Verkanntes
Genie
Lange wurde der Geograph Xu Xiake nur als Literat geschätzt
Von Hou Renzhi
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Erst posthum ganz gewürdigt:
Grab Xu Xiakes |
In der chinesischen wie auch in der westlichen Geschichte gab
es viele große Reisende, deren Abenteuer das Blickfeld ihrer
Zeitgenossen erweiterten, und deren geographische Kenntnisse sowie
die kulturelle Entwicklung der Menschheit vorantrieben. Xu Xiake
(15861641) war einer von ihnen. Er verbrachte fast sein
halbes Leben auf Reisen, um die Rätsel der Natur zu ergründen.
Xu Xiake war als Hongzu im Yangtse-Delta geboren worden. Mit
22 Jahren verließ er seine Heimat und begann, planmäßig
zu reisen. Sein Hauptziel war, bedeutende Berge und Ströme
sowie legendäre Landschaften in China zu sehen. Im Norden
wanderte er über den Taishan in der Provinz Shandong, den
Panshan bei Beijing und den Wutaishan in der Provinz Shanxi. Im
Westen bezwang er den Huashan und Wudangshan. Dazwischen kletterte
er auf die Berge Huangshan und Lushan. Im Süden erklomm er
den Luofushan in der Provinz Guangdong, im südöstlichen
Küstengebiet Yandangshan und Wuyishan. Von 1636 an bereiste
Xu vor allem die südwestlichen Provinzen. In fast vier Jahren
legte er rund 7000 Kilometer zurück und gelangte schließlich
an die westliche Grenze der Provinz Yunnan. Es war die längste
Reise seines Lebens. Xu machte eingehende Untersuchungen und ausführliche
Aufzeichnungen, er stellte besonders die geographischen Gegebenheiten
der Provinzen Guangxi, Guizhou und Yunnan datailliert dar. Seine
frühen Wanderungen mochten vielleicht nur der Bewunderung
schöner Landschaften gedient haben, später jedoch widmete
er sich ganz der Erforschung geographischer Naturerscheinungen.
Xu Xiake reiste meist zu Fuß, sehr selten benutzte er Boot
oder Pferd. So gelangte er in abgelegene und menschenleere Gebiete,
auf schroffe Berge, in nahezu unzugängliche Wälder.
Er pflegte, das, was er auf der Reise sah, sofort in Tagebuchform
niederzuschreiben. Er hatte eine scharfe Beobachtungsgabe und
fürchtete weder Gefahr noch Tod. Man sagte, er sei geschickt
wie ein Affe, wenn er an überhängenden Felsen und steilen
Bergwänden hochkletterte. Untersuchte er eine Berghöhle,
war er wie eine Schlange.
Xus Stärke war die Prosaform, in der er die natürlichen
Landschaften und geographischen Phänomene so naturgetreu,
lebendig und eindrucksvoll darstellte, dass seine Reisebeschreibungen
noch zu seiner Zeit als Literatur von vielen Menschen gelesen
wurden. Nach seinem Tod erschienen seine Tagebuchaufzeichnungen
in einem Sammelband mit dem Titel Reisebeschreibung von Xu Xiake.
Was wir heute lesen können, sind nicht mehr seine gesammelten
Erlebnisse; ein Teil dieses Buches ging mit der Zeit verloren.
Obwohl dieses Buch unter dem Titel Reisebeschreibung
erschien, ist es ein historisches Dokument über geographische
Untersuchungen, hat große wissenschaftliche Bedeutung und
zeigte der chinesischen Geographie eine neue Forschungsmethode.
Schon vor Xu Xiakes Zeit war die Geographie in China entwickelt;
es gab zahlreiche Bücher über Erdkunde. Aber fast in
allen dieser Bücher wurden nur geographische Oberflächenphänomene
dargestellt, und es gab kaum ein Buch über deren Entstehungsgeschichte.
Vor allem waren geographische Naturphänomene nicht systematisch
untersucht worden. Xu Xiake setzte dabei einen Meilenstein.
Durch Untersuchungen an Ort und Stelle entdeckte Xu einige Gründe
für das Entstehen der vielfältigen Naturerscheinungen.
So erklärte er wissenschaftlich die Beschaffenheit der Felsen,
die Erosionskraft des fließenden Wassers, die Funktion unterirdischer
Wasserläufe, den Bildungsprozess der Topographie, den Einfluss
von Temperatur und Wind auf Berge sowie die Abhängigkeit
der Flora vom Klima.
Besonders hatte Xu sich auf seiner letzten Reise den Gebieten
mit kalkhaltigem Boden in den Provinzen Hunan, Guizhou, Yunnan
und dem Autonomen Gebiet Guangxi gewidmet. Er erforschte Hunderte
von Höhlen in den Kalkgebieten, zeichnete alles genau auf.
Beispielsweise untersuchte er die komplizierte Qixingyan (Sieben-Sterne-Höhle)
nahe der Stadt Guilin. Geographen der Gegenwart haben diese Höhle
mit modernen wissenschaftlichen Methoden vermessen und einen Grundriss
angefertigt. Erstaunlicherweise entsprechen die Zeichnungen dem,
was Xu Xiake vor 300 Jahren über diese Höhle schrieb.
Deshalb dient Xu Xiakes Beschreibung dieser Höhle noch heute
den Wissenschaftlern.
Dies alles zeigt, dass Xu Xiake große Beiträge zur
geographischen Erforschung Chinas geleistet und der Geographie
einen neuen Weg gebahnt hat. In diesem Sinne kann er mit dem deutschen
Geographen Alexander von Humboldt (17691859) verglichen
werden, der die Grundlage für die moderne physikalische Geographie
schuf.
Überraschend ist, dass Xu Xiakes lebenslange wissenschaftliche
Arbeit in den 300 Jahren nach seinem Tod kaum einen Einfluss auf
chinesische Intellektuelle hatte. Manche bewunderten seine besondere
literarische Begabung, andere bestaunten nur seine Abenteuer.
Das geographische Genie wurde jedoch verkannt. Auch fand sich
niemand, der seine systematische Arbeit fortsetzte. Der wissenschaftliche
Wert des einzigen von Xu Xiake hinterlassenen Werkes wurde erst
in der Gegenwart entdeckt. Zu seinem 400. Geburtstag in diesem
Jahr wurde in China eine Reihe seiner geographischen Abhandlungen
veröffentlicht.
Aus China im Aufbau, Nr. 6, 1987
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