Hochqualifizierte Arbeitnehmer in China: „In der Firma stationierte Würmer“
Von Luo Yuanjun
Als Zhang Tian die Ausdrucksweise „in der Firma stationierter Wurm“ als Bezeichnung für Arbeitnehmer, die sich fast ausschließlich an ihrem Arbeitsplatz aufhalten, zum ersten Mal im Internet sah, lachte er. Er sagte, dass sie für ihn fast maßgeschneidert wurde.
Zhang Tian ist als Grafikdesigner in einer privaten Werbeagentur in der südchinesischen Stadt Guangzhou tätig. Sein Chef nimmt ständig neue Geschäftsaufträge an. So müssen die sechs jungen Angestellten, Zhang Tian eingeschlossen, beinahe rund um die Uhr arbeiten.
Zhang Tian sagte: „Ich habe einen Rekord aufgestellt, indem ich drei Monate lang das Büro nicht verlassen habe. Es ist üblich, dass meine Kollegen und ich einige Wochen ununterbrochen arbeiten. Dann kann man kaum noch unterscheiden, wann die reguläre Arbeitszeit ist und wann man Überstunden leistet. Außerhalb von Essen und Schlafen ist alle Zeit für die Arbeit vorgesehen. Da ist man nicht mehr in der Stimmung, Scherze zu machen.“
Zhang Tians Chef versteht sich gut darauf, wie man mit seinen Angestellten umgeht. Er und seine Angestellten nennen einander Brüder. Ein Koch wurde speziell dafür angestellt, um für die Angestellten, die Überstunden machen, Suppen zu kochen. Zhang Tian sagte: „Was das Gehalt betrifft, behandelt der Chef uns auch nicht ungerecht. Zwar arbeiten wir härter, unsere Gehälter sind aber auch viel höher als die unserer Fachkollegen in staatseigenen Unternehmen. Viel mehr verdienen zu können, ist der Hauptgrund dafür, dass wir uns bereit zeigen, in der Firma ‚Station zu beziehen‘.“
Die chinesische Regierung hat eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden und eine maximale wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden bestimmt. Der Artikel 41 des Arbeitsgesetzes legt fest, dass eine Arbeitseinheit aufgrund von Erfordernissen der Produktion bzw. Wirtschaftsführung die Arbeitszeit verlängern darf, nachdem sie mit der Gewerkschaft und den betroffenen Arbeitnehmern darüber verhandelt hat. In der Regel darf die Arbeitszeit jedoch um nicht mehr als eine Stunde pro Tag verlängert werden. In besonderen Fällen kann die Arbeitszeit unter der Voraussetzung, dass die körperliche Gesundheit der Arbeiter und Angestellten garantiert ist, um bis zu drei Stunden täglich und maximal 36 Stunden monatlich überschritten werden. Das zeigt, dass man in Unternehmen – ausgenommen diejenigen, in denen keine festen Arbeitszeiten existieren oder diese zusammenfassend berechnet werden – auf Anordnung des Unternehmens in der Regel nicht mehr als eine Überstunde bzw. aus besonderen Gründen nicht mehr als drei Überstunden täglich machen soll. Auch wenn Arbeitnehmer freiwillig Überstunden leisten wollen, ist diese Bestimmung einzuhalten.
In der Firma, in der Zhang Tian arbeitet, wird die Arbeitszeit flexibel gehandhabt. Aus diesem Grund verstößt sie nicht gegen das Gesetz, obwohl Zhang Tian und seine Kollegen viele Überstunden machen müssen. Außerdem gibt es noch andere „in der Firma stationierte Würmer“, die nicht nur aus Gründen, die mit der Arbeit zu tun haben, täglich so lange in der Firma bleiben. Deshalb wird es von der Arbeitsverwaltung auch nicht als gesetzwidrig angesehen.
In den letzten Jahren begannen manche Unternehmen, Betten in den Büros aufzustellen. Daran ist zu erkennen, dass die Zahl der „in der Firma stationierten Würmer“, wie Zhang Tian einer ist, zunimmt. Die meisten von ihnen bleiben freiwillig nach Feierabend in der Firma, weil sie ihrer eigenen Meinung nach so mehr für die Firma leisten können. Den Segen ihres Chefs haben sie jedenfalls.
„In der Firma stationierte Würmer“ sind relativ jung, ihr Alter liegt größtenteils zwischen 25 und 45 Jahren. Sie sind vor allem in den Bereichen IT-Entwicklung, Werbeindustrie, Medienbranche, Berufsausbildung und Unternehmensmanagement tätig. In den Augen der einfachen Beschäftigten sind sie moderne „Weiße Kragen“, leben in der Großstadt und sind zu beneiden, weil sie eine flexible Arbeitszeit, ein komfortables Büroumfeld und ein hohes Gehalt haben.
„Eine harte Arbeit für ein hohes Einkommen“ ist das Lebensdogma von „in der Firma stationierten Würmern“. Manchmal üben sie wesentlich größeren Druck auf sich selbst aus, als die Außenwelt auf sie ausübt. Wenn dieser permanente Druck zur Gewohnheit geworden ist, sind die Überstunden nur noch eine Frage der Selbstdisziplin.
Normalerweise wollen ganz wenige Leute aus eigener Initiative Überstunden leisten, denn man möchte außerhalb der Arbeit ein eigenes Leben haben. Die Ergebnisse einer Untersuchung zeigen, dass 78% der Menschen, die gewillt sind, mehr Zeit in der Firma zu verbringen, das Ziel haben, „sich durchzusetzen“. Mit anderen Worten, alle wollen bei der scharfen beruflichen Konkurrenz vorwärtskommen. Die Folge davon ist, dass beim Wetteifern nur noch geschuftet und nicht gelebt wird.
Darüber hinaus gibt es noch andere Gründe für Überstunden. Beispielsweise scheint es für die „Würmer“ kaum Stätten zu geben, die sie nach Feierabend besuchen könnten. So hat ein großer Teil von ihnen erst vor wenigen Jahren das Studium abgeschlossen oder ist gerade zum Arbeitsort gezogen. Dementsprechend haben sie noch keine sozialen Kontakte knüpfen können. Ferner haben viele von ihnen große finanzielle Belastungen zu schultern, weil sie gerade erst berufstätig geworden sind, aber bereits eine eigene Wohnung und ein eigenes Auto kaufen wollen. Bevor sie dieses Ziel erreichen, müssen sie jedoch eine Wohnung mieten und Geld für den öffentlichen Nahverkehr ausgeben; die Telefonkosten nehmen auch eine gewisse Summe in Anspruch. So erlaubt ihre finanzielle Situation keine größeren Ausgaben für Vergnügungs- und Freizeitstätten.
Nach einer Untersuchung, die von einer Beratungsfirma vor kurzem durchgeführt wurde, können die Menschen, die in den früheren und mittleren 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren wurden, die Idee, „die Firma als Familie“ anzusehen, im Großen und Ganzen annehmen. Aber die meisten Chinesen, die in den 80er Jahren geboren sind, äußerten diesbezüglich ihre Ablehnung. Auf sie übt nicht mehr nur die Karriere eine große Anziehungskraft aus, ein glückliches Leben soll aus Arbeit und einer gleichwertigen Freizeit bestehen.
In China wurde in staatseigenen Unternehmen lange Zeit bei Geburt, im Alter, bei Krankheit und Tod für Arbeiter und Angestellte gesorgt. Als „Herren des Staates“ wurden sie aufgefordert, im Geist der Losung „die Fabrik wie die eigene Familie lieben“ zu arbeiten und sich darum zu bemühen, für den Staat und das Unternehmen Reichtümer zu schaffen. Aber mit dem Zusammenbruch des alten Absicherungssystems kümmern sich Unternehmen nun fast nicht mehr um die Beschäftigten, anstatt sich um alles zu kümmern, wie es früher der Fall war. Insbesondere einige kleine Privatbetriebe, die in der ersten Phase der Reform entstanden sind und sich schnell entwickelten, bieten nicht nur lange Arbeitszeiten und ein schlechtes Arbeitsumfeld, sondern zahlen auch ein niedriges Gehalt, was dazu geführt hat, dass das Personal häufig den Arbeitgeber wechselt und sich das Unternehmen deshalb nicht stabil entwickeln kann.
Später bemerkten auch viele Unternehmer solche Missstände. Sie waren sich dessen bewusst, dass ein Unternehmen nicht nur ein Ort ist, an dem man sich seinen Lebensunterhalt verdient, sondern auch eine Stätte der gefühlsmäßigen Bindung. Eine Unternehmenskultur der familiären Bindungen wird deshalb gefördert. Damit wird wieder Wert auf die soziale Organisationsfunktion der Unternehmen gelegt. Der Chef der Firma, in der Zhang Tian arbeitet, meint, dass es sehr vorteilhaft für eine stabile Personalentwicklung und Förderung des Arbeitseifers der Arbeiter und Angestellten ist, wenn das Unternehmen eine familiäre Wärme bietet, besonders dann, wenn es keine deutlich überdurchschnittlichen Gehälter zahlt. So ist es in manchen staatlichen Unternehmen und Institutionen eine empfohlene Methode, „Personal durch menschliche Gefühle zu binden.“
Es ist aber nicht zu übersehen, dass es schlimme Folgen für die Beschäftigten hat, die „die Firma als Familie anzusehen und darin Station zu beziehen“. Zunächst einmal kann die langfristige hohe Arbeitsbelastung die Gesundheit schwer beeinträchtigen. Nach Aussage eines Arztes, der sich speziell mit Berufskrankheiten beschäftigt, hat sich die körperliche Gesundheit vieler „in der Firma stationierter Würmer“ erkennbar verschlechtert, weil sie lange Zeit in abgeschirmten Büros arbeiten und zu wenig Sport treiben. Zweitens könne es zu geistiger Trägheit führen, wenn Menschen vom gleichen Fach oder Beruf fortdauernd zusammen sind. Es bestehe sogar die Gefahr des Kreativitätsverlustes. Wenn diese Situation langfristig fortbestehe, verknöchere das Denken, was für kreative Betätigungen sehr nachteilhaft ist. Wenn man mit vollem Einsatz und ohne Berücksichtigung von Tag und Nacht arbeitet, wird sowohl die Gesundheit der Belegschaft als auch die Entwicklung des Unternehmens negativ beeinflusst. Außerdem kann man sich schlimmstenfalls tatsächlich zu Tode arbeiten. In der jüngsten Vergangenheit gab es einige solcher Fälle in Beijing, was große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Diese Erscheinung ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass die Arbeiter und Angestellten bei der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung, dem spannungsgeladenen Lebensrhythmus und dem intensiven geistigen Druck selbst nicht in der Lage sind, sich zu kontrollieren.
Die „in der Firma stationierten Würmer“ leben in einem schnellen Rhythmus und unter großem Druck, und befinden sich dennoch in einer eigentlich einförmigen Endlosschleife. Für die Karriere haben sie auf vieles verzichtet, sie haben fast keine Zeit für Entspannung und Vergnügen und Freizeit ist ihnen ein Luxus. Aber wie Professor Wang Qiyan, Leiter des Forschungszentrums für Freizeitindustrie an der Chinesischen Renmin-Universität, sagt: „Die Zeit eines Menschen gehört nicht vollständig der Arbeit, sondern einem glücklichen Leben.“
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