Die Barkhor-Straße ist voller Vitalität
Wer früher nach Tibet kam, musste alles, was er brauchte,
bei sich haben, Verpflegung und Dinge des täglichen Gebrauchs
eingeschlossen, weil man fürchtete, in Tibet nirgendwo etwas
kaufen zu können. Heute braucht man nur genügend Geld
mitzunehmen, wenn man nach Tibet reist. Die Kaufhäuser und
Spezialgeschäfte in Lhasa bieten ebenso viele Waren an wie
die Geschäfte in jeder anderen Stadt Chinas. Man kann
alles kaufen, wenn man nur genug Geld hat, sagte ein Bekannter
aus Lhasa voller Stolz.
Tatsächlich ist Lhasa inzwischen eine Stadt mit modernem
Handelsflair geworden und gilt als Schaufenster Tibets. Die Barkhor-Straße
ist der lebhafteste Markt Lhasas mit einem unverwechselbaren kulturellen
Gepräge.
Die Barkhor-Straße, die belebteste Geschäftsstraße
Lhasas, ist Teil des alten Weges, auf dem die Gläubigen den
Potala umrunden. Darum sieht man täglich zahlreiche fromme
Pilger auf der Straße, die aber auch neugierig die Geschäfte
betrachten und sich überlegen, was sie sich kaufen könnten.
Aber hauptsächlich kaufen hier in- und ausländische
Touristen ein, bei denen der Yuan locker sitzt. Doch nach einer
Weile sind sie von dem Riesenangebot der sich aneinander reihenden
Läden und Verkaufsstände so verwirrt, dass sie sich
kaum noch für einen Kauf entscheiden können. Im Zweifel
erstehen sie dann eines der vielen Kunstgewerbeprodukte und sind
zufrieden. Diese Produkte kommen aus allen Teilen Chinas; da sind
Hüte aus Tianjin, Ziegeltee aus Sichuan, Seide aus Zhejiang,
Kleidung und Haushaltsgeräte aus Guangdong, Shanghai oder
Beijing, Obst aus Xinjiang, Parfüme, Aromastoffe, lokale
traditionelle kunstgewerbliche Produkte, landwirtschaftliche Erzeugnisse
und solche aus der Viehzucht wie Butteröl, Milchprodukte,
Rind- und Lammfleisch, Schafwolle, Kaschmir oder Leder. Viele
Händler aus Nordwestchina und der Provinz Sichuan sind hier
zu treffen.
Jeder Verkäufer lockt freundlich lächelnd Kunden an.
Wir beobachten einmal, wie um den Preis gefeilscht wurde:
Ein Interessent nahm ein tibetisches Messer in die Hand und betrachtete
es voller Bewunderung. Der Standbesitzer lobte sofort die Herstellungstechnik
und die Qualität des Messers. Das war eine Vorstufe des gewünschten
Geschäfts, ein Lob der Qualität der Ware.
Dann ging es um den Preis. Der Kunde fragte danach und der Vekäufer
sagte nach kurzem Zögern: Nur 35 Yuan, das ist ein
fester Preis. Das ist zu hoch, sagte der Kunde
und schien gehen zu wollen. Der Standbesitzer fragte sofort: Wieviel
wollen Sie denn zahlen? Der Kunde strich prüfend über
das Messer und sagte: 20 Yuan. Der Besitzer, ohne
lange nachzudenken: Für 30 Yuan gehört es Ihnen.
Das war dem Kunden noch immer zu viel und er feilschte weiter.
Dann war man bei 28 Yuan, dann bei 26 Yuan und schließlich
sagte der Verkäufer: Gut. Geben Sie 25 Yuan; billiger
geht es nicht. Ich mache dadurch überhaupt keinen Profit,
und nur weil Sie heute mein erster Kunde sind und ich einen guten
Geschäftsbeginn haben möchte, gebe ich es so billig
ab. Auch der Kunde akzeptierte diesen Preis und zahlte die
25 Yuan. Der Ladenbesitzer war die ganze Zeit freundlich geblieben
und sagte lächelnd zum Kunden, er möge doch bitte bald
wieder einmal vorbeikommen.
Wenn man vor zehn Jahren in der Barkhor-Straße einkaufen
wollte, hatten die Standbesitzer oft feste Preise und Feilschen
war kaum möglich. Heute dagegen ist es üblich geworden.
Die Händler sind nun flexibel in ihren Preisforderungen.
Jeder, der sich ein wenig über die Marktlage informiert hat,
weiß natürlich, dass ein tibetisches Messer für
20 Yuan an jedem Verkaufsstand zu bekommen ist, aber das Feilschen
gehört einfach zum Handeln. Marktkundige wissen das und kaufen
stets zu günstigen Preisen ein.
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung und der Beschleunigung der
Öffnung nach außen stieg die Zahl der Gewerbetreibenden
von 80 zu Beginn der friedlichen Befreiung auf knapp 2000 im Jahr
2002. Es wurden über 8000 verschiedene Waren angeboten. Die
Händler kommen aus allen Teilen Chinas und auch aus dem Ausland.
Sie gehören vielen ethnischen Gruppen an. Allein über
150 Händler stammen aus Nepal oder waren Tibeter, die aus
dem Ausland in die Heimat zurückgekehrt waren. Heute ist
die Barkhor-Straße der größte Warenumschlagplatz
Tibets.
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