Harmonie in der Familie hilft bei Bekämpfung von Internetsucht

Von Gao Shanhu

Mangel an Fürsorge und Kommunikation führt zur Internetsucht

„Ich sehne mich manchmal nach meiner schönen Schulzeit zurück und schaue mit einem neidischen Blick auf meine ehemaligen Schulfreunde, wenn sie sich fröhlich unterhalten. Aber ich habe den Kopf voll mit Online-Spielen, ohne es zu wollen. Auch im Schlaf träume ich davon, dass ich im Internet Krieg führe“, erzählt Zhao Cheng über seine Sucht.

Der 17-jährige Zhao Cheng besuchte eine Mittelschule im Haidian-Bezirk der Stadt Beijing. Als das einzige Kind einer Alleinerziehenden setzte die Mutter, Frau Wang, zwar große Hoffnungen, jedoch hat sie aufgrund hoher Arbeitsbelastung zu wenig Freizeit, um Gedanken mit ihrem Sohn auszutauschen. Im Alter von 15 Jahren kam Zhao Cheng in Berührung mit dem Computer und ist seitdem auf Online-Spiele fixiert. Mit der Zeit wurde er ungesellig und exzentrisch, auch seine schulischen Leistungen haben stark nachgelassen. Folglich musste er seinen Schulbesuch abbrechen. Dann blieb er den ganzen Tag zu Hause und war in die virtuelle Welt versunken, nur Essen und Schlafen nahmen ein wenig Zeit in Anspruch. „Um meinen Sohn von der Internet-Abhängigkeit befreien zu können, habe ich ihn zu vielen Krankenhäusern begleitet. Dafür habe ich mehr als 100 000 Yuan ausgegeben. Meine Augen sind von den vielen Tränen, die ich vergossen habe, ganz ausgetrocknet“, sagt die Mutter von Zhao Cheng.

In China gibt es viele Jugendliche wie Zhao Cheng, die von der virtuellen Welt im Internet abhängig sind. Sie wollen im Internet surfen, selbst wenn sie dafür auf Essen und Schlafen verzichten müssen. Einige von ihnen haben zwar den Ernst des Problems erkannt, aber sie sind zu sehr darin verwickelt, um sich selbst helfen zu können. Im Durchschnitt verbringen sie jeden Tag mehr als zwei Stunden mit Online-Spielen. Sie sind im Allgemeinen depressiv, fühlen sich abgespannt und haben keinen Appetit. Manche von ihnen zeigen sogar eine Tendenz zur Gewalttätigkeit.

Statistiken zufolge gab es Ende Juli 2006 in China 123 Mio. Internet-Benutzer, wovon 14,9% Minderjährige unter 18 Jahren waren. Diese statistischen Daten, die vom Chinesischen Internet-Verein bekannt gegeben worden sind, zeigen, dass 13,2% der jungen User unter Internetsucht leiden. Außerdem zeigen noch 13% von ihnen eine Tendenz zur Internet-Abhängigkeit. Besonders verbreitet soll die Internetsucht bei den Mittelschülerinnen und -schülern zwischen 13 und 18 Jahren sein. Für die Jugendlichen sind die Internet-Spiele der wichtigste Grund für das Surfen im Internet, gefolgt von Internet-Unterhaltung und der neu entstandenen „virtuellen Familie“. Aufgrund ihrer Internetsucht vernachlässigen viele Kinder ihre Schularbeit und verpassen ihre eigene Jugendzeit; auch ihre Charaktere haben sich negativ verändert. Manche begehen sogar gesetzwidrige Handlungen, die die Gesellschaft und die Familien in Gefahr bringen.

Warum haben sie sich im Internet verirrt?

Professor Tao Hongkai, vom Zentralkomitee des Chinesischen Kommunistischen Jugendverbandes mit dem Titel „der erste Botschafter der Liebe Chinas für den zivilisierten Umgang mit dem Internet durch Jugendliche“ ausgezeichnet, ist Experte zur Heilung der Internetsucht. Er weist darauf hin, dass das Internet nichts Dämonisches an sich habe und die Schuld nicht allein bei den Kindern liege. In der Tat sei die Verhaltensstörung bei 90% der jungen Internetsüchtigen von familiären Problemen verursacht worden. Die Praxis hat inzwischen bewiesen, dass Internetsucht bei Jugendlichen vor allem drei Ursachen hat, nämlich: Fehlende Anerkennung von und fehlende Beziehungen zu anderen Menschen sowie – als wichtigste Ursache – Mangel an familiärer Erziehung.

Tao Ran, Direktor des Suchtbehandlungszentrums im Zentralen Krankenhaus des Militärbezirks Beijing, weist darauf hin, dass die Internetsüchtigen zum größten Teil aus Familien stammen, in denen Eltern einen zu großen Druck auf ihre Kinder ausüben, in denen ein Elternteil alleinerziehend ist oder die Großeltern das Kind betreuen, in denen die Kinder abgöttisch geliebt und dementsprechend übertrieben geschützt werden, oder sie stammen aus zerfallenden Familien, in denen die Eltern im Zwist leben, sich unpassend benehmen oder psychische Probleme haben. Die Familien stellen allzu hohe Anforderungen an die Kinder und betrachten die Kinder als ihr Privateigentum. 80% aller Problemfälle kommen aus solchen Familien.

Überdies widmen sich viele Eltern vollkommen ihrem Beruf und vernachlässigen den Gedankenaustausch mit ihren Kindern, was auch eine wichtige Ursache für die Internet-Abhängigkeit der Kinder ist. Nach einer Umfrage vom Forschungszentrum für Psychologie an der Medizinischen Hochschule Tongji in der Stadt Wuhan leiden 90% der internetsüchtigen Schülerinnen und Schüler unter einem Mangel an Familienerziehung. Fast 80% der internetsüchtigen Schülerinnen und Schüler sind der Ansicht, dass ihnen die Möglichkeiten fehlen, mit ihren Eltern Gedanken auf der Basis der Gleichberechtigung auszutauschen. Die Eltern kümmern sich demnach nur um ihre schulischen Leistungen. Der 14-jährige Xiao Xin sagt: „Ich surfe lieber im Internet, als mich mit meiner Mutter zu unterhalten. Sie kann mich einfach nicht verstehen und fragt immer nur, welchen Platz ich bei Prüfungen errungen habe.“

Ferner setzen zahlreiche Eltern aufgrund des innigen Wunsches, dass der „Sohn ein Drache und die Tochter ein Phönix“ wird, die Kinder also zukünftig eine herausragende Karrierelaufbahn einschlagen, allzu große Hoffnungen auf ihre Kinder. Den Statistiken zufolge hoffen 96% der Eltern, dass ihre Kinder von einer Universität oder Hochschule aufgenommen werden. Aber anhand der gegenwärtigen Bildungsressourcen können nur 19% der Kinder eine Universität oder Hochschule besuchen, so dass sich der Traum vieler Eltern nicht erfüllen wird. Der hohe Druck macht die Kinder depressiv, sie haben das Selbstvertrauen verloren und suchen nach dem flüchtigen Erfolgsgefühl, welches ihnen die virtuelle Welt vermittelt.

Durch ihre Eltern lernen die Kinder, den Computer von Beginn an als Spielzeug zu betrachten. Wenn die Kinder dann vom Internet abhängig sind, verstehen es die Eltern nicht, ihre Aufmerksamkeit abzulenken und sie für alternative Hobbys zu interessieren, sondern versuchen vergeblich, ihre Aktivitäten im Netz mit Zwang zu reduzieren, oder sie sind einfach der Überzeugung, dass die Kinder psychische Probleme haben.

Es gibt an sich keine missratenen Kinder, aber viele missratene Erziehungsmethoden

Frau Wang erzählte einem Journalisten, während sich ihre Augen mit Tränen füllten, wie sich ihr Sohn Zhao Cheng von der Internet-Abhängigkeit befreit hat: „Ich will meinem Sohn danken, durch ihn habe ich mein Selbstvertrauen vollständig wiedererlangt.“

Nachdem Zhao Cheng in die Internet-Abhängigkeit geraten war, stritt er sehr häufig mit seiner Mutter. Er hat seine Mutter sogar beschimpft und geschlagen. Frau Wang verstand nicht, warum ihr Sohn Mutterliebe mit Feindschaft erwiderte. Nach der Kontaktaufnahme mit Professor Tao Hongkai begann sie zu verstehen, dass sie ihre Erziehungsmethoden ändern muss, bevor sich ihr Sohn ändern kann. So versuchte sie, die Aufmerksamkeit ihres Sohnes vom Internet abzulenken. Überdies tadelte sie ihren Sohn nicht mehr und verlangte auch nicht von ihm, dass er von der Oberstufe einer Mittelschule für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden soll. Im Gegenteil unterhielt sie sich mit ihrem Sohn ganz offen und ehrlich und teilte ihm mit: „Jederzeit kannst du an die Tür meines Zimmers klopfen. Mein Zimmer ist für dich immer offen.“ Nach einiger Zeit hat Frau Wang entdeckt, dass ihr Sohn immer weniger Zeit mit dem Surfen im Internet verbrachte. Außerdem verhielt er sich gegenüber seiner Mutter sanft und war gewillt, mit ihr zu sprechen. In dieser Situation ließ Frau Wang ihren Sohn Klavierspielen, für das er sich in seiner Kinderzeit interessierte, lernen, damit er sein Selbstvertrauen wieder aufbauen konnte. Sie nahm sich viel Zeit, um mit ihrem Sohn zusammenzusein, und versuchte, seine aufrichtigen Gefühle zu begreifen. Dank dieser Aufmerksamkeit der Mutter entschied er letztendlich, wieder in die Schule gehen zu wollen.

Professor Tao Hongkai ist der Ansicht, dass die Eltern Bemühungen in verschiedenen Bereichen unternehmen sollten, um die Internetsucht der Kinder zu verhüten und zu bekämpfen. Vor allem sollten sie die Kinder eine harmonische Beziehung der Eltern spüren lassen. Außerdem sollten sie die aufrichtigen Gefühle der Kinder begreifen, sich mit den Kindern auf der Basis der Gleichberechtigung befreunden, den Kindern angemessenen Ansporn geben und weniger Vorwürfe machen. Übrigens sollten sie ihre Kinder nicht abgöttisch lieben und übertrieben schützen. Wichtig sei es noch, dass die Eltern Kenntnisse in Bezug auf das Internet haben, so dass sie entsprechende Maßnahmen ergreifen können, wenn sie Symptome für Internetsucht bei ihren Kindern entdecken. Wenn die Kinder in die Internetsucht geraten sind, sollten die Eltern ruhig bleiben und ihre Anforderungen an die Kinder mäßigen. Außerdem sollten sie versuchen, die Aufmerksamkeit der Kinder vom Internet abzulenken und die Gefühle der Kinder zu begreifen.

Durch die gemeinsamen Bemühungen von Gesellschaft und Familie ist die Befreiung von der Internetsucht kein Wunder

In China gibt es immer mehr Eltern wie Frau Wang, die durch die Änderung der Erziehungsmethoden ihren Kindern die Internetsucht erfolgreich abgewöhnt haben. Sie haben aus eigener Initiative das „Austauschzentrum der Eltern“ gegründet, das darauf zielt, den Kindern bei der Befreiung von der Internet-Abhängigkeit Hilfe zu leisten. Seit der Gründung des Zentrums vor knapp einem Jahr haben sich schon mehr als 70 Mütter oder Väter an das Zentrum gewandt. Mit Hilfe der Eltern und Experten haben sich viele Kinder von der Internet-Abhängigkeit befreit. Nun sind viele Eltern wie Frau Wang, die ihren Kindern die Internetsucht erfolgreich abgewöhnt haben, Freiwillige des Zentrums geworden. Gründungen solcher Austauschzentren der Eltern sind für das ganze Land geplant.

Nachdem ein System zur Verhütung von Internetsucht in Angriff genommen worden ist, wird auch ein System zur Angabe des richtigen Namens bei der Teilnahme an Online-Spielen in diesem Jahr eingeführt, so dass diese im rechtlichen Sinne doppelt geschützt werden können. Außerdem wurde am 4. August diesen Jahres das „Projekt Shibaiqianwan“ in Beijing in Angriff genommen, an dem 10 000 Familien aus zehn chinesischen Städten teilnehmen werden. Das Ziel dieser Veranstaltung liegt darin, den Aufbau harmonischer Familien durch die gesellschaftlichen Kräfte zu fördern und damit qualifizierte Fachkräfte mit Pioniergeist heranzubilden.

Seit dem Jahr 2004 haben sich beinahe 300 Kinder mit Hilfe von Professor Tao Hongkai von der Internetsucht befreit, indem sie nicht nur direkte Gespräche mit ihm geführt, sondern auch Unterstützung von vielen Freiwilligen erhalten haben. Außerdem haben sie in den Sommerferien noch an vom „Austauschzentrum der Eltern“ organisierten Veranstaltungen, wie der Veranstaltung zur allseitigen Entwicklung, teilgenommen. Die Praxis hat inzwischen bewiesen, dass das Problem der Internetsucht beseitigt werden kann, ohne dass die Jugendlichen Rückfälle erlitten hätten, wenn die Harmonie in der Familie sichergestellt ist und die richtigen Erziehungsmethoden angewandt werden.

Professor Tao erzählte der Presse, dass er sich besonders darüber freue, dass immer mehr Eltern die Wichtigkeit der Vorbeugung erkannt haben. Sie würden sich über die Probleme informieren, die sie berücksichtigen sollen, bevor ihre Kinder dem Computer begegnen. Er sagt, dass in naher Zukunft ein Wettbewerb in Bezug auf Computer- und Internet-Wissenschaft für Jugendliche organisiert wird, um die Kinder bei der Computeranwendung anzuleiten, ihr Interesse für Computer und das Internet sowie ihre besonderen Fertigkeiten darin zur Geltung zu bringen. So kann das Ziel erreicht werden, aus dem Internet einen sinnvollen Nutzen zu ziehen.

 

 
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