Das glückliche Leben im SOS-Kinderdorf

Von Li Jugui

Im SOS-Kinderdorf in der Stadt Qiqihar im Nordosten Chinas stehen 15 schöne Häuser mit roten Dächern, deren Stil eine Mischung chinesischer und europäischer Elemente ist. Alle in diesem Dorf lebenden Kinder sind Waisen, und dennoch haben sie wie andere Kinder auch eine glückliche Familie.

Dieses Kinderdorf wurde im März 1990 mit finanzieller Unterstützung des Internationalen SOS-Kinderdorfs gegründet. Seit seiner Gründung wurden insgesamt 155 Kinder ins Dorf aufgenommen. Sie alle sind Waisenkinder unter sieben Jahren alt. Sie stammen aus dem Nordosten Chinas und leben nun in einer großen Familie, damit sie sich körperlich und seelisch gut entwickeln können. Dafür wurden im Dorf 15 „Familien“ gegründet und 15 „Mütter“ angestellt. Jede Familie hat acht Kinder, die wie Schwestern und Brüder zusammenleben. Die Mutter trägt die ganze Verantwortung für ihre Familie und die Kinder spüren so etwas wie mütterliche Liebe und familiäre Wärme. Mit 14 Jahren ziehen die Jungen in Häuser mit Jugend-Appartments um und führen dort ein Leben im Kollektiv. Sie besuchen die Schule wie die anderen Kinder, und nach ihrem Schulabschluss verdienen sie sich ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft. Zur Zeit studieren 32 Jugendliche aus dem Kinderdorf im Ausland oder besuchen Universitäten, Fachhochschulen und Berufsschulen im Inland. Einige sind bereits berufstätig und haben eigene Familien gegründet.

Das Kinderdorf überweist monatlich den Familien und den Jugend-Appartmenthäusern Geld für die Lebenshaltung. Um die Kinder gesund zu ernähren, wurde ein Menüstandard erarbeitet. Alles, was für das Leben notwendig ist, einschließlich Kleidung, Heizung und warmen Wassers zum Duschen, ist versichert.

Weil ja früher oder später alle Bewohner des Dorfes am gesellschaftlichen Leben teilhaben werden, legt man im Kinderdorf vor allem großen Wert darauf, die Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen. Darum beteiligt man die Kinder angemessen an der Arbeit in der Familie und an der Verwaltung des Dorfs. Beispielsweise waschen die älteren Kinder Wäsche, sorgen für Sauberkeit oder helfen der Mutter beim Kochen. Ältere Mädchen begleiten ihre Mütter zum Einkauf von Gebrauchsartikeln oder Lebensmitteln. Die Kinder, die in den Jugend-Appartmenthäusern wohnen oder eine Schule in einem Gebiet außerhalb des Kinderdorfs besuchen, bekommen Taschengeld vom Kinderdorf, über das sie selbst verfügen dürfen.

Hilfe für Kinder, die Schwierigkeiten haben

Weil manche Kinder in ihrem bisherigen Leben nur wenig Glück hatten, waren einige bei der Ankunft im Kinderdorf sehr empfindlich und nicht nervenstark. Sie erschraken häufig, flüchteten wie kleine Hasen und fürchteten Kontakte mit der Außenwelt. Die Ursache dafür war auch oft der Verlust der Eltern, der ihnen lange im Gedächtnis blieb. Das Unglück machte sie häufig depressiv, was so gar nicht zu ihrem Alter passte.

In der Familie Nr. 1 gibt es einen Jungen namens Wang Qiang, der von ungeselliger und exzentrischer Wesensart ist. Bei seiner Ankunft in der neuen Familie zeigte er Abneigung gegen die anderen Familienmitglieder und wollte nicht in der Familie ein neues Leben beginnen. Als er sah, wie die anderen Kinder zusammen spielten, glaubte er, sie wollten ihn isolieren. Er wurde deshalb so wütend, dass er die Telefondrähte zerschnitt und aus dem Fenster sprang. Es war tief in der Nacht. Die Mutter war sehr in Sorge und rief den Dorfvorsteher Li Xianchao an. Unter seiner Leitung suchten viele Menschen nach dem kleinen Jungen. Endlich fand man den 8-Jährigen am Ufer des Nenjiang-Flusses. Herr Li tadelte den Kleinen nicht, sondern unterhielt sich freundlich mit ihm. Danach änderte der kleine Wang sein Betragen. Er versuchte nie mehr, aus dem Kinderdorf zu fliehen. Er lebt nun dort harmonisch mit der Mutter und den anderen Kindern der Familie. Auch seine schulischen Leistungen sind besser geworden. Jetzt ist er ein guter Erhu-Spieler im Orchester des Kinderdorfs, in dem mit traditionellen chinesischen Instrumenten musiziert wird.

Nach den Bestimmungen des Internationalen SOS-Kinderdorfs sollen Jungen im Alter von 14 Jahren die Familie verlassen und in die Jugend-Appartmenthäuser einziehen, um dort gemeinsam zu leben. Ziel dieser Maßnahme ist, die psychische Reife der Jungen zu fördern, um sie allmählich an das Leben in der Gesellschaft heranzuführen. Natürlich zeigen die Jugendlichen unterschiedliche Fähigkeiten, sich anzupassen und einzufügen. Einige sind in dieser Entwicklungsphase unruhig und unbeständig. Beispielsweise wurden die schulischen Leistungen eines Jungen namens Liu Xiaoxin aus der Familie Nr. 8 merklich schlechter, als er in ein Apartmenthaus eingezogen war. Die Gründe dafür haben Li Xianchao selbst und Cao Ting, die Mutter der Familie Nr. 8, nach gewissenhafter Analyse offenbart: Er schwärmte fürs Internet und hatte zum Lernen gar keine Lust mehr. Angesichts dieser Situation erlaubte ihm der Dorfvorsteher, wieder in die Familie zurückzukehren, damit er sich mit Unterstützung der Mutter wieder stärker dem Lernen widmet.

Potentiale erschließen und den Horizont erweitern

Das Kinderdorf hat eine Bibliothek, einen Raum für Kultur und Sport und einen Vergnügungspark eingerichtet, um die Freizeit der Kinder sinnvoll zu gestalten. Je nach Begabung und Hobby fördert die Mutter das Interesse jedes einzelnen Kindes z. B. an Kalligraphie, Fremdsprachen, Vokalmusik, Instrumentalmusik, Tanz, Schachspiel und Eislaufen. „So erfahren die Kinder ganz praktisch, dass sie nicht schlechter als andere sind.“

Zur Zeit lernen zehn Kinder aus dem Kinderdorf an der Fußballschule Xingbo in der Stadt Qiqihar und bilden die „Fußballmannschaft des SOS-Kinderdorfs Xingbo, Qiqihar, China“. In den Sommerferien 2003 belegten sie den ersten Platz beim Fußballwettturnier der Grundschulen der Stadt.

Das Orchester mit traditionellen chinesischen Instrumenten des Kinderdorfs wurde im Jahre 2001 gegründet und besteht aus 26 Kindern aus 15 Familien. Die Mütter haben für die Kinder einen Musiklehrer angestellt und das Orchester probt einmal pro Woche. Heute kann es mehr als 30 bekannte chinesische und ausländische Musikstücke spielen. Im Februar 2002 und im Januar 2004 wurde das Orchester nach Österreich eingeladen. Das schöne Spiel der Kinder hat das Publikum begeistert. Thomas Klestil, der verstorbene österreichische Bundespräsident, hat zweimal diese musikalischen „kleinen Engel“ aus dem Osten empfangen. In Wien haben die Kinder nicht nur das Kunstmuseum, das Musikmuseum und den Großen Saal, sondern auch die Donau und die Alpen gesehen, wodurch ihr Gesichtsfeld im Wortsinne erweitert wurde.

Anlässlich des 35. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Österreich hat die Republik Österreich bekannt gegeben, dass sie im Jahr 2006 „Chinesisches Jahr“ veranstalten wird. Auf Einladung von Österreichs Gesellschaft zur Förderung freundschaftlicher und kultureller Beziehungen zur Volksrepublik China (ÖGCF) reiste das Orchester mit traditionellen chinesischen Instrumenten des Kinderdorfes Qiqihar zum Neujahrsfest nach dem traditionellen chinesischen Mondkalender zum dritten Mal nach Wien, um an den Feierlichkeiten zu Beginn des „Chinesischen Jahres“ teilzunehmen.

Die Kinder haben im Rathaus für Dr. Michael Häupl, den Bürgermeister der Stadt Wien, einige chinesische Musikstücke wie Prachtvolle Blumen und ein runder Mond –vollkommenes Eheglück und Gebirgsgegend gespielt. Während der Eröffnungszeremonie des „Chinesischen Jahres“, veranstaltet in der großen Vorführungshalle Casino in Baden, haben sich mehr als 300 prominente Persönlichkeiten aus verschiedenen Kreisen das wunderbare Konzert der chinesischen Kinder angehört.

Während des Aufenthalts in Wien sind die Kinder auch in ihre „Familien“ zurückgekehrt. Das Internationale Kinderdorf organisiert und fördert diese Aktivitäten als Ausdruck der Liebe zu den Kindern. Es hat einen Appell an Menschen aus allen Schichten gerichtet, um die Kinder stärker zu unterstützen. Aus diesem Grunde haben nun 18 chinesische Kinder auch eine Familie in Wien, in der sie sich in familiärer Wärme geborgen gefühlt haben. Obwohl sie nur einen Tag mit ihren „Eltern“ in Wien verbracht haben, haben deren Freundlichkeit und Zuneigung bei den Kindern einen tiefen Eindruck hinterlassen.

 
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