Chinas Wohltätigkeitsbranche bricht auf

Von Liu Ke

Die chinesischen Wohltätigkeits-Supermärkte haben ihren Ursprung in den westlichen Wohltätigkeitsläden, wie beispielsweise St. Vincent de Paul oder Oxfam. Ihr Programm ist es, Almosen an einkommensschwache und von Armut gebeutelte Familien zu verteilen, sei es nun durch kostenlose oder durch sehr billige Warenangebote. Nachdem der erste chinesische Wohltätigkeits-Supermarkt am 18. Mai 2003 seine Pforten in Shanghai geöffnet hatte, schossen weitere Märkte dieser Art in allen Teilen des Landes wie Pilze aus dem Boden. Infolgedessen veröffentlichte das chinesische Ministerium für Zivile Angelegenheiten im Juli 2004 ein Rundschreiben, mit dem die großen und mittelgroßen Städte ermutigt werden sollten, solche Supermärkte ins Leben zu rufen und den Lebensstandard der Armen zu verbessern.

Der „Love-Charity“-Supermarkt in Shanghai gibt dabei einen allgemeinen Eindruck von der anerkennswerten Arbeit, die in diesen Läden innerhalb der letzten Jahre geleistet worden ist.

Wohltätigkeit nach Prinzipien des Marktes

Der „Love-Charity“-Supermarkt – zu finden in Shanghai, Zhenning Straße, Gasse 405, Nr. 164 – ist als Pionier in der chinesischen Wohltätigkeitsbranche anzusehen. Eine Jeanshose für Kinder kostet dort fünf Yuan; eine energiesparende Lampe acht Yuan; reine Wolle gibt es pro Meter für anderthalb Yuan. Trotz der niedrigen Preise wurden im überfüllten Supermarkt während der ersten vier Tage durchschnittlich Waren im Wert von 7000 Yuan täglich verkauft. Heute finden sich auch andere Filialen des Wohltätigkeits-Supermarktes in den übrigen Stadtteilen.

Diese besonderen Supermärkte unterscheiden sich, was die Betriebsführung anbelangt, nur geringfügig von den gewöhnlichen Märkten. Allerdings handelt es sich bei den feilgebotenen Waren ausschließlich um Spenden aus verschiedenen Wohltätigkeitsprogrammen. Eine weitere Besonderheit zeigt sich bei den Zahlungsmodalitäten: Es wird nur Bargeld akzeptiert. Hinzu kommt, dass das Einkommen eines solchen Ladens direkt wieder in Fonds für wohltätige Zwecke zurückfließt. Dabei setzen Gutachter die Preise der Gebrauchswerte fest, bevor sie auf den Regalen zur Verfügung stehen. Verarmte Anwohner können die Waren – durch Vorzeigen von Sozialhilfe-Coupons, die von lokalen Nachbarschaftskomitees ausgegeben werden – entweder kostenlos oder für einen reduzierten Preis erhalten.

Neben der direkten Spende gibt es für fürsorgliche Mitbürger aber auch noch eine andere Möglichkeit, den finanziell Schwachen unter die Arme zu greifen. Sie können teurere Produkte in den Läden erwerben und damit nicht-monetäre Spenden in Bargeld umwandeln. Nach Ma Zhongqi, Sprecher der Shanghaier Wohltätigkeits-Stiftung, ist dieses System in den Supermärkten für Arme sehr gebräuchlich.

Die Wohltätigkeits-Supermärkte in Shanghai beschäftigten ihre eigenen Spenden-Gutachter. Die Preise werden dabei so festgelegt, dass die Konsumartikel für arme Familien erschwinglich, aber für Spekulanten zu teuer sind. Alle Gegenstände des täglichen Bedarfs werden gereinigt, desinfiziert, sortiert, repariert und eingepackt, bevor sie zum Verkauf freigegeben werden. Reis, Mehl, Speiseöl, Sojasoße und Essig werden durch ein Qualitäts- und Sicherheitssystem streng kontrolliert, wobei ihr Verkauf ohne entsprechende Kennzeichnung untersagt ist. Um den Nachschub zu garantieren, hat der Kundendienst der Shanghaier Wohltätigkeits-Stiftung reguläre Sammelstellen auf den Hauptstraßen der verschiedenen Stadtteile eröffnet. Außerdem schicken die Wohltätigkeits-Läden ihre eigenen Angestellten und Fahrzeuge am Wochenende auf die Straße, um Spenden in der Nachbarschaft zu sammeln.

Obwohl es sich bei den Wohltätigkeits-Supermärkten um Nicht-Profit-Organisationen handelt, operieren sie, um ihre Effektivität zu optimieren, nach den Prinzipien des freien Marktes. Ausgaben und Einkommen werden umsichtig analysiert. Die Statistiken zeigen, dass diese Läden innerhalb ihres ersten Jahres nicht-monetäre Spenden im Wert von 8,26 Millionen Yuan akquiriert und damit insgesamt 1,75 Millionen Yuan verdient haben, wobei das eingenommene Geld eingesetzt wurde, um mittellose Familien zu unterstützen und die Augenoperation (Grauer Star) für 50 verarmte Senioren zu finanzieren.

Eine von der Regierung geführte NGO

Die Shanghaier Wohltätigkeits-Stiftung – eine Nicht-Regierungs-Organisation, deren Zweck es ist, den finanziell Schwachen der Stadt zu helfen – betreibt diese Wohltätigkeits-Supermärkte. Die Stadtregierung von Shanghai hat in den letzten Jahren den Versuch unternommen, das soziale Sicherungssystem von Shanghai grundlegend zu reformieren. Ein wichtiger Bestandteil des Reformpakets war das Vorhaben, zentrale Aktivitäten der sozialen Sicherung, die gänzlich von der Regierung oder staatlichen Unternehmen getragen wurden, den Nicht-Regierungs-Organisationen anzuvertrauen.

Die Shanghaier Wohltätigkeits-Stiftung ist eine der Institutionen, die von der Stadtregierung beauftragt worden sind, soziale Hilfeleistungen zu übernehmen. Dabei findet diese Arbeit unter politischer Anleitung und mit dienstlicher Unterstützung der Regierung statt. Was die Schaffung eines effizienten Sozialhilfe-Programms betrifft, lässt sich die Institutionalisierung der Supermärkte als ein gewichtiger Schritt seitens der Stiftung auffassen. Sie hat dazu beigetragen, das Sozialhilfe-Netzwerk Shanghais vom Stadt- und Bezirksniveau auf Gemeinden und Nachbarschaften auszuweiten und mehr Einwohner zur Teilnahme an der philantrophischen Arbeit zu bewegen.

Obwohl die Stiftung, was die Wohltätigkeits-Supermärkte anbelangt, die Hauptrolle spielt, handelt es sich bei der Anleitung und der Unterstützung, die von der Regierung ausgeht, um einen vitalen Bestandteil der Sozialarbeit. Tatsächlich sind die Stadtregierung und die Stiftung kooperierende Parteien, von denen jede ihre eigenen Rechte und Pflichten hat. Während die Stadtregierung politische und rechtliche Unterstützungsarbeit leistet und den Betrieb der Wohltätigkeits-Supermärkte betreut, kümmert sich die Stiftung um die alltäglichen Aufgaben der Betriebsführung. Aufgrund dieses Arrangements ist die Regierung nun dazu in der Lage, Verwaltungskosten einzusparen. Gleichzeitig wurden alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisiert, um die Wohltätigkeitsarbeit voranzutreiben.

Die Betreuung des „Gebens und Nehmens“

Gemäß einer kürzlich erfolgten Untersuchung haben sich drei Viertel der Shanghaier Bevölkerung an den Spendenaktionen der städtischen Wohltätigkeits-Stiftung beteiligt. Gewissermaßen ist die Menschenliebe damit zu einer Seite des „Geists von Shanghai“ geworden.

Während einige Einwohner die Wohltätigkeits-Supermärkte aufsuchen, um dort teurere Waren zu erwerben, bieten andere ihre Dienste an. „Ich spende meine Zeit anstatt mein Hab und Gut“, sagt ein Freiwilliger.

Die Spenden, die aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten eingehen, werden in den Märkten gesammelt und an die Bedürftigen weitergeleitet. Ein Absolvent der Mittelschule erhielt, nachdem er sich an der Universität eingeschrieben hatte, Kleidung und Bettwäsche vermittels eines Wohltätigkeits-Marktes. Er sagt: „Ich werde niemals vergessen, was ich von der Gesellschaft erhalten habe. Irgendwann werde ich es zurückzahlen.“

Der reibungslose Ablauf des „Gebens und Nehmens“ kennzeichnet den erfolgreichen Betrieb der Wohltätigkeits-Supermärkte von Shanghai, er zeigt zudem den Grad des Vertrauens an, der zwischen Spendern, Stiftung und Empfängern möglich ist. Die entscheidende Grundlage für dieses Vertrauen ist dabei ein effektiver Steuerungsmechanismus. Jeder Wohltätigkeits-Markt wird von einem Verwaltungskomitee geleitet, das sich um die alltägliche Organisation, den Warennachschub und die Verteilung von Coupons an die Einwohnerkomitees kümmert. Diesbezüglich gibt es Listen, für deren Koordination beide Parteien – sowohl die Einwohnerkomitees als auch die lokalen Sozialämter – verantwortlich zeichnen. In diesem Prozess wird aber auch die Teilnahme und die Aufsicht seitens der Stiftung und der Regierung benötigt, damit die Spenden auch wirklich exakt dorthin gelangen, wo sie benötigt werden.

Eine glänzende Zukunft

Ein gutes Vorbild für die chinesischen Wohltätigkeits-Supermärkte sind die Märkte von Goodwill, einer Wohltätigkeitsorganisation, die von dem Methodisten Edgar J. Helms 1902 in Boston gegründet wurde. Innerhalb des letzten Jahrhunderts ist es der Organisation gelungen, eine effiziente Arbeitsweise zu entwickeln, mit der einerseits Waren angeboten, den Bedürftigen andererseits aber auch – in einer Art „Hinterhofproduktion“ – Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden können. Die Notleidenden, für die in der übrigen Wirtschaft kein Platz zu sein scheint, reinigen, sortieren, reparieren und zeichnen die Waren aus. Am Wochenende kommen viele Einwohner und Unternehmer in die „Wohltätigkeits-Fabrik“ und reichen ihre Spenden ein, für die sie einen Beleg erhalten, mit dem sie dann entweder Steuern einsparen oder Sonderangebote im Wohltätigkeits-Markt beanspruchen können. Diese Begünstigungspolitik hat positiv zur Steigerung des Spendenaufkommens beigetragen.

Momentan wird in China über politische Verfahrensweisen reflektiert, mit denen die Spendenaktivität der Wirtschaft und der normalen Einwohnerschaft angeregt und die Entwicklung der Wohltätigkeits-Supermärkte weiter vorangetrieben werden sollen. Zur selben Zeit arbeiten die Märkte in großen Teilen des Landes intensiv an ihrem Durchbruch.

Während sich die Wohltätigkeits-Stiftung in Shanghai bereits ein Markenzeichen für ihre Supermärkte eintragen lässt, arbeiten die Märkte fiebrig daran, ihre Operationsmechanismen – auf Grundlage des „Vorderseiten-Ladens“ und der „Hinterhofproduktion“ – zu optimieren. Einerseits nehmen sie die Produktionsüberschüsse der Hersteller an sich, andererseits beschäftigen sie bedürftige Menschen in ihren Läden und „Fabriken“.

Die Wohltätigkeits-Supermärkte in der Provinz Liaoning fördern eine Kampagne, bei der folgender Slogan benutzt wird: „Sag mir, was du brauchst. Ich werde es spenden.“ Obwohl die Kampagne ins Leben gerufen wurde, um die aktive Teilnahme beider Seiten – Spender und Empfänger – zu intensivieren, soll mit ihr auch der Warenaustausch zwischen verschiedenen Märkten unterstützt werden.

In Guangzhou, Hauptstadt der Provinz Guangdong, haben die Wohltätigkeits-Märkte eine spezielle Betreuungsorganisation ins Leben gerufen, um den Spendenfluss zwischen Gebern und Nehmern zu gewährleisten.

Und in der Provinz Shaanxi arbeiten die Abteilungen für Zivilangelegenheiten auf unterschiedlichen Ebenen daran, Wohltätigkeits-Märkte in mindestens der Hälfte aller Landkreise in den nächsten zwei oder drei Jahren aufzubauen.

Angesichts dieser kürzlich erfolgten Entwicklung – in all ihren Facetten – kann es keinen Zweifel mehr daran geben, dass der Geist der Wohltätigkeit die chinesische Gesellschaft erfasst hat – ein Geist, der zum Wachsen bestimmt ist.

 
Adresse: Baiwanzhuang Dajie 24, Beijing, VR China
Postleitzahl: 100037
Fax: 010-68328338
Website: http://www.chinatoday.com.cn
E-mail: chinaheute@chinatoday.com.cn
Copyright (c) China Today, All Rights Reserved.