Alun
Falconer: New China Friend or Foe?
Von Lars Mörking
Ein alter Bericht über das Neue China wurde wieder aufgelegt
Warum gibt man einen Bericht, der 1950 zum ersten Mal erschien,
nach über 50 Jahren unverändert wieder heraus? Auf den
ersten Blick wird nicht deutlich, welches Interesse Nicht-Historiker
an einer derartigen Schilderung der Ereignisse von 1949, wie sie
Alun Falconer damals verfasst hat, haben sollten. Dabei wäre
New China Friend or Foe? an und für sich
ein hervorragender Titel, um zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen
und Debatten aufzugreifen, die derzeit in Europa und den USA angesichts
des schnellen Aufstiegs der Wirtschaftsmacht China in zahlreichen
populären Publikationen, die aus einer rein westlichen Sicht
heraus geschrieben sind und wenig Verständnis für die
chinesische Politik erkennen lassen, ihren Ausdruck finden. Es
handelt sich hier jedoch um eine Stellungnahme eines Augenzeugen
zu den Ereignissen gegen Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts,
dokumentiert und veröffentlicht durch die China Society for
Peoples Friendship Studies (PFS). Meiner Ansicht nach hat
dieses Buch der westlichen LeserInnenschaft mehr zu
bieten, als es beim ersten Überfliegen den Anschein hat.
Hier schimmern historische Wurzeln der jüngsten chinesischen
Geschichte durch, welche von den Leserinnen und Lesern jedoch
erst einmal freigelegt werden müssen.
Geschichte und Gegenwart
Historische Debatten können einen direkten Aufschluss über
heutige Argumentationsstränge und Phänomene der chinesischen
Politik geben. Ähnlich wie die Neue Ökonomische Politik
(NÖP) in der Sowjetunion der 1920er Jahre die Diskussion
zu Anfang der neudemokratischen Revolution in China beeinflusste,
so lassen sich in dem vorliegenden Buch Ansätze eines Grundverständnisses
von Wirtschaftspolitik finden, die damals wie heute die souveräne
Entwicklung Chinas zum Ziel hat. So ist beispielweise auf Seite
42 dokumentiert: [T]here was an announcement to the people
of Shanghai: 1. All citizens and their property will be protected,
but public order must be observed. 2. Private industrial and commercial
property will be protected. [
] 7. Troops of the People´s
Liberation Army are not permitted to obtain anything from the
people without payment. Die erste Sorge, die die neue politische
Führung in Shanghai zerstreuen wollte, war also offensichtlich
die Sorge der Besitzenden um ihr Hab und Gut. Doch Falconer vermittelt
in seinen Schilderungen glaubhaft, dass unter den ausländischen
Investoren trotz dieser Bekanntmachung Unsicherheit herrschte.
Die Frage, was die neue Regierung unter Führung der Kommunistischen
Partei wohl bringen wird, beschäftigte demnach Freunde und
Feinde der chinesischen Revolution.
Geschildert werden auch die besonders hohen Ansprüche der
Kommunisten als neue politische Führung an sich selbst: To
Shanghais wordly-wise citizens the newly arrived officials
seem a strange lot indeed. The sober men and bobbed-haired women
in dusty blue uniforms who sat behind the desks in the municipal
offices or worked in the manager´s office of the citys
banks were too naïve to be true. How, people asked each other,
could one deal with officials who showed no interest in squeeze
or commissions? Was a Government servant worth his salt if he
didnt make the best financial use of his position, and wasnt
it unfilial or unfriendly if he didnt take advantage of
his authority to get his relatives and acquaintances easy and
secure jobs in the Government? (S. 3132)
Diese vor allem auch moralischen Ansprüche,
die sich seit der Zeit des langen Marsches vor 70 Jahren herausgebildet
haben, wirken in China immer noch nach. Strenge Bestrafungen auch
hoher Funktionäre zur Bekämpfung der Korruption zeugen
von andauernden Bemühungen der KP Chinas um eine Glaubwürdigkeit,
die sie sich in der Geschichte schwer verdient hatte. Und gerade
weil die heutige Situation mancher KP-Funktionäre schwerlich
mit derjenigen in der Revolutionszeit vergleichbar ist, forderte
der chinesische Staatspräsident Hu Jintao aktuell dazu auf,
die glorreiche revolutionäre Tradition des Langen Marsches
der Roten Armee zu bewahren und weiterzuentwickeln.
Von Mao zur Sozialistischen Marktwirtschaft
Eine historische Einordnung der geschilderten Ereignisse enthält
dieses Buch natürlich auch, was allerdings fehlt, ist eine
aktuelle Einordnung dieser über 55 Jahre alten Schrift in
die heutige Debatte um Reformen und Sozialismus in China. Der
Frage, ob das neue China Freund oder Feind der westlichen
Welt ist, beantwortet Falconer für seine Zeit durch die Darstellung
historischer Fakten. Durch seine detaillierte Beschreibung der
Ereignisse und die in Auszügen erfolgte Dokumentierung damaliger
Bekanntmachungen der neuen politischen Führung wird jedoch
nötiger Stoff geliefert, um mit dem Wissen um historische
Fakten in der heutigen Debatte bestehen zu können. Insgesamt
drängt sich mir für mich an dieser Stelle überraschend
durch die Lektüre dieses Buches eine Erkenntnis auf:
Sowohl die beschriebene Phase der neudemokratischen Revolution
in China als auch die gegenwärtige Zeit gehören in die
Epoche des Aufbaus des Sozialismus in China; mit all seinen Fort-
und Rückschritten, den Problemen beim Aufbau der wirtschaftlichen
Kraft des Landes und allen durchlaufenen Veränderungen des
chinesischen Alltagsbewusstseins und der Volkskultur.
Es sind die Grundfragen des Aufbaus eines souveränen Chinas,
welche sich die Kommunisten gegenübersahen und -sehen. So
gilt es damals wie heute, ein möglichst breites Spektrum
der Bevölkerung am Aufbau des Landes zu beteiligen, und mehrmals
wird betont, dass die Programmatik dem Privatkapital in der Frühphase
nach 1949 dabei eine wichtige Rolle zuwies und deshalb sozialistische
Losungen in den Hintergrund gestellt werden mussten. So wird Mao
mit den Worten zitiert: In China there is no excess of domestic
capitalism. On the contrary our capitalism is too small.
(s. 88) Und Falconer selbst ist überzeugt: Restriction
has meant keeping the control of the national economy in the hands
of the state. Within the sectors marked off for it, private capital
is encouraged to go forth and multiply. (S.85) Auch wenn
diese Überzeugungen damals keinen dauerhaften Eingang in
die Politik der chinesischen Regierung gefunden haben, so knüpft
die heutige Politik doch erkennbar an diesem Ansatz der Phase
der neudemokratischen Revolution an. Innerhalb der Geschichte
Chinas ist der Zeitraum seit 1949 eben nur ein Wimpernschlag.
Alun Falconer hat gegenüber den meisten anderen englischsprachigen
Autoren, welche Schilderungen der beschriebenen historischen Phase
verfasst haben, einen wesentlichen Vorteil. Er hat nicht von den
geschilderten Ereignissen gehört und nicht darüber gelesen,
sondern er war selbst Teil der Ereignisse. Zudem er sich zu dieser
Zeit eben auch noch in Shanghai aufhielt, der Ort in China, an
welchem die Vorbehalte gegenüber einer Machtübernahme
durch die Kommunisten wohl am größten gewesen sein
dürften. Dies, und dass er versucht, die Revolution von ihren
Inhalten und Forderungen her zu verstehen und nicht zu verleugnen,
ist der Grund, dass das Buch einen besonderen Zugang zu Informationen
gewährt und aufklärend wirkt. Aufgewertet wird es zusätzlich
durch ein Vorwort Joseph Needhams, welcher das vorliegende Buch
einleitend kommentierte.
Falconer sah, dass nach der Gründung des neuen China, einem
politischen Ereignis, welches, wie Mao Zedong sagte, Eingang in
die history of mankind fand, dieses Land mit seinen
damals 470 Millionen Einwohnern nun begann, den Weg der Industrialisierung
zu beschreiten, und auf dem Weg eine industrialized nation
zu werden, was Argwohn auf Seiten der westlichen Welt auslöste.
Da war beispielsweise von einem dynamic China,
like Genghis Khan (S. 101) die Rede. Durch Beobachtung,
Gespräche mit Chinesen und eingehender Analyse der außenpolitischen
Grundsätze Chinas zieht der Autor im letzten Unterkapitel,
dessen Überschrift nicht zufällig wie der Buchtitel
lautet, sein Resümee und beantwortet eine Reihe von grundsätzlichen
Fragen unmissverständlich. Er zitiert Soong Ching Lings (Mme.
Sun Yat-Sens) Aussage: We are more than ready for peace.
We demand it. The Chinese people want to make themselves a bigger
bowl for more rice, and they want to contribute to the worlds
happiness at the same time. (S. 113) und trifft die Feststellung:
This is the voice of China, and it is the plan for the future.
There is much to be done. China has not become a Utopia.
(S. 113) In dieser Schlussfolgerung und schlichten Wahrheit liegt
der aktuelle Wert dieses Buches.
Alun Falconer: New China Friend or Foe?
Erschienen im Jahr 2004 in der Reihe Light on China der China
Society for Peoples Friendship Studies (PFS) im Verlag für
Fremdsprachige Literatur (FLP)
ISBN 7-119-03540-1
114 Seiten
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