Im Heft 6 der deutschen Ausgabe haben Sie über ein Problem bei der Erziehung und Bildung der Grundschüler in der VR China berichtet.

Ich kann das nur bestätigen, allerdings nicht von Grundschülern, sondern von Studenten. Äußerst fleißig, diszipliniert, lernbegierig. Immer müde und abgespannt. Es gibt Studenten, die schlafen während der Pausen. Einige auch während des Unterrichts, das sind aber die Ausnahmen. Worin liegen die Ursachen?

1.Im absoluten Wollen der Studenten.

Sie lernen bis spät in die Nacht hinein. Doch sie lernen falsch. Techniken des Studierens sind nicht abrufbereit. Sie lernen auswendig. Nach den vielen Tests und Prüfungen ist manches schnell wieder vergessen.

2.Eine weitere Ursache sehe ich im unbedingten „Abarbeiten“ der Lehrbücher.

Nur die Lösungen im Lehrerhandbuch sind gültig. Alternativlösungen werden leider nicht akzeptiert.

3.Für die Entwicklung der Sprechfertigkeit fehlen Kommunikationsmöglichkeiten. In der Fremdsprache sind zu wenig Muttersprachler eingesetzt.

Dazu kommt der lange Unterrichtstag, oft auch am Wochenende. Diese Situation ist beängstigend. Ihre wirklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten können die Studenten nur bedingt beweisen. Die Gesamtsituation ist mit europäischen Maßstäben nicht nachvollziehbar.

Zurück zu den Grundschülern. Wissenschaftliche Untersuchungen sollen nun die Ursachen für die Auffälligkeiten bei diesen Schülern aufdecken.

Ich kann über eine alternative Lösung berichten:

Tropisch waren die Temperaturen, als ich in Chengdu aus dem Zug stieg. Unweit der Stadtgrenze hat die erste chinesische Waldorfschule ihr Domizil. Für manche auch als Rudolf-Steiner-Schule bekannt. Obwohl Schulferien, klingt mir lautes Kinderlachen entgegen. Ich bin angekommen. In einem ehemaligen Urlaubscamp wurden diese Schule und der Kindergarten untergebracht. Das Gelände ist gemietet.

Nun ist es bereits 12 Jahre her, dass die Initiatoren Li Zhang und Huang Xiaoning mit zwei australischen Waldorflehrern zusammentrafen. Sie inspirierten die beiden, Waldorfpädagogik zu studieren. Daraus entwickelte sich die Waldorfinitiative Chengdu. Seit 2004 gibt es nun Kindergarten und Schule.

Was ist das Besondere an dieser aus Spenden finanzierten Schule?

Es gibt keinen Stress, kein Hasten, kein Eilen von Testat zu Testat. Es gibt keine Punkte und keine Zensuren. Keiner wiederholt eine Klasse, wenn er das Ziel nicht erreicht hat.

Vor dem Lehrer sitzen Kinder, keine Schüler.

Das Wesentliche in den ersten Klassen ist nicht das Schütten von Wissen. Das Wesentliche ist die Erziehung zum Wollen. Lernen ohne Zwang, lernen, weil es Spaß macht. Weg mit den Lehrbüchern, spielend und singend lernen. Das ist das Grundmotto.

Die Hauptmethode des Lehrers ist es, die Kinder zu lehren, wie sie sich selbstständig Wissen aneignen können.

Als ich zur Schule komme, ist gerade eine Konferenz. Eltern aus mehreren Ländern Asiens sind angereist, um die Waldorfpädagogik kennen zu lernen. Sie lernen die Theorie und erleben die Praxis. Grundlage sind die ins Chinesische übersetzten Werke Rudolf Steiners –

Gründer der ersten Waldorfschule in Stuttgart – „Allgemeine Menschenkunde“ und „Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst“.

Schul- und Kindergartenkinder spielen. Ich darf mir die Räumlichkeiten ansehen. Liebevoll eingerichtete Klassenzimmer. Ein Raum für Musik, ein Raum für Kunst. Überall hängen Bilder und Zeichnungen der Kinder. Es gibt ein Freigelände und eine Ackerfläche für den Gartenbau.

Mittag. Ich habe Gelegenheit mit Herrn Li zu sprechen. Er ist ein Initiator der Initiative. Er erzählt über seine Freude und seine Sorgen. Der Kindergarten ist staatlich anerkannt, die Schule bisher nicht. Herr Li und seine Kollegen und Kolleginnen planen ihre Schule erst einmal bis zur fünften Klasse. Dann wird man weitersehen.

Die Kinder finden sich vor dem Essen zu einem Kreistanz zusammen. Ich fasse die Kinderhände an und bin zu einem Teil ihres Kreises geworden. Keine Scheu, Freude überall und fröhliche Kindergesichter. Danach gibt es das Essen.

In über 800 dieser Schulen der Welt freuen sich Kinder über das Lernen. Über ihre Schule.

Sie alle werden nach der Grundschule nicht getrennt. Bis zur 12. bzw. 13. Klasse bleiben sie ein gemeinsames Kollektiv. Sie machen das Abitur, Matura oder die Obere Mittelschule. Diese Abschlüsse sind staatlich anerkannt.

Ich könnte noch Vieles über die Kinder und Lehrer von Chengdu erzählen. Lassen wir es genug sein.

Ich wünsche der Chengdu-Waldorf-School und ihren Erziehern und Lehrern alles Glück dieser Erde.

Claus Hunold, Deutschland

August 2006

 

 
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