Man gedenkt des Schriftstellers Lao She
Von Han Ruixin
Am
frühen Morgen des 24. August 1966 drückte er seiner
dreijährigen Enkelin die Hand. Sag Opa auf Wiedersehen!
meinte er und verließ das Haus. Für immer. Am folgenden
Morgen holte man ihn aus dem Taiping-See im Norden Beijings. Eiskalt
war er. Die Augen geschwollen. Der Körper mit Wunden bedeckt.
Am Ufer des Sees lagen seine Uniform, Brille, Spazierstock und
Füllfederhalter.
So starb Lao She, einer der bekanntesten Schriftsteller und Sprachmeister
Chinas, in den Wirren der Kulturrevolution.
Zwölf Jahre wurde er totgeschwiegen, zwölf Jahre lang
waren seine Schriften in keiner Buchhandlung zu finden. Erst 1978
wurde er posthum rehabilitiert. Heute werden seine Werke wieder
gelesen und gesehen.
Lao Shes Roman Eine Familie unter dem Dach des Urgroßvaters
wurde vom Beijinger Fernseh-Studio für eine 28-teilige TV-Serie
verfilmt und von August 1985 an gesendet. Sie kam so gut an, dass
kaum war sie zu Ende, zahlreiche Zuschauer baten, sie zu wiederholen.
Auch sein Drama Teehaus und der Roman Rikschakuli und die Erzählung
Mondsichel wurden verfilmt. Das Teehaus wurde ins Deutsche übersetzt;
später in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern
aufgeführt.
Im März 1984 veranstaltete man in der Halle der modernen
chinesischen Literatur in Beijing Die Ausstellung über
Lao She, in der über 400 seiner Fotos, Kalligraphien
und Gemälde zu sehen waren.
Im Juni desselben Jahres stellte die Stadtregierung seinen ehemaligen
Wohnsitz in der Fengsheng-Gasse 19 unter Denkmalschutz. Obendrein
gibt es heute in Beijing die Lao She-Forschungsgesellschaft und
einen Lao She-Literaturpreis.
Er wurde im Februar 1899 als Sohn eines mandschurischen Soldaten
geboren, trug zuerst den Namen Shu Qingchun und nahm später
die Pseudonyme Shu Sheyu und Lao She an. Er absolvierte die Beijinger
Padägogische Hochschule und war bis zum Ausbruch des Chinesischen-japanischen
Krieges 1937 Lehrer des Orientalistik-Instituts der Londoner Universität
sowie Professor an einer Universität in Shandong. Während
des Kriegs leitete er die Antijapanische Gesellschaft der
chinesischen Kunst- und Literaturschaffenden. Nach der Kapitulation
Japans ging er nach Amerika, wo er unterrichtete und als Schriftsteller
tätig war. Nach Gründung der Volksrepublik China 1949
kam Lao She auf Einladung des ehemaligen Ministerpräsidenten
Zhou Enlai zurück und wurde unter anderem stellvertretender
Vorsitzender der chinesischen Schriftsteller-Vereinigung, bis
er in der Kulturrevolution umkam.
Sein ganzes Leben lang schrieb Lao She über Beijing. Beijing
war die Quelle seines literalischen Schaffens. In den Jahren zwischen
1926 und 1966 schrieb er insgesamt 16 Romane, mehr als 70 Novellen
und Kurzgeschichten sowie 36 Dramen. Alle diese Arbeiten sind
mit Beijing, seinen Bewohnern, mit deren Schicksal und Hoffnung
verbunden, haben einen starken Beijing-Geschmack,
wie man sagt. Die Sprache, die er schreibt, ist frisch und lebendig,
knapp und einfach und sehr humorvoll.
Laos Shes Werke spiegeln die Stadt Beijing zu verschiedenen Zeiten
wider. Rikschakuli, 1936 geschrieben, nimmt Beijing während
der Herrschaft der Warlords als Hintergrund und beschreibt das
Schicksal des Rikschakulis Xiangzi. Die Armut auf dem Lande zwingt
Xiangzi in die Stadt. Er hofft, sich eine Rikscha leisten zu können
und ein selbstständiger und freier
Mensch zu werden. Doch trotz seiner zähen Bemühungen
scheitert er an den Umständen. 1941 wurde der Roman vom Verlag
der Kultur und des Lebens als Sonderheft herausgegeben.
Anschließend erschien er in Amerika (Rikshaw Boy) und wurde
als beste literarische Arbeit des Monats August 1945 ausgezeichnet.
Innerhalb von zwei Wochen waren über 50 000 Exemplare vergriffen.
Bislang ist der Roman in 20 Sprachen übersetzt worden.
Eine Familie unter dem Dach des Urgroßvaters, 1945 geschrieben,
beschreibt Beijing im Krieg zwischen Japan und China (19371945).
Die Einwohner einer Gasse, etwa 130 Menschen in 17 Familien, von
denen die vier Generationen der Familie Qi die Hauptpersonen des
Romans sind, reagieren auf die Besetzung der Stadt durch die Japaner
unterschiedlich. Manche schließen sich dem Kampf gegen die
Japaner an, manche kollaborieren und werden zu Verrätern.
Im Roman finden sich auch viele Schilderungen der Sitten und Gebräuche
des alten Beijing. In der Kurzgeschichte Mondsichel, 1935 veröffentlicht,
stellt Lao She eine Mutter und ihre Tochter dar, die aus Armut
Prostituierte werden. Die düstere Stimmung, die aus dem Roman
hervorgeht, scheint einen zu ersticken.
Teehaus, 1957 geschrieben, beschreibt China zwischen 1898 bis
1948. In diesem Zeitraum ereignete sich im Reich der Mitte vieles:
die Reformbewegung von 1898, die im Interesse einer liberalen
Bourgeoisie angestrebt wurde und sich am Kaiserhof nicht durchsetzen
ließ; die von Dr. Sun Yat-sen vorangetriebene bürgerlich-demokratische
Revolution 1911, die zum Sturz der Qing-Dynastie führte;
die Herrschaft der Warlords; der Bürgerkrieg; der Krieg zwischen
China und Japan. Vorgeführt werden in dem Roman, der vornehmlich
in einem Teehaus spielt, über 70 verschiedene Charaktere.
Longxu-Graben wurde 1950 geschrieben. Der Longxu-Graben befindet
sich in der Nähe von Tianqiao im Südteil Beijings und
ist eine Kloake, welche seit Jahren die Gesundheit der Bevölkerung
in der Umgebung bedroht. Doch niemand kümmert sich darum.
Erst nach der Gründung der Volksrepublik macht sich die neue
Regierung sofort daran, den Graben zu regulieren. Das Drama schildert
drei einfache Familien, die in einem Hof am Graben wohnten. Im
Februar 1951 aufgeführt, erhielt das Stück viel Applaus.
Ministerpräsident Zhou empfahl es dem Vorsitzenden Mao Zedong,
der dann Lao She empfing. Am 23. Dezember desselben Jahres verlieh
ihm die Stadtregierung den Titel Volkskünslter.
Doch später fegte die Kulturrevolution durch
das Land. In der Kulturrevolution wagten wir nicht, etwas
gegen die Misshandlung des Vaters zu sagen, konnten nur im Innersten
hoffen, dass Vater eines Tages rehabilitiert wird, sagt
Lao Shes Tochter Shuji. Ihr, nein, aller anständiger Menschen
Wunsch ist nun erfüllt.
Aus China im Aufbau, Nr. 2, 1987
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