei angemessener Arbeit und treiben Sport. 80% der 100-Jährigen verrichten noch immer Hausarbeiten, 40% sogar Feldarbeiten. Bis auf zwei können alle für ihr eigenes Leben sorgen.

Die meisten der 100-Jährigen sind Analphabeten und konfessionslos. Aber sie sind vom traditionellen Gedankengut des Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus beeinflusst und verlangen von ihren Familienmitgliedern Loyalität, Aufrichtigkeit und Pietät. Sie glauben an das Karma, also die Kausalität, dass gute wie böse Taten gerecht vergolten werden. Das harmonische Miteinander von Mensch und Natur wird von ihnen hoch geschätzt. Bei Sonnenaufgang stehen sie auf und nach dem Sonnenuntergang genießen sie zu Hause die Ruhe. Die älteren Bama’er sind mild gesinnt, offen, fröhlich, optimistisch und ohne Sorgen. Einige pflegen Mittagsruhe. Bei Untersuchung der Todesursachen von 110 alten Bama’ern wurde festgestellt, dass keiner von ihnen an Bluthochdruck, Diabetes, plötzlicher Hirnblutung oder Krebs gestorben ist.

Die Einwohner von Bama singen gern Volkslieder. Chen Jinchao, Leiter des Bama’er Forschungsinstituts für Langlebigkeit, beschäftigt sich seit Jahren mit der Langlebigkeitsforschung in Bama. Er meint, dass das Volksliedsingen eine besondere gesellschaftliche Umgangsform sei. Dadurch würden ältere Leute Kummer und Sorgen von sich fernhalten. Das Volksliedersingen trägt zusammen mit Vererbung, Umwelt und Ernährung zum langen Leben der Bama’er bei.

Was Sex und Ehe betrifft, ist es bei den Angehörigen der Bunu-Yao, einer Untergruppe der Yao-Nationalität in Bama, Tradition, spät zu heiraten und spät Kinder zu bekommen. Geschlechtverkehr vor der Heirat und die Ehe zwischen Angehörigen gleichnamiger Familien sind verboten. In Bezug auf Sexualität sind die Bama’er psychisch gesund, denn sie baden nackt im Fluss. Die Bama-Einwohner pflegen eine einzigartige Sitte. Junge Leute suchen sich frei ihre(n) Geliebte(n). In der Hochzeitsnacht schläft das frisch vermählte Paar aber nicht im gleichen Zimmer. Die junge Frau lebt vorerst nicht in der Familie ihres Mannes. Sie leben erst zusammen, wenn sie Kinder haben möchten.

Gesunde Ernährungsgewohnheiten und Lebensmittel fürs lange Leben

Wenn gastfreundliche Bama’er ihre Gäste bewirten, ist die „Suppe der Langlebigkeit“ – aus Laportea urentissema – unentbehrlich. Laportea urentissema ist eine kostbare Ölpflanze und wächst in den von Nebel eingehüllten Berggebieten. Das aus den Kernen gepresste Pflanzenöl hat den höchsten Gehalt an ungesättigter Fettsäure und ist das einzige Pflanzenöl der Welt, das sich in Wasser auflöst.

Chen Jinchao erläutert: „Wenn man häufig dieses Öl zu sich nimmt, werden Blutdruck und Cholesterinspiegel gesenkt, die Verkalkung der Blutgefäße verhindert, die Herzfunktion verstärkt, die Alterung verlangsamt und Verstopfungen vermieden.“

Die Bama-Einwohner essen hauptsächlich vegetarisch und ziehen Maisbrei, Süßkartoffeln, Bohnen und Gemüse vor, deren Nährstoffe sich gegenseitig ergänzen. Viele der 100-jährigen Bama’er erlebten in ihrer Jugend manche Hungersnot. Im hohen Alter nehmen sie relativ wenig zu sich, meist zwei- bis dreimal am Tag. Sie sind nie übersättigt oder gar betrunken.

Wie die Bama’er essen die Einwohner von Rugao in Jiangsu zum Frühstück wie zum Abend einen aus Rundreis, Maismehl und gemahlener Gersten gekochten Brei und zu Mittag Reis. Gemäß der Theorie der chinesischen Medizin ist der Brei milz- und magenkräftigend und für die Aufrechterhaltung der Gesundheit von großer Bedeutung. In Rugao werden Rüben angebaut und daraus verschiedene Nahrungsmittel hergestellt. Diese sind reich an Vitaminen und Zellstoff. Nimmt man sie häufig zu sich, scheidet der Körper schädliche Substanzen aus. Bohnenprodukte sorgen für reichlich Protein bei der Ernährung. Der Reiswein von Rugao ist für viele 100-Jährige ein notwendiges Getränk. Er enthält Proteine, Enzyme, Spurenelemente sowie das die Gesundheit fördernde Bifidobacterium.

In Zhongxiang in Hubei nehmen die Alten meist drei Mahlzeiten pro Tag. Sie essen hauptsächlich Reis, etwa 150 g pro Mahlzeit, Fleisch und Gemüse. Sie bevorzugen auch in den Bergen wachsende Pflanzen wie die Knollenwurzel der Kopoubohnen und Pilze wie das Judasohr. Die Hälfte der Langlebigen in Zhongxiang trinken seit ihrer Jugend Schnaps, aber nicht übermäßig. Sie alle essen gern Bohnenprodukte.

Obwohl sich die Ursachen für die Langlebigkeit in den genannten drei Orten voneinander zu unterscheiden scheinen, sind nach Meinung der Experten folgende Faktoren entscheidend: eine gute, natürliche Umwelt, ein fröhliches Gemüt und gesunde Lebens- und Essgewohnheiten. Dies sind grundlegende Prinzipien für ein langes Leben. Die Experten sagen auch, nicht die Langlebigkeit sollte man als Ziel erklären, sondern die Gesundheit, denn ein gesundes Leben ist am wichtigsten.

Zahl der 100-Jährigen Gesamte Bevölkerungszahl Zahl der 100-Jährigen pro 100 000 Einwohner

Durchschnittliche Lebensdauer (Jahre)

Rugao
210
1,45 Mio.
14,5
75,5
Zhongxiang
71
583 700
12,2
75,88
Bama
78
240 000
32,5
69,51

 

 
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